Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Inflation der Experten

Hadmut Danisch
27.3.2009 17:48

Wie uns Presse und Politik für dumm verkaufen.

Dieser Tage gibt es wieder mal eine Diskussion. So eine von der Art, in der es jeder besser weiß als die anderen. Aktuell geht es um Kinderpornographie, morgen rennt schon die nächste Sau durchs Dorf.

Und immer wieder wird uns der gleiche Schwachsinn vorgesetzt: Experten. Jede Menge Experten. Unglaublich viele Experten.

Gibt es irgendwo einen Mordanschlag oder Amoklauf, dann bringt die Presse unglaublich viele Betroffene. Denen man gerne auch mal einen Geldschein zusteckt, damit sie ihre Betroffenheit entdecken und ausführlich und tränenreich erklären, daß sie mit der Sache eigentlich nichts zu tun haben und auch nicht mehr wissen, als was in der Zeitung steht.

Und so ähnlich ist das, wenn es um das Internet oder Kriminalität oder – am schlimmsten – beides zusammen geht. Es wimmelt nur so von Internet-Experten, von Sicherheits-Experten, von Rechts-Experten und von Universal-Experten. Aus jedem Loch holen die Medien irgendwelche Leute raus, die sie vor die Kamera zerren. Schaut her, wir haben auch einen Experten, dessen Aussagen sich von der der anderen in 1,4 % unterscheidet.

Eine typische Eigenschaft dieser Experten ist, daß sie eine Eigenschaft mit den Pathologen teilen, nämlich die sogenannte “postmortale Klugscheißerei”. Fragt man vorher, wie man etwas machen soll, läßt sich keiner blicken. Das ist ja Risiko. Gutachter, Berater, Consultants, die was wissen, findet man nicht. Macht man aber was, dann kommen plötzlich alle selbsternannten Experten aus ihren Löchern und sagen entweder, daß das so nötig ist, oder daß das so falsch ist und man das Gegenteil machen müßte.

Eine zweite typische Eigenschaft ist, daß die meisten dieser Experten nicht so wirklich wissen, wovon sie reden, und meist nicht mal an Halbwissen heranreichen. Das ist allerdings ein Gesellschaftsproblem. Denn Sachkunde ist heutzutage abträglich und kontraproduktiv, weil sie sich anzueignen die Zeit kostet, die man gebraucht hätte, um jede Beziehungen aufzubauen, aufgrund derer man als Experte eingeladen wird. Beherztes Schwätzertum in allen Töpfen ist heute mehr wert als zu wissen, wovon man redet. Deshalb gibt es von Experten auch nur in den seltensten Fällen substantiiertes Material. Lieber sprechen sie ein paar Sätze in die Kamera oder das Notizbuch des Journalisten.

Eine dritte Eigenschaft ist, daß diese Experten nicht an Sachkundigen ausgerichtet sind, sondern an Laien, und sich darauf spezialisiert haben, plakative und eingängige, aber meistens falsche Erklärungen darzubieten. Dafür werden sie aber von den Laien geliebt, denn die richtigen Fachleute sprechen meist eine Sprache, die Laien nicht verstehen. Experten sind das, was die Einäugigen unter den Blinden sind, nämlich auf der einen Seite Könige, auf der anderen Seite die, die noch etwas mit ihnen gemeinsam haben.

Eine vierte Eigenschaft ist, daß Expertentum relativ und zuweisungsbezogen ist. Keine Befähigung, sondern eine Rolle. Schon mal aufgefallen, daß jede politische Partei ihren Internet-Experten hat, obwohl keiner von denen jemals Informatik oder etwas ähnliches studiert und ganz sicher noch nie einen Router konfiguriert hat? Und fast jede Zeitungs- und Fernsehredaktion? Die ganze Zeit klagen wir über Ingenieurs- und Informatikermangel. Aber Experten haben wir im Überfluß, jeder hat einen. Experte wird man nicht durch Fachwissen, sondern weil die Partei einen braucht und einem der ihren einfach die Rolle zuweist. Oder weil ein Reporter gerade einen für die Bildunterschrift braucht. Haste keinen, schnitz dir einen.

