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Mehr Buchkritik: Programmierung und Programmiersprachen – Dissertation von Heike Stach

Hadmut Danisch
21.5.2009 15:43

Ein paar erste Kommentare zu dieser Dissertation hatte ich hier geschrieben. Inzwischen habe ich die Dissertation von Microfiches in eine lesbare Form übertragen.

Ich bitte, zunächst die ersten Anmerkungen zu lesen. Grund dafür, diese Dissertation herauszusuchen sind kritische Anmerkungen in der Blogosphäre zum Bürgerportalprojekt (“De-Mail”), dessen Projektleiterin im BMI eine gewisse Dr. Heike Stach ist, die – wenn ich nicht auf eine Namensgleichheit hereingefallen bin – die Autorin dieser Dissertation zu sein scheint, was auch ihr Werdegang nahelegt. Bei einem informatik- und sicherheitstechnisch so anspruchsvollen Projekt und dem Auftauchen so kritischer Bemerkungen könnte man schon mal auf die Idee kommen nachzulesen, was für Leute da im Bundesinnenministerium zugange sind.

Im Zusammenhang mit meiner Bemerkung über Frauen in der Wissenschaft erlaube ich mir durchaus die boshafte Meinung, daß mit sowas nur Frauen promovieren können, zumal es nicht das erste Mal ist, daß ich sowas als Informatik-Dissertation zum Dr. Ing. von Frauen lese. Von Männern habe ich zwar auch schon viel Mist gelesen, aber noch nie so etwas. Während immer alle schreien, daß es für Frauen in den oberen Etagen doch so viel schwerer sei und Frauen viel mehr als Männer leisten müßten, um dieselben Bewertungen zu bekommen, scheint mir hier das Gegenteil der Fall. Wie ich schon angesprochen habe, habe ich den massiven Eindruck, daß man Frauen zum Hochdrücken der Quote (zumindest in den Neunzigern) ohne jede Mindestanforderung durchpromoviert hat. (Wobei im einzigen Fall, den ich bislang kenne, in dem jemand ganz ohne Dissertation promoviert und die erst zwei Jahre nach der Prüfung auf Anfrage schnell zusammengeflickt hat, als auffiel, daß die Dissertation fehlt, der Doktorand ein Mann war.) Ich kenne auch einen Fall, in dem eine Promotion an eine Frau “verschenkt” wurde, weil man gerade eine als Feierpromotion brauchte. Bei mir verfestigt sich immer mehr der Eindruck, daß die grenzenlose Willkür im deutschen Promotionswesen und das Fehlen jeglicher Kritieren und Übersicht oft dazu geführt haben, daß man Frauen trotz fehlender Befähigung durchgewinkt hat. Derzeit ist mir auch kein einziger Fall bekannt, in dem man – trotz hinreichender Prüfungsleistung – bei einem weiblichen Prüfling Schmiergeld für die Annahme der Arbeit verlangt hat. Das waren immer männliche Prüflinge. Allerdings, und das muß ich sagen, läßt ein Zitat in dieser Dissertation erahnen, daß ein anderer – männlicher – Doktorand aus demselben Stall ähnlichen Mist verzapft hat, was noch zu prüfen wäre. Da das meinen Eindruck über den Haufen werfen würde, werde ich mir die auch mal anschauen müssen.

Verwunderung ruft bei mir schon der Blick in den Lebenslauf am Ende der Dissertation hervor. Da steht “wissenschaftliche Mitarbeiterin im interdisziplinären Forschungsprojekt “Sozialgeschichte der Informatik” an der TU Berlin und Promotionsstudium “Qualitative Methoden in den Sozialwissenschaften”. Schon da drängt sich die Frage auf, wie solche Themen zu einer Promotion in Informatik oder einem Dr. Ing. führen sollten. Das hat schon von den Themen her nichts mit einer Ingenieurtätigkeit zu tun. Auch wenn man sich dieses Forschungsprojekt Sozialgeschichte der Informatik anschaut, gewinnt man den Eindruck, daß es hier nicht um Informatik geht, sondern die Informatik nur ein weiteres der vielen betrachteten Themen der Sozialwissenschaften herhalten muß. Ob Informatik einen solchen kulturellen Hintergrund haben könnte, wie man ihn sehen will, scheint man nicht zu fragen. Wer nur den Hammer kennt, für den sieht alles wie ein Nagel aus, vor allem wenn man fürs Hämmern Forschungsgelder bekommt. Zweifel kommen mir auch bei der Themenlage des ehemaligen Leiters dieses Forschungsbereiches (und anscheinend Doktorvaters), Professor Dirk Siefkes. Die Hauptthemen scheinen Sozialgeschichte und Kultur zu sein. Ein paar Randthemen der Theoretischen Informatik und der Logik. Mehr findet man auf seiner Webseite nicht. Überhaupt keine Ingenieurtätigkeit. Weder bei der Autorin noch bei ihrem Doktorvater. Wo soll denn da ein Dr. Ing. herkommen?

