“Der Flachste wird Professor”
Ich habe mich heute in einem Biergarten mit einigen Leuten getroffen, um mich über das Thema Korruption zu unterhalten, auch über Hochschulkorruption. Und dabei habe ich auch einiges an Informationen und Sichtweisen erfahren und diskutiert. Drei Aspekte aus dem Gespräch erscheinen mir für das Blog erwähnenswert.
Berufungsverfahren
Jemand aus dem Universitätsbereich (Geisteswissenschaften) sagte ganz offen und wie selbstverständlich, daß in Berufungsverfahren immer der “Flachste” ausgesucht wird. Leute, die ihren Standpunkt verteidigen, den Disput aufnehmen, auch mal Kritik üben oder einen Streit führen (kurz: das tun, was ich für eine unverzichtbare Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens und deshalb für richtig halte) hätten überhaupt keine Chance in einem Berufungsverfahren. Von allen Bewerbern würde grundsätzlich (wörtliches Zitat) “der Flachste” ausgewählt. Und der, der das sagte, hielt dies auch für völlig normal und nachvollziehbar. Denn, so seine (meines Erachtens fehlerhafte) Prämisse, es doch in die freie Wahl der Professoren der Fakultät gestellt sei, wen sie als Kollegen haben wollen. Die Meinung herrscht wohl tatsächlich vor. Und nun sei es doch aus der Sicht dieser Professoren folgerichtig und damit objektiv nachvollziehbar, daß sie sich jemanden heraussuchen, der ihnen möglichst wenig Ärger bereitet – und sich eben den heraussuchen, der die wenigsten Ecken und Kanten hat, der am wenigsten in Erscheinung tritt, der am wenigsten Kritik übt. Sprich gerade die Leute auswählt, die die größten Opportunisten und Speichellecker sind, die alles hinnehmen um selbst hingenommen zu werden. Die These an sich ist nicht neu, schon lange wird immer mal wieder kritisiert, daß sich Berufungskommissionen immer den doofsten oder harmlosesten aussuchen um sich nicht Konkurrenz zu machen. Nur daß mir das einer nicht als Kritik, sondern in voller Überzeugung als richtig hinstellt, das hatte ich noch nicht. Ich kenne das bisher nur so, daß es entweder barsch kritisiert oder geleugnet wird.
Das hat natürlich erhebliche negative Auswirkung auf den Selektionsdruck. Es wird eigentlich das untere Mittelmaß selektiert, das immer nur das sagt, womit sie nirgends anecken, und sich um die Frage ob etwas falsch oder richtig ist, nicht weiter schert. Dieser Effekt muß zwangsläufig und unvermeidbar zu kaputten Fakultäten und zu Korruption führen, weil man das einzige, was noch hilft, nämlich die Selbstreinigung, gezielt ausschaltet. Die, die eigentlich den richtigen Wissenschaftler darstellen, denen das Vertreten einer Meinung und die Frage nach der Richtigkeit wichtiger als der Fakultätsfrieden ist, werden ausgesondert. Und das Ergebnis ist klar. Deshalb findet man keinen Professor, der als Sachverständiger gegen einen anderen aussagen würde, und deshalb funktionieren auch die Kommissionen zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht. Weil man sie – wenn sie überhaupt existieren – mit hauseigenen Professoren besetzt, die man zuvor so ausgewählt hat, daß sie sowas gerade nicht tun. Man sucht sich für die Professuren gerade die Leute aus, die eigentlich am wenigsten geeignet sind.
Promotionsverfahren
Mir fehlt noch etwas der Überblick über die Promotionssitten in den anderen Fächergruppen. Über die Wirtschaftswissenschaften erzählte mir jemand folgendes:
Über die Hälfte der Doktoranden würde als externe Doktoranden promovieren. Dabei würden sie sich 3 Tage pro Woche um Aufgaben in einer Firma kümmern, 2 Tage pro Woche kümmern sie sich um ihre Promotion. Dafür zahlt die Firma 4.000 Euro pro Monat. Die Hälfte davon, 2.000 Euro bekommt der Doktorand, die andere der Professor oder das Institut. Daraus ergebe sich eine Situation zum allerseitigen Vorteil:
- Die Firma bekommt für vergleichsweise wenig Geld und temporär einen relativ hoch qualifizierten Arbeiter und kann ihn bereits kennenlernen, um ihn ggf. später einzustellen.
