Hochschul-Bewerber-Chaos
Folgen einer kurzsichtigen Möchte-Gern-Elite-Politik.
Was haben die Hochschulen das Maul aufgerissen, daß wir jetzt alle wie in den USA elitär sein möchten und daß man den Hochschulen doch bitteschön selbst überlassen soll, welche Studenten (wie ist denn da gerade die sexuell-opportun politisch-korrekte Schreibweise? StudentInnen ist wohl out und war noch nie sprachlich korrekt? Studierende? Es geht ja hier um die Auswahl der Studienanfänger, also studieren die ja noch gar nicht und sind noch keine Studierende. Studentinnen und Studenten? Klingt so nach vergewaltigtem Gesetzestext…) sie denn gerne haben möchten. Da haben wieder irgendwelche Schmalspurstrategen dünne Einfälle gehabt und gemeint, daß da alles viel besser und elitärer würde, wenn die Hochschulen sich aus der Masse der Studenten die Allerbesten auspicken könnten. Als ob dadurch die Uni besser würde. Und als ob die Studentenelite sich bei ihnen hübsch anstellen würde. Und als ob man das einem Abiturienten schon ansehen könnte, als ob der mal ein Elite-Studi wird.
Ich hab da mal so eine krude Story aufgefangen. Angeblich soll sich an einer der englischen Elite-Universitäten, weiß nicht mehr welche, Oxford oder Cambridge, folgende Anekdote zugetragen haben. Es war oder ist dort wohl so üblich, daß man sich da gar nicht formal anmelden kann, sondern von einem Professor angenommen werden muß, und die das wie üblich höchst kauzig, eigentümlich und willkürlich gestalten. So kam also ein Bewerber in das Büro eines Professors, der hinter seiner hochgehaltenen Tageszeitung saß und es nicht einmal für nötig befang, die Zeitung wegzulegen und sich den Bewerber anzusehen. Vom Professor sah man nur die Zeitung und die Hände, und er grunzte ein “Surprise me” – der Student sollte ihn überraschen und dadurch belegen, daß er außergewöhnlich sei. Die Legende besagt, daß der Student ein Feuerzeug aus der Tasche zog, dem Professor vor dessen Nase seine Zeitung anzündete – und von ihm angenommen wurde. Spätestens seit Harry Potter wissen wir, daß englische Schul- und Lehranstalten holzgetäfelt sind und das Kuriose bevorzugen. Und auch die Elite-Hochschulen in den USA pflegen harte Zugangsauswahlen, bei denen man allerlei tolle Zeugnisse beibringen, Essays schreiben und wer weiß was nicht alles machen soll, um dann von einem geheimnisvollen Komitee nach eventuellen weiteren Interview und Prüfungsausfgaben ausgewählt zu werden. Es gibt da eigene Privatschulen, die einen über mehrere Semester auf die Aufnahmeprüfung an der Hochschule vorbereiten.
So in der Art haben sich das wohl deutsche Hochschulstrategen und Elitenritter ausgedacht und vorgestellt. Und dabei übersehen, daß unsere Universitäten nicht so holzgetäfelt sind wie die englischen.
Man könnte auch eine alte Weisheit zitieren, von der ich allerdings nicht weiß, ob sie von Konfuzius oder den Klingonen stammt: Bedenke, worum Du bittest, es könnte Dir gewährt werden.
Die deutschen Universitäten haben bekommen, was sie wollten: Die Freiheit, sich ihre Studis selbst auszuwählen. Und das ging schief.
Entgegen der universitäten Auffassung, daß der Mensch erst mit der Promotion aufrecht gehen kann, habe sich nämlich schon die Vor-Studis als nicht doof erwiesen und sich so verhalten, wie es spieltheoretisch sinnvoll ist: Wenn man nämlich nicht mehr eine Bewerbung bei der ZVS einreicht, sondern sich an vielen Universitäten einzeln bewerben kann und muß — dann macht man das auch.
Zu meiner Zeit hat man den Antrag bei der ZVS gestellt auf das Ergebnis gewartet und sich dann darüber gefreut oder geärgert. Fertig. Irgendwo ist man eben gelandet und das war’s erst mal.
Heute muß sich der Studi in vielen Studiengängen wohl (weiß ich jetzt nicht aus eigener Erfahrung, was man halt so liest) bei der Uni bewerben und bekommt ein ja/nein. Damit ist das Nein hochwahrscheinlich und dann guckt man dumm in die Röhre. Andererseits hat man die Möglichkeit, mehrere Bewerbungen loszuschicken und die Kosten dafür sind im Zeitalter des PC und der Billig-Laser-Drucker gering. Also wird der schlaue Bewerber einfach so viele Bewerbungen wie möglich losschicken und damit auch die Anzahl der positiven Antworten tendenziell möglichst hoch schrauben, um damit eine möglichst gute Auswahl aus Studienplätzen zu haben. Mit anderen Worten: Wer ein bischen was in der Birne hat, bewirbt sich nach dem Schrotschuss-Verfahren an möglichst vielen Unis für möglichst viele Studiengänge und entscheidet sich dann erst hinterher aus dem, was der dann auf dem Tisch hat.
Das ist spiel- oder meinetwegen auch angriffstheoretisch die aus Sicht des Studis beste Strategie. Jeder Studiengang an jeder Uni, für den er sich nicht bewirbt, ist – solange es quasi nichts kostet und es auch kein Limit gibt – im Ergebnis nur mit Nachteilen verbunden, Vorteile hat das Unterlassen einer Bewerbung nicht. Und im Vergleich zu Studiengebühren ist das eine Kleinigkeit. Da hätte man drauf kommen können, denn so überraschend ist das nicht.
Die Angeschmierten sind jetzt die Unis, die unter Bergen von Bewerbungen stöhnen, und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Warum wollten sie es eigentlich unbedingt, wenn sie den Aufwand dafür nicht treiben wollen? Ging da Schicki-Micki-Elite-Denken über das Nach-Denken?
Wie ich darauf komme? Schöner Artikel auf SPIEGEL Online.