Wenn man wissen möchte, wovon eine Arbeit handelt, schaut man in den Abstract. Der fängt hier so an:

In dieser Arbeit wird untersucht, wie kulturelle Deutungen und Orientierungen, die häufig unreflektiert in die Wissenschafts- und Technikenwicklung einfließen, mit zweckrationalen Entscheidungen in der Konstruktion technischer Konzepte, Methoden und Modelle der Programmierung wechselwirken. Dazu werden einflußreiche, stark rezipierte Fachtexte aus verschiedenen Stadien der Programmierung daraufhin analysiert, wie die vorgestellte Technik, die involvierten Personen (Modellierte, Anwender, Entwickler), die Beziehung Mensch-Technik sowie Gegenstand-Symbolsystem thematisiert werden. Erarbeitet wird, wie diese Vorstellungen sich in der Konstruktion und Gestalt der jeweiligen Artefakte wiederfinden lassen. Zudem fließen Interviews, die ich in den USA mit wichtigen Akteuren der Entwicklung von FORTRAN, ALGOL, COBOL, LISP und des LISP-Vorgängers IPL geführt habe, in die Analyse mit ein. […]

Auf der inhaltlichen Ebene zeige ich den Einfluß ingenieurwissenschaftlicher, mathematischer, neurophysiologischer, biologischer und linguistischer Diskurse in der Entwicklung der Programmierung und von Programmiersprachen auf. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Diskurse erlaubte, technisches Artefakt, Organismus und Symbolsystem eng aneinander zu denken – ein Phänomen, das ich als “Hybridobjekt-Sichtweise” begrifflich fasse. […]

Da geht bei mir der Schwafel-Alarm an. Das ist doch keine Forschungsarbeit der Informatik. Wie das Verwaltungsgericht Karlsruhe kürzlich meinte, muß eine Dissertation in Informatik technisch anspruchsvoll sein und nachweislich erhebliche Neuigkeiten bringen. (Es störte sich nicht daran, daß keine der Vergleichsdissertationen diesen Anforderungen genügte und meinte, die seien dann eben alle zu Unrecht erfolgt.) Selbst wenn man geringere Anforderungen stellt, bleibt mir schleierhaft, wie man im Jahr 1999 noch über längst veraltete Sprachen wie FORTRAN, ALGOL, COBOL, LISP promovieren können soll. LISP kam bei uns in den 80ern im Vordiplom dran.

Seltsam auch die Einleitung, die sich so ähnlich wie der Vorspann von Star Trek anhört:

Diese Arbeit widmet sich der Entstehung von Welten, die aus nichts als Zeichen zusammengesetzt sind. Gemeint sind durch Programmieren geschöpfte “Universen von möglicherweise unbegrenzter Komplexität”, wie Weizenbaum 1977 formulierte.

Diese ganze Arbeit wirkt auf mich, als würde jemand eine Maschine oder Erfindung beschreiben, der sie zwar nicht versteht, aber abergläubisch angehaucht dem Ding irgendeine mystische Tiefe und paranormale Bedeutung zuordnen will, wie wenn ein Mensch, der noch keine Technik-Kontakt hatte, zum ersten mal eine Rolltreppe, einen Fernseher, einen Hubschrauber sieht. Ein Effekt, den ich übrigens auch nicht zum ersten Mal in der Informatik beobachte. Eine ganze Menge Leute in der Informatik und anderen Bereichen verbergen ihre Unfähigkeit, sich ein eigenes Bild von Funktion und Bedeutung technischer Entwicklungen zu machen hinter einem aufgesetzten Personenkult. Das hier scheint mir so etwas ähnliches zu sein. Schon dieser Dualismus (Seite 3), mit dem die Turing-Maschine als Hybridobjekt zwischen Formalismus und sich bewegender Maschine, zwischen menschlichem und maschinellem Rechner, oder der von-Neumann-Architektur als Symbolsystem, Maschine und natürlicher Organismus hingestellt wird, wirkt auf mich ziemlich daneben. Auch die Auffassung der Autorin von objektorientierter Programmierung kommt mir esoterisch vor (Seite 4), und dann noch in einer Kategorie mit Turing-Maschine und von-Neumann-Architektur:

[Weiter zu den Hybridobjekten] “Objekte”, wie sie im Rahmen der Diskussion um objektorientierte Programmierung aktuell sind. Sie können als Modelle und Softwarekonstrukte – als zeichenhaft und beschreibend – und zudem als handelnde Gegenstände gesehen werden.