- Der Doktorand bekommt monatlich 2.000 Euro statt der für ein Promotionsstipendium üblichen 1.000 Euro. (Wobei mir jetzt nicht ganz klar ist, wie das steuerlich aussieht und wieviel davon netto übrig bleibt bzw. ob das überhaupt als Einkommen versteuert wird.) Im Gegensatz zu einem regulären wissenschaftlichen Mitarbeiter hat er 2 Tage die Woche, um sich um seine Promotion zu kümmern, während der Mitarbeiter oft keine Zeit bekommt. Außerdem wird er nicht zum Uni-Idioten, sondern hat bereits Berufspraxis und guten Kontakt zu einer Firma.
- Der Professor bekommt einen, der ihm als Doktorand zuarbeitet, ohne für ihn eine Mitarbeiterstelle oder Geld aufwenden zu müssen. Im Gegenteil, der Professor bekommt – für eigentlich fast nichts – monatlich 2.000 Euro. Ich vermute mal, daß es da die einen gibt, die sich das direkt in die Tasche stecken, und die anderen, die das offiziell über das Institut laufen lassen und sich dann aus Institutsmitteln ihr Spielzeug oder ihre Dienstreisen nach Hawaii finanzieren.
Der mir das erzählte, fand das gut und natürlich. Es sei doch zum allerseitigen Vorteil.
Naja, das ist es eben nicht.
Ein Prüfungsverfahren muß so ausgelegt sein, daß für vergleichbare Prüflinge (d.h. alle Doktoranden) möglichst vergleichbare Prüfungsbedingungen herrschen. Wer nicht an so eine Stelle kommt, hat massive Nachteile. Es gelten völlig unterschiedliche Prüfungsvoraussetzungen. Den Nachteil hat der, den man nicht betrachtet, nämlich der andere Prüfling.
Wofür bekommt der Professor (oder das Institut) eigentlich 2.000 Euro monatlich, also insgesamt vielleicht 20.000 bis 50.000 Euro? Zuzüglich des ersparten Gehaltes für den Mitarbeiter? Worin besteht die Gegenleistung? Es gibt keine. Das Geld fällt so vom Himmel. Das ist offene Korruption, Titelhandel, Schmiergeldwirtschaft. Der Professor bekommt einen Haufen Geld für etwas, wofür er kein Geld nehmen darf. Bei Beamten ist das strafbar. Und natürlich wird sich das auch auf seine Prüfungsbewertung auswirken. Ein Professor, der mehrere Zehntausend eingesackt hat, wird wohl kaum noch ernsthafte Kritik an einer Dissertation üben oder der Promotion zu sehr im Wege stehen. Schließlich will er ja auch künftig solche Geschäfte mit der Firma machen.
Da werden im großen Umfang – wie derjenige sagte in angeblich über 50% der Promotionen – Doktorgrade verkauft. Deshalb rennen in manchen Branchen auch so viele Doktoren herum. Und weil von den Beteiligten sich jeder im Vorteil sieht, macht auch keiner das Maul auf, die typische Korruptionssituation.
Da müßte die Strafverfolgung ganz hart reinschlagen, die müßten alle drei eingeknastet werden, auch wenn es bei oberflächlicher Betrachtung nicht gleich einzusehen ist, worin da eigentlich das verbotene schädliche Element liegen soll. Da rennen eben ein Haufen Leute mit Doktorgrad herum und überholen auf dem Karriereweg bessere Leute, nur weil die gerade keinen Doktor haben. Ein solches schmiergeldträchtiges Verfahren täuscht zum Nachteil anderer Qualifikationsunterschiede vor, die so nicht bestehen.
Und wer es dann nicht schafft, für seine Promotion dem Doktorvater Vorteile in mehreren zehntausend Euro Höhe anzuschleppen, dürfte dann wohl kaum noch eine Chance auf Promotion haben. Das ist doch nur noch Schwindel und Betrug. Die Rolle des Professors reduziert sich da doch nur noch auf die des Wegelagerers und Abkassierers auf dem Karriereweg. Wer Karriere machen will, hat dem Professor Zoll, Bakschisch zu zahlen. Und wenn das in diesem Umfang, den er da behauptet, stattfindet, dann ist da sonst nicht mehr viel.
