Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Korruption aufdecken – Konferenz-Tag 2

Hadmut Danisch
1.11.2009 1:18

Der heutige Tag auf der Anti-Korruptionskonferenz war dicht gedrängt und voller Informationen, die einen an der Funktionsfähigkeit dieses Staates mehr als nur zweifeln lassen.

Hierzu meine Schnell-Notizen der wichtigsten Punkte (oder der, die mir am interessantesten erschienen):

Pharma-Industrie

Der Vormittag stand im Zeichen der Pharma-Industrie, Journalisten und Pharma-Aussteiger haben berichtet und erläutert.

Die Einschätzung war, daß alle großen Pharma-Konzerne notorische Gesetzesbrecher sind. Deshalb stehen sie in den USA eigentlich ständig vor Gericht und werden in Reihe zu Strafen in Höhe von hunderten Millionen oder gar Milliarden Dollar verurteilt. Stört die aber nicht. In Deutschland passiert ihnen übrigens gar nichts. Es kam dabei immer wieder heraus, daß die Amerikaner noch recht stramm gegen Korruption vorgehen, während Deutschland wegschaut und hier eigentlich so gut wie nichts verfolgt und bekämpft wird.

Ein schönes Beispiel kam aus Österreich, die „österreichische Reform”. Manche Arztpraxen in ländlichen Gegenden dürfen gleichzeitig eine Art Mini-Apotheke sein. Das heißt, daß der Arzt gleich selbst das verkauft, was er eben verschrieben hat. Dazu gaben die Hersteller dann „Naturalrabatte” um den Arzt auf ihre Marke einzuschwören: Nimmt der Arzt 100 Packungen eines Medikamentes ab, bekommt er weitere 100 Packungen kostenlos dazu. Daran hat sich die Politik gestört und wollte Korruption bekämpfen. Also hat man diese Naturalrabatte verboten und nur noch Preisrabatte gestattet. Das Ergebnis: Jetzt kommt dieselbe Pharmafirma und verspricht demselben Arzt einen Rabatt von 50%, wenn er 200 Packungen des Medikaments abnimmt. Es hat sich also gar nichts geändert, man nennt es nur anders.

Generell ist die Pharmaindustrie auch nicht (mehr) forschungs-, sondern marketinggetrieben. Zitat aus der Pharma-Industrie:

Wir kotzen den Ärzten einen Marketing-Mix ins Gesicht, und das Erstaunliche ist, die schlucken das!

Es gibt seit jahren kaum noch neue Wirkstoffe, sondern nur Pseudoinnovationen. An bekannten Wirkstoffen wird am Molekül irgendeine Kleinigkeit geändert, um sie neu patentieren zu können. Diese Medikamente sind nicht besser, aber 40-60% teurer als die alten Wirkstoffe.

Um in den USA 1 Milliarde Dollar Umsatz zu machen, werden normalerweise 50 Millionen Dollar für die Beeinflussung der Ärzte ausgegeben – bei schlechten Medikamenten sogar bis zu 200 Millionen Dollar. „So macht man aus zweitklassigen Medikamenten erstklassige Verkaufsschlager“

Interessant war auch, wie korrupt deutsche Medizinprofessoren sind. Ein Journalist hat sich als Pharmavertreter ausgegeben, Phantasiefirma, nicht mal eine Webseite, deutsche Professoren kontaktiert und gefragt, ob sie für diesen und jenen Betrag einen Wirkstoff an Patienten austesten, sogar mit den bei schwerkranken und behandelten Patienten verbotenen (so hab ich es jedenfalls verstanden) Placebo-Tests. Dazu hat er ihnen noch Honig ums Maul geschmiert (der sowieso aus Boston hat Sie so empfohlen…). Und alle haben Ja gesagt. Da fragt irgendein Fremder von irgendeiner Phantasiefirma an, ob deutsche Professoren gegen Geld irgendein Zeugs in ihre Patienten schütten, und alle machen da hemmungslos mit.

Und in Europa passiert denen gar nichts. Störfälle werden nicht gemeldet. Ein und dasselbe Medikament führt deshalb in den verschiedenen Ländern zu völlig unterschiedlichen Nebenwirkungsquoten. Bei einem Medikament gab es bezogen auf irgendeine Nenngröße (habe ich nicht ganz mitgekriegt, aber natürlich vergleichbar) in Europa 1.000, in Australien 10.000 und in den USA 100.000 Fälle von Nebenwirkungen. Einfach weil die dort genauer zählen. Und schon sieht ein Medikament hier akzeptabel aus, das in den USA nicht eingesetzt werden darf.

Dazu setzen die Pharmafirmen intensiv auch auf die (insbesondere deutsche) Professorenkorruption, denn die brauchen sie für Werbung und Studien. Möglichkeiten, denen Geld zuzuschieben gibt es viele, als normale Drittmittel, als Beratervertrag, oder was die ausufernden Nebentätigkeiten sonst noch alles einbringen.

Die Pharmafirmen stecken inzwischen mehr als doppelt so viel Geld in das Marketing wie in die Forschung, und sind die Branche mit der höchsten Rendite – durchschnittlich haben die eine Rendite von 25% (Umsatzrendite, und nicht nur Kapitalrendite)

Dazu fahren die zu den Ärzten, und durchschnittlich jeder zweite Arzt läßt sich korrumpieren. Die Pharmavertreter haben regelrechte Tabellen, für wieviele Verschreibungen der Arzt einen Flachbildschirm, eine Espressomaschine, oder ein Notebook kommt. Und um zu prüfen, ob das stimmt, gegen die zum Arzt und laden sich aus deren Praxiscomputer die Verschreibungen herunter. Von wegen Arztgeheimnis.