Hört sich für mich eher so an, als habe da jemand den Unterschied zwischen Spezifikation, Implementierung und Instanziierung nicht verstanden. Dann können wir ja froh sein, daß wir das alles in Software aufschreiben:

Hybridobjekte erscheinen einerseits als schriftliche, beschreibende Zeichen, Notationen oder Symbolfolgen. Als solche könne sie als unvergängliche, die Gedanken konservierende Repräsentanten aufgefaßt werden. Schrift ist in diese Sicht “die bleibende, die sich über die Sterblichkeit des Menschen hinwegsetzt und seine Gedanken, auch die Erinnerung an ihn sebst erhält, wenn sein Körper schon längst verwest ist.”

Deshalb programmiert der Informatiker. Um die Auswirkungen seiner eigenen späteren Verwesung in Grenzen zu halten. Beste Voraussetzungen für eine Diss über Programmiersprachen.

Nun komme ich mit meiner Buchkritik in ein Problem: Ich bin gerade bis etwa Seite 7 gekommen und rege mich schon auf. Die ganze Arbeit hat 256 Seiten. Ich muß also notgedrungen weniger detailliert vorgehen, auch wenn das der Glaubwürdigkeit abträglich ist.

Das andere Problem ist, daß ich mich auch nicht in der Lage sehe, da irgendetwas zusammenzufassen. Normalerweise würde ich sagen, daß in Kapitel x das Thema y mit dem Ergebnis z behandelt wird. Das kann ich hier nicht. Das ist eine Ansammlung von Sätzen mit irgendwie kaum greifbaren Aussagen und seltsamen Sichtweisen, aus denen sich für mich kein geschlossener Sinn ergibt (außer vielleicht dem Hauptsinn deutscher Dissertationen, so lange zu schreiben, bis die fakultätsübliche Seitenzahl erreicht ist). Außer durch wörtliches Zitat kann man das wohl kaum wiedergeben, was in dieser Dissertation steht. Und damit ist diese Dissertation zutiefst geisteswissenschaftlich in dem Sinne, daß man bei denen ja normalerweise auch nicht erkennt, was sie sagen wollen, und das bei denen angeblich sogar als verpönt gilt. Jedenfalls fragt man sich über weiter Strecken, worin der Zusammenhang mit Informatik besteht. Manchmal habe ich da den Eindruck, daß das gesagt wird, was die Verfasserin als Soziologin eigentlich – unabhängig von jeglichem Thema – schon immer mal sagen wollte (oder schon immer gesagt hat), und lediglich ein kleiner Teil des Gesagten an das jeweilige Thema (hier: Informatik) etwas angepasst wird.

Immerhin habe ich dem Text entnehmen können, warum man überhaupt Rechenmaschinen baut, warum man sie schneller machen will und daß das alles geschlechtsabhängig ist (Seite 18):

Daß ein Autor eines technisch-wissenschaftlichen Textes das Um-zu-Motiv “eine Rechenmaschine bauen, um die Geschwindigkeit des Rechnens zu erhöhen” überhaupt benennt, ist demnach vor dem Hintergrund seiner Erfahrungsräume zu verstehen, die er mit anderen Angehörigen besonders der gleichen Generation, des gleichen Geschlechts und Milieus … teilt.

Jau. Wenn jemand einen schnelleren Rechner bauen will, dann weil er die Erfahrung gemacht hat, daß die bisherigen nicht schnell genug sind. Reine Männer- und Milieusache. Auf Seite 26 werden Aussagen des Doktorvaters Siefkes zum Wesen des mathematischen Beweises betrachtet, bei denen ich mich frage, ob der wirklich verstanden hat, worin die Beweiskraft eines mathematischen Beweises liegt und warum darin nicht nur ein rhetorisch gelungenes Überreden des Lesers liegt. Obwohl erschreckend viele Leute in der Informatik auf genau diese Weise “beweisen”.

Dabei findet man auch sehr interessante Punkte, etwa auf Seite 27 mit dem Zitat aus einem Artikel in DIE ZEIT über Wissenschaftsfälschung. Nur kommt das Interessante daran eher von dem externen Autor. Mit dieser Herangehensweise hätte die Autorin sicherlich ganz ordentlich etwas über das Phänomen der Fälschungen und groben Fehler in der Wissenschaft schreiben können, das wäre vermutlich gut geworden. Aber eben nicht über Programmiersprachen.

