Wieso eigentlich “veröffentlicht” ?
Noch ein paar Gedanken zum wissenschaftlichen Veröffentlichen.
Deutsche Wissenschaftler bilden sich unglaublich viel auf ihre Veröffentlichungslisten ein. Klar, sonst haben sie ja meist nichts, worauf sie sich etwas einbilden könnten. Das geht so weit, daß man bei der Besetzung von Professuren die Bewerbungsschreiben ignoriert und nur allein anhand der Länge der Veröffentlichungslisten auswählt. Veröffentlichungen sind das ein und alles im Universitätszirkus.
Dabei sind diese Auflagen oft mickrig klein. Viele Konferenzbände werden gerade in so kleiner Auflage gedruckt, daß man jedem, der dabei war, ein Exemplar geben und vielleicht noch in die wichtigsten Bibliotheken eins stellen kann. Ein Artikel auf Telepolis spricht von “Auflagen von 400 bis allenfalls 1000 Stück, von denen in den ersten Jahren vielleicht die Hälfte verkauft wird und die einen Druckkostenzuschuß des Autors benötigen”. Die also nicht gedruckt werden, weil sich genügend Leute finden, damit man es wenigstens kostendeckend drucken könnte, sondern weil der Autor dafür zahlt. Wobei man noch darüber spekulieren kann, wieviele der Exemplare, die an Konferenzteilnehmer oder Bibliotheken gehen, überhaupt jemals aufgeschlagen werden.
Und solchen mickrigen Kleinkram nennen die an den Universitäten schon “veröffentlichen” und messen einer Veröffentlichung Wert und Aussagekraft zu?
Wieder mal ein schönes Beispiel dafür, daß die sich sich ihre Maßstäbe ins Absurde zurechtbiegen um sich selbst über andere zu stellen. Jedes einfallslose Kinder- oder Kochbuch liegt um ein Vielfaches darüber.
(Nur so zum Vergleich: An durchschnittlichen Tagen mit ein oder zwei neuen, unauffälligen Artikeln liege ich bei den Zugriffszahlen zu meinem Blog schon deutlich über den oben genannten Auflagen dessen, was die Wissenschaft als “Veröffentlichen” bezeichnet. Pro Tag! Und dabei gehört mein Blog nicht mal zu den hochfrequentierten. Vermutlich nicht mal oder nur knapp zu den mittelfrequentierten. Eine ganze Menge Blogs liegen in den Zugriffszahlen um Größenordnungen über meinem.)
Und dann kann man den meisten Senf in diesen Veröffentlichungen nicht mal mit Suchmaschinen finden, sondern nur dann, wenn man schon weiß, was man sucht und wo es steht, oder zufällig darüberstolpert. Seltsame Auffassung von “öffentlich”.
Alles so lächerlich. Und damit wählen die ihre Professoren aus.
3 Kommentare (RSS-Feed)
Als jemand aus dem Universitaetsumfeld sollte dir doch bekannt sein, dass es zu keinem Zeitpunkt darum geht ein paar Seiten in einem Buch zu haben. Unsere deutschen Exzellenzuniversitaeten koennen sich diese Baende sowieso nicht leisten. Ich kenne auch keinen der das heute wollen wuerde, man benutzt stattdessen Online-Portale um die Artikel direkt als PDF zu beziehen. Zu unserer eigenen Schande koennen sich viele deutsche Unis nichtmal diese leisten.
Die Verlage sind zumindest in meinem Bereich komplett obsolet, sie dienen nur noch als “Siegel”. Diese Siegel weisen nach, dass ein Forschungsergebnis auf einer bestimmten Konferenz vorgetragen wurde. Wer nun selbst Ahnung auf seinem Gebiet hat, kennt die besten Konferenzen und kann damit einschaetzen ob jemand gute Arbeit leisten kann.
Es steht damit jedem “Akademiker” frei, 50 Pubklikationen bei DACH und BSI Kongress zu haben oder irgendwo in Asien oder Hawaii. Wenn man sich dann irgendwo damit bewirbt muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man nur Schrott produziert hat und wenn nicht, warum man keine besseren Konferenzen anvisiert.
Du erwaehnst deine eigenen Zugriffszahlen. Tatsaechlich funktioniert die Blogging-Szene ganz aehnlich. Gute Artikel entfachen Diskussionen in den Kommentaren oder werden von vielen anderen Blogs weiterverlinkt. Und der Leser findet weitere Blogs indem er verfolgt, auf wen seine Top 5 so verlinken.
Publizieren im akademischen Umfeld ist halt schon etwas aelter und hat daher noch einiges an legacy-strukturen(Verlage). Das die eigentlich keiner braucht ist durchaus bekannt: http://cr.yp.to/bib/20050504-copyediting.txt
@Kosta: Ich habe ja nicht gesagt, daß es schlecht ist. Aber gerade weil man es nur so herausgibt, daß es ohnehin nur für diese paar hunder Leute zu haben ist, kann man es nicht als “veröffentlicht” bezeichnen, sondern muß vom Gegenteil, nämlich einer geschlossenen Benutzergruppe ausgehen.
Veröffentlicht ist etwas, wenn ein prinzipiell unbegrenzter Personenkreis darauf zugreifen kann, und zwar unabhängig davon, ob die es verstehen. Die meisten der wissenschaftlichen “Veröffentlichungen” erfüllen das Öffentlichkeitskriterium eigentlich gar nicht.
Zu den “Zugriffszahlen”:
Deine Artikel richten sich an die Allgemeinheit, ein wissenschaftlicher Artikel an ein teilweise extrem kleines Publikum. Bloss weil, um mal ein positives Beispiel zu nehmen, ein nobelpreiswürdiges Mathe-Paper nur von ein paar hundert Leuten überhaupt verstanden wird, heisst das nicht, dass das schlechte Wissenschaft ist. Im Gegenteil.
Aber klar hast Du Recht, es gibt schon durchaus Write-only Journals…