Fahren die Universitäten gegen die Wand…
…oder sind sie es schon? Eine Beobachtung von Pressestimmen zu den aktuellen Protesten an den Hochschulen.
Auf Telepolis ist ein interessanter Artikel über den Bologna-Prozeß und das Bologna-Schwarzbuch erschienen. Einige Zitate und Anmerkungen:
An deutschen Hochschulen plagen sich mittlerweile 600.000 der insgesamt ca. zwei Millionen Studierenden in den verdichteten und berufsbezogen auf Employability getrimmten Kurzstudiengängen zu Bachelor und Master. Viele haben dabei den Eindruck, das Recht auf Bildung werde zunehmend durch bloße Berufsausbildung ersetzt, […]
Die Bologna-Reformen werden hierzulande federführend von Bildungsministern und Hochschulrektoren durchgesetzt. Die rektorale bzw. präsidiale Machtposition im “Unternehmen Universität” wurde dabei auf Kosten der akademischen Selbstverwaltung immer weiter ausgebaut. Die Hochschullehrer und selbst die bislang sehr unabhängig – zuweilen auch selbstherrlich – über ihren Lehrstuhl verfügenden Professoren fühlen sich zunehmend gegängelt.
Die Aussage ist an sich paradox – und in ihrer Semantik äußerst zweischneidig und gefährlich. Das Problem der bisherigen Universitätsausbildung war, daß sie sich (in vielen Fächern) überhaupt nicht mit der Berufsausbildung abgab, sondern (so habe ich es jedenfalls erlebt) allein mit den Lieblingsfächern der Professoren, um mit 5-10% der Studierenden einen akademischen Nachwuchs heranzuziehen. Der Rest wurde wie ein unpassender Fisch beim Angeln wieder in den Teich geworfen, damit sich die Wirtschaft aus dem Ausschuß bedienen möge. Ursache waren Ignoranz und Selbstherrlichkeit der Professoren. Eine notwendige Änderung dieser Zustände würde notwendigerweise eine Entmachtung der Professoren mit sich bringen. Das ist unverzichtbar. Man sollte sich also vor Kritik an diesem Punkt hüten. Gefährlich ist aber, daß man da vom Regen in die Traufe kam und die Macht den Ministern und den Rektoren übertragen hat – gerade denen, die von Berufstätigkeit in der Regel am wenigsten Ahnung haben. Rektor wird man mit einer rein akademischen Laufbahn, ohne eigene Berufserfahrung. Und solchen Leuten die Berufsausbildung zu überlassen muß zwangsläufig schiefgehen.
Der Bologna-Prozess ist in einer Unzahl von kleinen Akten vorauseilenden Gehorsams von innen heraus realisiert worden. Die Professorenschaft hat sich aus den verschiedensten Gründen, aber immer ohne äußere Not und inneren Zwang, fast durchgängig zu Handlangern einer Entwicklung gemacht, die bei entschlossenem Handeln oder auch nur einfacher Verweigerung hätte aufgehalten werden können. Die Motive dafür sind sicher vielfältig, das Ergebnis ist eindeutig: ein Desaster.
Auch das ist semantisch doppelschneidig. Richtig ist, daß der Bologna-Prozess in Deutschland von den Professoren unglaublich vermurkst wurde. Die Alternative dazu lautet aber nicht, den Bologna-Prozeß zu unterlassen oder aufzuhalten, sondern es richtig zu machen. Das Problem ist nicht der Bologna-Prozeß. Das Problem ist, daß man die Universitäten mit untauglichem Personal besetzt hat – was bisher nicht so auffiel, aber jetzt zu Tage tritt. Solange die nur den alten Trott in alten Studiengängen nach alter Sitte nachahmten, passierte da nichts. Jetzt sollen die Professoren erstmals selbst etwas neues gestalten – und schon geht es schief. Woher sollen sie das auch können? Gelernt haben sie es ja nie.
Auffallend an der ganze Debatte ist der hohe antidemokratische, diktatorisch orientierte Druck von oben. Und nach gängiger Praxis, die man auch schon aus anderen Themenstellungen kennt, ist die Vorgehensweise, alle Kritiker pauschal zu beschimpfen und vor allem die Bevölkerung ruhigzustellen:
Ein ganz wichtiges Ziel, wenn nicht sogar das Hauptziel des ganzen Programms zur Ökonomisierung der Wissenschaft scheint mir zu sein, die Studentinnen und Studenten, dieses in jeder Gesellschaft immer wieder nachwachsende Potential an Infragestellung und zuweilen auch an Rebellion, dauerhaft karrieristisch ruhig zu stellen.