Zumindest bisher habe ich in dem Werk keine klare Definition darüber gefunden, was eigentlich eine Programmiersprache ist – und über etwas zu promovieren, ohne zu sagen, was es ist, finde ich erstaunlich. Dazwischen finden sich dann solche Aussagen wie (Seite 35)

Die Entstehung der Programmierung und der Programmiersprachen läßt sich in verschiedenster Weise beschreiben – so z. B. als eine Geschichte der Maschinen, ohne die die moderne Programmierung nicht denkbar wäre, der mathematischen Kalküle oder der gesellschaftlichen Formalisierung, und jede dieser Geschichten gewinnt ihre Berechtigung und ihren Erkenntniswert im Kontext eines bestimmten Anliegens, einer Frage, die beantwortet werden soll.

Aha. Jetzt wissen wir’s. Ganz ehrlich: Erinnert mich in erster Linie an einen saublöden Spruch aus der Werbung: “…ist eine Geschichte voller Mißverständnisse”. Die Entstehung der Programmierung als eine Geschichte der Maschinen, ohne die die moderne Programmierung nicht denkbar wäre. So ein Schwachsinn!

Kleiner technischer Hinweis von mir zu Seite 35: Die Bauweise der meisten heutigen Rechner wird nicht deshalb als von-Neumann-Architektur bezeichnet, weil man dessen wichtige Rolle würdigen will, das ist keine Widmung, sondern weil sie nach dem von ihm eingeführten Prinzip arbeiten, daß Daten und Programme zusammen im selben Speicher liegen (anders z. B. Signalprozessoren wie DSP56001). Das hat technische Gründe, die man als Informatiker eigentlich beherrschen und in einer Arbeit über Programmiersprachen aufgreifen müßte (z. B. zur Ausnutzung der diversen Overflows in der Programmiersprache C für Angriffe, indem man Code über den Stack einschleust, was auf die von-Neumann-Architektur zurückgeht). Und als technische Quellen sollte jemand, der in Informatik zum Dr. Ing. promoviert, auch mehr kennen als den SPIEGEL und den Informatik-Duden (Seite 36), die auch nur nach dem ich-schlag-mal-eben-was-was-ich-nicht-kenne-im-Fremdwörterbuch-nach-Verfahren benutzt werden. Dafür erfahren wir – für eine Ingenieurs-Diss unglaublich wichtig – wie von Neumann aufgewachsen ist (Seite 40).

Interessant auch, daß sie immer wieder von Code und Kodierung spricht, dabei aber übersieht, daß man damit eigentlich etwas anderes (oder genauer gesagt, viel mehr, eine Obermenge) als Programmieren meint. Wenn man schon Kodieren im Zusammenhang mit Programmieren verwendet, sollte man auch so präzise sein, daß damit nicht der grundlegende Entwurf des Programmlaufs, sondern die Übersetzung in die jeweilige Maschinensprache gemeint ist (was zwar anklingt, aber erst auf Seite 156 zu FORTRAN, was den Eindruck erweckt, daß die Arbeit linear von vorne nach hinten ohne Überarbeitung geschrieben wurde). Und dann kommt sowas zur Interpretation der Texte von von Neumann (Seite 39):

Auch der Code erscheint wie die Rechenmaschine zunächst als technisches Artefakt und scheint die Maschine zu steuern. Wie die Rechenmaschine auch als eine Art elektronisches Nervensystem oder Gehirn gesehen wird, wird der Code als eine Liste von Befehlen interpretiert, die die Maschine versteht und ausführt. Wie die Maschine im wesentlichen zu rechnen scheint wie ein menschlicher Rechner, scheint der Code Ähnlichkeit mit der mathematischen Sprache zu besitzen.

Ja,das scheint wohl so zu sein. Der Verdacht kam mir auch schon, daß der Programmcode die Maschine steuern könnte.

Dann kommen einige Ausführungen zum Behaviorismus, für die sich jetzt – außer dem schon gebrachten – kein prägnantes Zitat finden ließ. Behaviorismus ist eigentlich kein Thema der Informatik (und selbst wenn man im weitesten Sinne das Verhalten einer Black Box darunter verstehen wollte, müßte man es völlig anders ausdrücken). Da versucht auf 250 Seite jemand mit Soziologen-Wissen eine Informatik-Dissertation zu schreiben. Nicht nur das ist mir unverständlich. Schleierhaft ist mir auch, wie jemand, der so schreibt, überhaupt zu einem Informatik-Diplom kommen konnte. Das verstehe ich nicht. Anscheinend sind die deutschen Informatik-Fakultäten nicht in der Lage, wenigstens einen gewissen Mindestwissensstand zu gewährleisten.