Wann wird da endlich mal die Strafverfolgung aktiv und steckt mal eine komplette Fakultät für ein paar Monate hinter Gitter?
Meine Aufgabenstellung ist also nun, irgendwo mal die Beweise und Informationen über eine solche fakultätsweite Praxis zusammenzutragen. Der, der mir das heute erzählte, meinte, es wäre kein sonderliches Geheimnis, wenn man die richtigen Firmen fragt. Mal sehen, was ich finde. Zu gerne würde ich mal eine ganze Fakultät am Stück rauswerfen lassen.
Grad Schools
Es gab auch einen positiven Aspekt. Wie mir erzählt wurde haben inzwischen einige Fakultäten erkannt, daß das Promotionswesen unvertretbar degeniert und mangelhaft ist und fangen bereits an, die Änderungen der dritten Bologna-Phase umzusetzen und Promotionsstudiengänge einzurichten, in denen der Doktorand nicht mehr von einzelnen Professoren abhängig sondern erstmals wirklich (mehr oder weniger) selbständig ist. Das wäre ein echter Fortschritt.
Ich bin wohl etwa mit dem Blog hinterher, sorry deswegen..
Bei uns (Ingenieure) muss man fuer die Promotion vor einem Promotionsausschuss sein Ergebnis vortragen. Da sind mehrere Professoren anwesend. Ausserdem gibt es immer einen zweiten Reviewer und die Dissertation muss fuer gewisse Zeit beim Pruefungsamt hinterlegt werden.
Daher sehe ich den Vorteil einer “Grad School” nicht. Wenn die Fakultaet das Problem bemerkt, wird sie ja wohl in der Lage sein, ueber den Promotionsausschuss in den jeweiligen Faellen die Promotion zu verweigern.
Die ersten zwei Berichte sind in der Tat ein starkes Stueck. Ich kann mich wohl gluecklich schaetzen, dass mein Lehrstuhl seinen Mitarbeitern eine Menge abverlangt und auch anderen Lehrstuehlen die Meinung sagt.
Dennoch, so abstossend diese Vetternwirtschaft auch ist, muss man auf die eigene Zukunft, die Zukunft des Lehrstuhls und der dort beschaeftigten Leute achten. Die (bei uns sogenannte) Mafia in den Programmkomitees grosser Konferenzen ist sehr stark. Der Druck auf die Universitaeten ist ebenfalls bis hinunter auf die einzelnen Mitarbeiter spuerbar. Man bekommt ausschliesslich befristete Vertraege und die Lehrstuehle werden bei uns unter anderem danach bezahlt, wieviel Studenten in der Klausur ‘abgefertigt’ werden und wieviel Publikationen rausgeprescht wurden. Wenn diese Abhaengigkeiten bestehen und jedes Jahr staerker forciert werden, werden auch die eigensinnigsten Professoren irgendwann einknicken oder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
Einknicken bedeutet bei uns derzeit, dass man gegenueber Ministerien, Firmen und Organisationen freundlich bleibt und deren Auftraege annimmt, auch wenn sie teilweise grossen Unsinn verzapfen und man sich in manchen Projekten manchmal an den Kopf fassen muss ob der (akademisch) wertlosen Arbeit auf die man sich hier verstaendigt hat. Mit den Studiengebuehren kommen jetzt Studenten zu uns und verlangen individuelle “Nachhilfe”, weil sie zur Vorlesung gerade unpaesslich sind. Noch schmeissen wir diese Leute raus, aber subjektiv kommen mir die Klausuren heute schon viel einfacher vor als die, die ich selbst noch bestehen musste..
Uebrigens, um meinen Prof nicht auf die Autoren-Liste zu nehmen muesste schon einiges passieren, denn er gibt sehr wertvolle Hinweise. Ich denke so war das auch mal gedacht, denn man soll in dieser Beziehung ja das wissenschaftliche Arbeiten erlernen. Er macht natuerlich auch ein bisschen Mafia, neudeutsch ‘networking’, sonst haetten wir auf international anerkannten Konferenzen gar keine Chance.