Ich habe immer mehr den Eindruck, daß “Ruhigstellen” das größte und mit Abstand vorherrschende Stilmittel unserer Regierung – nein, unserer entstehenden Gesellschaft – ist. Demokratie, geistige Wachheit, waren eine Episode des späten 20. Jahrhunderts. Im Prinzip bauen wir wieder eine Zwei-Klassengesellschaft aus Adligen und Bürgerlichen auf. Letztere arbeiten, zahlen Steuern und halten die Klappe. Und damit sie das möglichst lange tun können, müssen Schule und Studium auf ein Minimum reduziert werden. Und die Rente auf 67 erhöht. Und die Steuern angehoben. Es geht einfach darum, aus einer Gesellschaft mehr herauszuholen.
Die meisten BWL-Professoren glauben an die neoliberale Lehre vom heilsbringenden Markt und nehmen sie beim Wort, klagen dann aber über falsche Umsetzung, welche die Hochschul-Bildung zugleich schlechter, bürokratischer und teurer mache. Dahinter liegende Interessen z.B. der Wirtschaftslobbyisten und Medienkonzerne entziehen sich jedoch weitgehend ihrer Wahrnehmung.
So kommt am Ende doch noch Kritik an der elfenbein-eingeschränkten Wahrnehmung von Professoren auf – erstaunlich. Man fragt sich allerdings, ob universitäre Wissenschaft nicht doch eher was mit Ideologien statt mit Wissenschaft zu tun hat. Ist ein Professor nun jemand, der mehr weiß als andere, oder ist es jemand mit einer Berufsstellung, die es ihm erlaubt, viel weniger als normalerweise nötig zu wissen?
Im Zuge von Bologna machen nun BWL-Professoren Erfahrungen am eigenen Leibe, die sie vorher bei anderen nicht sehen wollten. Was Hartz IV-Opfer schon lange wissen: Dem neoliberalen Gerede von Freiheit und Selbstverantwortung steht eine Praxis wachsender Kontrolle und schärferer Zwangsmaßnahmen gegenüber. Warum werden z.B. die neuen Bachelor-Pläne alternativlos durchgedrückt, statt sie mit den alten Diplom-Studiengängen in einen freien Wettbewerb um Studenten zu schicken?
Auch (neo) liberale Politiker greifen offensichtlich lieber zu Methoden von Diktatur und Planwirtschaft, wenn sie fürchten, dass das freie Spiel der Kräfte auf dem sonst von ihnen als Allheilmittel angepriesenen freien Markt nicht die von ihnen gewünschten Ergebnisse zeitigen könnte.
Da ist was dran.
Das Bildungsangebot wird durch die schleichende Kommerzialisierung… zur Ware… so verplant Thüringen inzwischen jeden dritten Euro für Marketing und Außendarstellung statt für bessere Studienbedingungen. Was für eine Fehlallokation (…) Die Verelendung des öffentlichen Bildungswesens könnte aber durchaus Teil einer durchdachten Strategie sein. Nicht nur, dass die Absolventen dadurch immer einseitiger auf die Belange der Wirtschaft ausgerichtet werden – die zunehmende Entstaatlichung der Hochschulen und ihre Öffnung gegenüber profitorientierten Akteuren kann so zugleich als letzte Option zur Rettung der alten Qualitätsstandards ins Spiel gebracht werden.
Fraglich allerdings, welchen Interessen das dienen soll. Wenn man davon ausgeht, daß ein Bachelor im Wesentlichen mit festgelegten Kursen, keinen Wahlfreiheiten, ständigem Prüfungsdruck und Anwesenheitspflicht zu tun hat, fragt man sich, welchem Zweck oder Interesse das überhaupt dienen könnte. Auf welche berufliche Tätigkeit sollte sowas denn vorbereiten können? Mir kommt der Eindruck, daß es hier überhaupt nicht mehr um eine Ausbildung, sondern in erster Linie um die Verkürzung der außerhalb der Industrie verbrachten Lebenszeit geht, und das an sich funktionslose Studium nur noch als Feigenblatt verbleibt. Und damit letztlich abgeschafft wird.
Etwas seltsam finde ich jedoch, wenn sich Leute darüber aufregen, daß sie 400 Studenten im Studium oder 32 Schüler in der Klasse seien. Ich war in Schulklassen von 33 bis 35 Leuten und habe im Informatik-Grundstudium mit etwa 700 Leuten studiert. Ich teile allerdings die Kritik an dieser Verdichtung des Gymnasiums oder des Studiums. Das beste an der Schul- und Studienzeit waren nach meinem Empfinden die Freiräume, die man hatte, um eigene Wege zu gehen. Die Reform nimmt alle diese Freiräume, und mir kommt der Verdacht, daß das das Ziel ist, daß man Leute zur Unselbständigkeit und zur Befolgung von Regeln erziehen will. Was ich gerade eben in den Tagesthemen dazu gehört habe, paßt genau in dieses Bild.