Selbst dann, wenn man Aussagen findet, denen ich im Ergebnis zustimmen kann, habe ich meine Probleme mit dieser Dissertation. So wird auf Seite 115 erläutert, daß die Konstruktion eines Automaten eine ähnliche Tätigkeit wie das Schreiben eines Programms ist. Das ist soweit mehr oder weniger richtig. Es wird aber nicht etwa erklärt, warum das so ist oder worin die Ähnlichkeit besteht. Sondern als Grund wird angegeben, daß McCarthy und ein Lehrbuch zur Informatik von 1992 das auch so sehen. Wenn die das so sagen, muß es wohl so sein. Das ist reines Nachplappern verbaler Aussagen ohne technisches Verständnis. Und daraus zieht sie dann die Schlußfolgerung, daß die Art und Weise, wie von Neumann Automaten konzipierte, auch etwas über die Tätigkeit des Programmierens aussagen könnte – wenn es doch so etwas ähnliches ist. Hilfloser habe ich noch nie jemanden aus dem akademischen Informatik-Bereich an solche Themen herangehen gesehen. Da ist kein inneres, technisches Verständnis da, das wird allein über die verbale Textinterpretation versucht. (Doch, ich weiß doch jemanden, der – nicht immer, aber sehr oft – über den allein verbalen Wort- und Silbenklang und ohne jedes oder mit nur sehr wenig Sachverstand an Sachen herangegangen ist und dessen Denkfehler oft auf dem Verwechseln oder Fehlinterpretieren von Wörtern beruhte: Mein eigener “Doktor-Raben-Vater” Beth). Zitat Seite 116:

Doch wer ist in diesem maschinellen Prozeß die steuernde Instanz? Während operative Symbole manipuliert oder bearbeitet werden, erscheint der Code in den im letzten Kapitel besprochenen Texten als steuernde, selbst manipulierende Instanz. Wenn auch an einigen Stellen zumeinst implizit deutlich wurde, daß die zentrale Steuereinheit für die Kontrolle der Maschine ebenfalls eine Rolle spielt, wurde die steuernde Kraft letztendlich bei den Instruktionen verortet. Es handet sich bei den Codewörtern um scheinbar selbst agierende Notationen.

Ah, ja. Steuernde Kraft. Wer sich jetzt fragt, was dieser Code eigentlich sein soll, findet die Antwort schon auf der nächsten Seite 117, wo jetzt nämlich auch noch die Genetik herhalten muß:

Instruktionen an die Rechenmaschine, der “Code”, scheinen vor diesem Hintergrund im Rechner in etwa das zu vollziehen, was Gene im Organismus tun – auch wenn bzw. gerade weil in den 40er Jahren recht unklar war, was genau Gene eigentlich taten und wie sie gegenständlicher Baustein und Modell und damit Beschreibung und ausführende Kraft in einem sein konnten.

So gesehen haben Programmcode und Genetik nach dem Wissensstand der 40er Jahre bei der Autorin in der Tat erhebliche Gemeinsamkeiten, nämlich daß recht unklar bleibt, was die eigentlich tun.

Wer schon immer mal wissen wollte, was Informatik überhaupt ist, der wird in dieser Dissertation “fündig”, nämlich auf Seite 127, wo die Doktorandin einen ihrer Doktorandenkollegen zitiert:

Die Gerätetechnik wird […] in den Texten auf doppelte Weise aus dem Gegenstandsbereich der Informatik eliminiert. Zum einen erscheinen die Computer und Informationsverarbeitungsanlagen nicht in ihrer Materialität, zum anderen scheinen sie aber auch grundsätzlich für das dynamische Verständnis von Informationsverarbeitung und von Programmen nebensächlich zu sein.

Auf diese Weise präsentieren die drei Autoren die Informatik etztlich als eine Wissenschaft, die sich ausschließlich mit Notationen und der Transformation von Notationen befaßt.

Das wirklich Bösartige daran ist, daß es in der Informatik tatsächliche jede Menge Wissenschaftler Professoren gibt, die genau das glauben und sich für Informatiker halten, weil sie nur Notationen und deren Transformation – oder ähnliches – beherrschen und alles andere für unwürdig halten.

Naja, und dann geht es in Kapitel 4 ab Seite 129 eben mit Programmiersprachen los. Aber nicht etwa so, wie man das als Informatiker kennen würde, so mit kontextfrei und epsilonfrei oder die Einteilung nach Chomsky-0 bis 3 – nichts, gar nichts. Obwohl Chomsky und seine Regeln durchaus erwähnt werden, Seite 134 ff., aber nicht konkret. Die Programmiersprache als mythisch-esoterisches Dingsda. Zitat (Seite 132):

Noch im 16. Jahrhundert wurde Sprache begriffen als von Gott in der Welt niedergelegt.