Und dann gibt es noch die Experten auf Lebenszeit, die Professoren. Heißt einer Professor, dann gilt er als maßgebliche Koryphäe, egal wie er zu dem Titel gekommen ist. Da geben sich Leute als Sachverständige für Kryptologie aus, die ein Blockchiffre nicht von einer Betriebsart unterscheiden können. Aber wer einmal mit der Berufsbezeichung Professor auf Lebenszeit verbeamtet wurde, der hat auch auf Lebenszeit mehr Recht als alle anderen. Da gibt es Leute, die haben das, wofür sie sich ausgeben, noch nie in der Realität gemacht, können nicht mehr als Formeln an die Tafel schreiben und haben ein Weltbild, das nur aus Hörsäälen und Seminarräumen besteht. Aber Super-Experten sind sie alle miteinander, schon deshalb, weil der Reporter “Professor” unter das Bild schreiben kann.

Unglaublich, wieviele Quatschköppe als Experten unterwegs sind. Gelegentlich werde ich gefragt, ob ich Experte bin. Weise ich meistens zurück mit solchen Bemerkungen wie “Nein, ich habe das wirklich studiert”. Oder “Nein, damit kenne ich mich richtig aus.”

Letztlich ist das doch aber alles nur eine Folge des immer größeren Geschwätzes, was die Presse aufbereitet. Sie brauchen eben zur Bekräftigung irgendeiner Meinung immer irgend ein Bild von irgendeinem Typen mit der Bildunterschrift “Experte”. Und sie müssen immer in dieser extrem verkürzten und verdummten Sprache präsentieren, die auf Schlagworte und Überschriften komprimiert ist. “So kochen Sie besser” Immer wieder “So…”. Und ähnliche Phrasen. Oder das Buzzword “Amok”. Falsch, aber kurz, einprägsam, alarmierend. Die Verdumpfung der Pressesprache auf einen Wortschatz von nur wenigen tausend oder manchmal nur wenigen hundert Wörtern. Und ähnlich auch das Buzzword “Experte” als Verkürzung für einen ganzen Absatz darüber, wieso eigentlich gerade dieser Harry jetzt einer sein soll, dem man das glauben müßte, was er sagt.

2 Kommentare (RSS-Feed)

Stefan
27.3.2009 19:32
Kommentarlink

Ich möchte ein weiteres Phänomen ergänzen, daß die Experten, die vor Fernsehkamera und -mikrofon gezerrt werden in dem seltenen Fall, daß sie sich im Thema wirklich auszukennen scheinen, oft im aktuellen Fall nicht auskennen.

Da werden also Psychologen, die sich mit ausrastenden Schülern auskennen, auf einen Fall wie Winnenden angesetzt, und sollen die Ursachen beleuchten noch bevor die Leichen geborgen sind.

Das korrespondiert mit einem “vor Ort”-Fetischismus, wenn ein Reporter in die Staubwolke geschickt wird um die Lage zu klären, und alle außerhalb der Wolke mehr sehen, als der arme Trottel vor Ort. “Sehen Sie eine erhöhte Radioaktivität?”

In seltenen Fällen weist aber der Experte die Frager in die Schranken, hier ein schöner Fall: “über Polizeistrategien sag ich Ihnen gar nichts!” http://www.stefan-niggemeier.de/blog/fragen-stellen-ist-nun-mal-unser-beruf/
(erstes Video).

Für den Gelegenheitsexperten mag es schwierig sein der Eitelkeit zu widerstehen, einem großen Publikum zu verkünden was los ist. Aber der ärgerliche Tiefpunkt ist erreicht, wenn der Waffenlobbyist erklärt, das Studien ganz klar zeigen, daß Computerspiele die Gewaltschwelle senken. Der muß es ja wissen.

In die Talkshows wird wohl am ehesten der eingeladen, der eine plakative Botschaft hat, und Gewißheit ausstrahlt, und nicht ein Zweifler, der Fragen stellt.

Ich bin, wie man sieht, ein Experten-Experte, und mache eigentlich was ganz anderes. 🙂


Jens
28.3.2009 8:36
Kommentarlink

Zum Niggemeier-Eintrag: Das ist doch mal ein richtiger Experte 🙂