Das typische Denkschema deutscher Hochschulpolitik finde ich allerdings in dieser Aussage wieder:
Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, lehnt den Protest als zu pauschal ab. “Es ist schwer nachzuvollziehen, wie manche Studierende und Professoren derzeit die eigene Hochschulbildung schlechtreden”, schrieb Wintermantel in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung “taz”. Es sei “schädlich und dumm”, die Universitäten als “Verdummungsanstalten zu diffamieren”.
Es wird nicht gefragt, ob die Leute Recht haben. Es wird als schlecht angesehen, überhaupt Kritik zu üben, und damit hat man sie zu unterlassen, anstatt sie zu diskutieren. Kommit mir sehr bekannt vor. Selten stank ein Fisch so sehr vom Kopfe her. An anderer Stelle sagte sie
Die aktuellen Probleme hätten ihre Ursache darin, dass man für die Umsetzung der Reformen „weder Geld noch Zeit gehabt habe“, sagte die Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel. Doch die Solidarisierung der Rektoren mit dem „Bildungsstreik 2009“ und die Kritik am „Staat“, monieren Bildungsexperten, sei scheinheilig: Auch die Hochschulleitungen seien gefordert, für Verbesserungen der Studienbedingungen zu sorgen. So wurden im Zuge der großen Bildungsreformen – auf deren Wunsch – nicht nur die Etats der Hochschulen erhöht, sondern auch deren Kompetenzen erweitert.
Was anderes hätte man von den Professoren erwarten können als die Forderung nach mehr Geld? Die Möglichkeit, daß das Problem nicht auf einen Mangel von Zeit und Geld, sondern auf einen Mangel von Kompetenz, Befähigung und Arbeitswillen zurückzuführen sein könnte, will man nicht sehen. Die können Mist bauen, soviel sie wollen, Schuld sind immer die anderen. Was etwa sollte man von der folgenden Aussage halten?
Da stehen die jungen Leute vor starren Lehrplänen. Und es gibt Sanktionen bis hin zur Zwangs-Exmatrikulation, wenn diese Leistungen nicht in dem neuen, eng gesteckten Zeitrahmen erbracht werden. So weit, so gut.
Würden nicht das Lehrangebot und die Organisation der Hochschulen oft in krassem Gegensatz zu den Anforderungen an die Studenten stehen. Denn die jungen Leute können Vorlesungen und Seminare, die sie laut Prüfungsordnung nachweisen müssen, oft nur deshalb nicht belegen, weil diese unregelmäßig und vor allem ohne jede Bindung an die engen Studienzwänge angeboten werden.
Die Universitäten haben zwar die Prüfungsordnung an die angelsächsische Hochschulausbildung angelehnt, sich selbst aber dem Zwang entzogen, das Lehrangebot an diese Pläne anzupassen. Stattdessen produzieren sie ein folgenschweres Chaos, schüren Ängste und Frustration. Lange schon wurde es Zeit, dass diese Missstände öffentlich gemacht werden.
Nicht die mangelnde Leistung der Studenten führt den Bachelor ad absurdum, sondern die mangelnde Leistung der Hochschulen und der Professoren. Langsam rächt es sich, welche Leute man da eingestellt und unkündbar verbeamtet hat.
Wenn dann noch unsere Bildungsministerin Schavan über “gestrige Proteste” wettert, dann fühle ich mich irgendwo auch verkackeiert. Gerade vor dem Hintergrund, was ich über die Ministerin Schavan bisher schon herausgefunden habe und die Vorgänge bei der Exzellenzinitiative. Und nur dieses Mal, dieses einzige Mal, gehe ich mit den Jusos konform, die die Ministerin Schavan für eine glatte Fehlbesetzung halten. Die Logik, daß wir eine Reform brauchen, und deshalb diese Reform gut und jeder Kritiker schlecht sein muß, erinnert mich fatal an die Vorgehensweise bei der Kinderpornosperre. Ich halte die Politik und mehr noch die Ignoranz unserer derzeitigen Regierung für brandgefährlich. Und irgendwo kommt mir das auch so vor, daß vieles im Hintergrund wieder mit Korruption zu tun hat. Was in hier verlinkten Artikeln durchaus auch angesprochen wurde.
Ich bin mal gespannt, was da noch kommt. Ich glaube aber nicht, daß man das Problem der Personalpolitik bei Berufungen und Rektorwahlen lösen wird.