Auf Seite 134 dann die plötzliche Erkenntnis

Sprache heißt also nicht natürliche Sprache.

Und das in einer Informatik-Dissertation über Programmiersprachen nach 134 Seiten. Jo.

Ab Seite 146 erfahren wir dann die Lebensgeschichte von John Backus. Warum er sein Studium abbrechen mußte. Was er bei der Armee getan hat. Nur vom bis heute wichtigsten, was er für Programmiersprachen getan hat, der Backus-Naur-Form, da steht nichts drin.

Und viel über die Entwicklung von FORTRAN. Wer wann wo wie wen eingestellt hat und so. Tatsächlich kommen auf Seite 159-161 ein paar einfache FORTRAN-Statements mit einer natürlichsprachlichen Erläuterung:

“IF statements”, wie z. B.

IF ( ARG - ALPHA(1)) 4,3,3

Erläuterung: “The IF statement says ‘If ARG – ALPHA(1) is negative go to statement 4, if it is zero go to statement 3 and if it is positive go to 3’.”

Wohlgemerkt, wir reden hier von einer Dissertation über Programmiersprachen aus dem Jahr 1999.

Und dann geht es ab Seite 173 mit ALGOL weiter. Die Autorin stellt zwar fest, daß die Anweisungen jetzt nicht mehr “Befehle” sodern “statements” und “declarations” genannt werden (meine Güte, da hätte man auch mal drauf kommen können, daß da ein technischer Unterschied zwischen einem statement und einer declaration herrscht und da nicht nur lustige neue Wörter eingeführt werden…). Dazu schreibt sie (175):

Dabei erscheinen die “statements” oder “expressions”, wie sie … auch genannt wurden, zum einen als Regeln, die einen anonymen Akteur zum Handeln auffordern (Eulenhöfer 1998b, S. 138): “Die Beschreibung ist als Regel zu verstehen, als Aufforderung zum Handeln, zum Ausführen von Operationen. Wer diese Regeln befolgen soll, wird in dem Report nicht benannt.” Gleichzeitig erscheinen die “statements”, wie ich das bereits für die “FORTRAN-statements” aufgezeicht habe, auch selbst als die Kraft, die eine Aktion in Gang setzt (Eulenhöfer 1998b, S. 139):

“An vielen Stellen legt die Sprechweise nahe, daß die Ausdrücke selbst diejenigen Instanzen sind, die eine Aktion verursachen. Sie werden zum Subjekt der Sätze und erscheinen als treibende Kraft des dynamischen Prozesses.”

Aua! Eulenhöfer ist übrigens der andere Vogel, der in diesem Projekt promoviert hat.

Nur das eigentlich Interessante an ALGOL, daß es die erste Sprache mit formal spezifizierter Syntax (in Backus-Naur-Form) war, das taucht nirgends auf. Was mich nur noch wundert, daß hier nicht auch noch auf Voodoo-Zauber und Ziegen als Opfer eingegangen wird, um die Maschine zu besänftigen und für einen Programmlauf günstig zu stimmen.

Und so geht das dann weiter. Auf Seite 194 das Unterkapitel “Zusammenfassung: Die Rechenmaschine als behavioristisches Labor”. Dann ein Abschnitt über LISP, was ich mir jetzt erspare. Und zum Schluß irgendwelche Schlüsse, die ich nicht verstanden habe. Und dann ist es endlich vorbei.

Ich kann es nicht anders sagen: Wenn ich diese Dissertation lese, fühle ich mich in mehrfacher Hinsicht abgrundtief verarscht:

  • Zum einen – und darin läge die einzige Rechtfertigung für diese Arbeit – muß man sich von der Arbeit an sich beim Lesen verarscht fühlen. Als wollte jemand – vermutlich der Doktorvater Siefkes – sich über die deutsche Hochschulinformatik lustig machen und sie verspotten. Grund genug hätte man dafür. Und um mal sehen, wie lange sich eine solche Arbeit hält bevor es jemand bemerkt.
  • Man fühlt sich von den Promotionsordnungen und dem Prüfungsrecht verarscht. Eine Prüfung ist das Lösen einer gestellten Aufgabe. Hier gibt es keine Aufgabenstellung, kein Problem wird bearbeitet, kein Ziel erreicht, kein Ergebnis produziert. Es ist einfach irgendetwas aufgeschrieben worden um Papier zu produzieren. Und damit keine Prüfungsleistung im rechtlichen Sinne. Da ist keine Prüfungsleistung erbracht worden.
  • Es ist auch nichts neues da. Es heißt immer, man müßte zur Promotion einen Fortschritt liefern. Schon allein die Tatsache, daß man sich hier mit Dingen aus dem Zeitraum von 1940 bis 1960 befaßt, macht es in einer so rasanten Entwicklung wie der Computertechnik sehr unglaubwürdig, daß man überhaupt nach Neuem gesucht hat. Dummerweise hat man nicht einmal das Alte verstanden. Wer diese Dissertation geschrieben hat, hat nicht verstanden, was eine Programmiersprache ist und nicht geringste Gefühl für Sprachen, Automaten, Maschinen, Compiler und Programmierung. Anders gesagt: Hat keine Ahnung von Informatik.
  • Ich fühle mich als Doktorand der Universität Karlsruhe und als Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe verarscht. Wenn ich daran denke, daß man in Karlsruhe gute Leute damit festhält, daß man ihre Promotion gewaltsamt auf 5 bis 8 Jahre ausdehnt, sie ständig mit immer anderen Änderungswünschen schikaniert, man sie ständig Fremdarbeiten ausführen läßt, man teilweise jahrelang warten muß, bis man sich als Doktorand überhaupt anmelden muß und dann – wenn man endlich fertig ist – auch noch Schmiergeld heranschaffen muß um promovieren zu können, während andere mit solchem Geschwafel, das hier noch weit (!) unter Vordiplomswissen liegt, promovieren und in die Ministerien kann, dann fühle ich mich verarscht. Und wenn dann hier ein Gericht auch noch Kriterien aufstellt, welche Wunder in einer Dissertation erfüllt werden müßten, wieviel Neuigkeitswert und anspruchsvolle, die Welt voranbringende Ingenieursleistung darin stecken müßte, und man dann sowas liest, fühlt man sich erneut verarscht.
  • Und weil solche Aussetzer ja nun auch keine Einzelfälle sind, sondern in den Informatikbibliotheken jede Menge fauler Dissertationen gammeln und solche Professoren unterwegs sind, gewinne ich – vor allem nach den Beobachtungen der letzten 15 Jahre – den sich immer mehr verstärkenden Eindruck, daß die deutsche Hochschulinformatik noch nie etwas anderes als Schwindel, Betrug, Hochstapelei war – von wenigen positiven Ausnahmen abgesehen.
  • Und wenn ich daran denke, daß man solche Professoren wie diesen Doktorvater, solche Projekte und solche Arbeiten aus öffentlichen Geldern finanziert, fühle ich mich auch als Steuerzahler verarscht.

Wenn dies tatsächlich dieselbe Heike Stach ist, die als Projektleiterin für das Bürgerportal und Mitglied des IT-Stabes im Bundesinnenministerium sitzt, dann werden wir wohl noch viel Spaß haben. An Materialmangel für mein Blog werde ich wohl nicht leiden.

Abschließende Bemerkung: Ich habe für die Kritik dieser Dissertation weitaus mehr Zeit aufgewandt als nach meinen Beobachtungen deutsche (und schweizerische) Professoren für die Begutachtung einer Dissertation im Prüfungsverfahren aufwenden.

11 Kommentare (RSS-Feed)

Bob
21.5.2009 19:53
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Erstmal: Lang nicht mehr so fies gelacht. Da waren echt einige Hämmer dabei! Ach, unfreiwilliger Humor hat schon was für sich.

Allerdings finde ich, Du malst mit dem Fazit doch sehr schwarz. Zumindest an meiner Uni finde ich viele sehr fähige Professoren und Doktoranden, die gut lehren und gute Paper schreiben (soweit ich das beurteilen kann). Ich muss natürlich zugeben, dass ich jetzt noch keine der Doktorarbeiten selbst gelesen habe…

Das System Hochschule ist in seiner derzeitigen Form allerdings wirklich nicht darauf ausgerichtet, Korruption, Vetternwirtschaft oder Inkompetenz zu bekämpfen. Leider.


Jens
21.5.2009 22:15
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“oder einem Dr. Ing.”

-> “Dr.-Ing.”


Jens
21.5.2009 22:27
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“Die Bauweise der meisten heutigen Rechner wird nicht deshalb als von-Neumann-Architektur bezeichnet, weil man dessen wichtige Rolle würdigen will, das ist keine Widmung, sondern weil sie nach dem von ihm eingeführten Prinzip arbeiten, daß Daten und Programme zusammen im selben Speicher liegen (anders z. B. Signalprozessoren wie DSP56001). Das hat technische Gründe, die man als Informatiker eigentlich beherrschen und in einer Arbeit über Programmiersprachen aufgreifen müßte (z. B. zur Ausnutzung der diversen Overflows”

Wie meinen? von Neumann hat sein Architekturprinzip entwickelt, damit man Stack Overflows ausnutzen kann?


Jens
21.5.2009 22:32
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“ein paar einfache FORTRAN-Statements mit einer natürlichsprachlichen Erläuterung:”

Warum sind die Erläuterungen in einer deutschsprachigen Diss auf Englisch?


Hadmut
21.5.2009 22:42
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@Jens: Nee, natürlich nicht, aber die von-Neumann-Architektur ist dafür besonders anfällig, was man in einer Arbeit über Architekturen und Sprachen hätte betrachten können.

Die Erläuterungen sind auf Englisch, weil sie da irgendeine englische Quelle zitiert.


Jens
22.5.2009 16:00
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“zitiert” kann man das natürlich auch nennen.

In einer Arbeit über die Entwicklung von Programmierung als kulturellen Prozeß hätte man das zum Beispiel mit if-then-else vergleichen können und folgern können, daß die Programmiersprachenformulierung irgendwann mehr an den natürlichsprachlichen Gebrauch heranrückte. Und das der hier verwendete Gebrauch vielleicht ne Abkürzung für irgendeine Notation ist, die Mathematiker vorher schon verwendet haben. Der Schnipsel ist ja vollkommen ohne Aussagekraft und Bezug.


Hadmut
22.5.2009 22:29
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@Bob: Zeig mir mal eine ordentliche Informatik-Promotionsordnung einer deutschen Universität/Fakultät. Zeig mir mal eine, die konkret und klipp und klar sagen kann, was die Anforderungen und Bewertungskriterien für eine Dissertation sind.


quarc
23.5.2009 20:41
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Lesenswerte Kritik.
Ob es Frauen in den oberen Etagen wirklich schwerer haben, wird davon
kaum berührt. Erst einmal spielt die von Dir betriebene Posse noch nicht
in einer richtig hohen Etage. Außerdem verbleiben Promovierte nur
selten an der gleichen Institution, so dass die Qualität der Diss ein
SEP ist.

Aus Deiner Beschreibung habe ich auch den Eindruck, dass das Werk keine
Arbeit aus der Informatik sondern eher aus Soziologie oder Geschichte ist.
Der Grund für die Bezeichnung “Dr. ing.” statt “Dr. phil.” dürfte
vermutlich darin liegen, dass die Arbeit an der betreffenden Fakultät
angefertigt wurde.

Schau Dir zum Beispiel mal auf der Seite von

Ralph Krömer
ganz unten auf der Seite die

Dissertation
an. Da steht auch auf der französischen Titelseite klar,
dass es sich um eine historische Arbeit handelt, aber dennoch wird
auf der deutschen Titelseite die Bezeichnung “Dr. rer. nat.” verwendet.

Die Arbeit ist übrigens in einer ganz anderen Liga, als die von Stach.
Da hat sich jemand Mühe gegeben und versteht worüber er schreibt.


quarc
23.5.2009 20:43
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Vertippt.

Hier
ist der richtige Link zur Diss.


Hadmut
23.5.2009 20:45
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Naja, daß die der den Dr.-Ing. gegeben haben, weil die Informatik-Fakultät nur den im Angebot hat ist mir schon klar. Trotzdem steht dem keine Ingenieur-Leistung gegenüber. Das zeigt doch gerade, daß Promotionen hier völlig willkürlich und nach Gutdünken vergeben werden. Ob man mit einem Dr.-phil. in den IT-Stab des Innenministeriums kommt?


quarc
23.5.2009 23:15
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Meine These ist, dass “Dr. xxx” normalerweise nur Auskunft darüber gibt
an welcher Fakultät die Arbeit angefertigt wurde und nichts über den
Inhalt oder die fachliche Orientierung der Arbeit aussagt (siehe das
Beispiel von Krömer).

Ich habe zwar auch in Adele Deine Beschreibung der Karlsruher
Interpretation von “Dr. rer. nat.” vs “Dr. ing” gelesen, halte
dies aber für eine lokale Spezialität.

Wenn das Forschungsprojekt “Sozialgeschichte der Informatik” in
der geisteswissenschaftlichen Fakultät der TU gelaufen wäre, hätte
sie auch mit einer Arbeit in Informatik einen “Dr. phil.” davongetragen.
Dass man das Projekt nicht dort angesiedelt hat, mag finanzielle
Gründe gehabt haben. Es spielte vielleicht auch eine Rolle, dass
es in der betreffenden Zeit in Mode war, die Informatik und die
Ingenieurfächer mit etwas “Philosophie/Geschichte/Soziologie”
geisteswissenschaftlich zu schmücken.

Was die Karrierechancen im Ministerium angeht, weiß ich nicht, ob sich
die einzelne Bezeichnung da noch groß auswirkt. Womöglich ist denen
sowieso egal, was für ein “Dr.” da vor dem Namen plaziert ist.