Die Schätzungen, welcher Anteil der Krankenkassenbeiträge auf Korruption entfällt, gehen etwas auseinander, liegen aber zwischen 10 und 30 %.

Da die Bezeichnung „Institut” kein geschützter Begriff ist, kann sich alles und jeder Institut nennen und wirksam Werbung für Medikamente machen. Wie beispielsweise das „Institut für Gesundheitsaufklärung IFGA”

Dabei kommen seltsame Arten der Werbung zusammen. In der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ konnte man Medikamente gegen Geld platzieren, die der Arzt dann im Fernsehen den Patienten verschrieb und sie lobte, und dann in der nächsten Folge fragte, obs denn auch gewirkt hat, und die Patienten dann ganz begeistert waren.

Neutrale Studien, die nicht industriefinanziert sind, sind in diesem System überhaupt nicht mehr vorgesehen. Während Professoren früher nur nach Publikationen berufen wurde, werden sie heute nach Publikationen und Menge der eingeworbenen Drittmittel ausgewählt. Es gibt also bei Berufungen eine harte Auslese zugunsten der Korrupten.

Hintergrund dieser Spiele ist, daß Ärzte dem Früher-war’s-besser-Syndrom unterliegen und über ihre knappen Einkommen jammern, obwohl sie zu den Top-Verdienern gehören mit durchschnittlich 145.000 Euro brutto im Jahr (Reingewinn nach Abzug sämtlicher Kosten).

Dabei wirkt sich die Geldgier der Ärzte unmittelbar negativ auf die Patienten aus. Vor einigen Jahren hat man Geräte zur Knochendichte-Messung (DXA) eingeführt, die eigentlich ganz hervorragend zur Früherkennung geeignet war. Weil der Arzt aber für jede Untersuchung 35 Mark bekam, wurde alles, was in die Praxis kam, da reingesteckt, bis die Krankenkassen die Notbremse ziehen mußten und die Untersuchung nur noch bezahlen, wenn die betroffene Frau schon an Osteoporose erkrankt ist.

Bei Osteoporose ging’s dann hoch her. Da gibt es einen Wirkstoff, der ganz üble Nebenwirkungen hat, weil er das Knochenwachstum verändert. Das wirkt sich überraschenderweise besonders am Kiefer aus. Nimmt man dieses Medikament ein (und wenn ich das richtig verstanden habe, lagert es sich an und nimmt nicht mehr ab, wenn man es absetzt), dann kann es bei Zahnbehandlungen oder Implantaten zu Komplikationen kommen mit der Folge, daß der ganze Kiefer aufweicht und wegfault.

Ein deutscher Professor hat dazu sogar mal ein Paper oder sowas verfasst, wußte also von der Sache. Ein Jahr später machte er riesig Werbung für das Präparat und warb sogar dafür, daß man einmal im Jahr Injektionen mit Langzeitwirkung vornimmt.

Auch interessant ist, wie die Pharmaindustrie den Umsatz steigert: Es werden einfach ein paar Grenzwerte leicht verändert. Beispielsweise, ab wann man als übergewichtig gilt. Oder ab welcher Knochendichte man als osteoporosekrank gilt. Und schon bekommen mehr Leute die Präparate verschrieben. Außerdem bekommen Ärzte – unter dem Vorwand der Beobachtung – Geld dafür, daß sie Patienten bestimmte Medikamente verschreiben. Die Patienten erfahren dabei nie, warum sie gerade das Medikament bekommen. Dadurch werden die Patienten aber darauf festgelegt und so der Umsatz gesteigert.

Die drei Bücher dazu (ich kenne sie selbst noch nicht, habe nur die Vorträge dazu gehört):

Hans Weiss: Korrupte Medizin – Ärzte als Komplizen der Konzerne

Markus Grill: Kranke Geschäfte – Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert

Johannes K. Soyener: Das Pharma-Komplott

Da darin wohl zumindest teilweise auch Machenschaften korrupter Professoren beschrieben werden, kommen die natürlich in meinen Handapparat. Es scheint wirklich so zu sein, daß da ein ganzer Wissenschaftsbereich komplett korrupt ist.

Wie ich gerade so von der Konferenz zurück ins Hotelzimmer komme, schickt mir ein Leser einen Link, der genau zum Thema paßt: In den USA hat eine Forscherin trotz Bezahlung durch die Pharmaindustrie öffentlich gesagt, daß die Impfungen bei jungen Mädchen gegen Gebährmutterhalskrebs nichts bringen.

Korruptionsskandale

Weiter ging es mit Berichten über die Aufklärung der Datenschutzskandale bei der Bahn und (eher am Rande) der Korruptionsaffären bei Siemens.

Dabei haben wir schon ein Berichterstattungsproblem. Die Agenturen kommen nicht mehr damit nach, die Pressemeldungen der Konzerne zu überprüfen. Das wird für perfide Tricks ausgenutzt, beispielsweise die immer mehr verbreiteten falschen Dementis. Zunächst mal wird sowieso alles dementiert, und wenns dann rauskommt, halb zugegeben. Da passiert nichts schlimmes mehr, also macht man es. Noch fauler ist aber die Taktik, etwas ganz anderes zu dementieren. Behauptet eine Zeitung etwa, ein Konzern habe irgendeine schlimme Tat X begangen, dann wirft dessen Presseabteilung eine Pressemitteilung aus, wonach der Konzern eine andere schlimme Tat Y nie begangen habe, unter Beweisantritt. Plötzlich steht die Zeitung so da, als habe sie den Konzern fälschlich und mit offenkundig mangelhafter Recherche der Tat Y beschuldigt und ist in der Verteidigungssituation, der Öffentlichkeit klarmachen zu müssen, daß sie Y nie behauptet habe. Nach der Tat X fragt keiner mehr. So geht das heute. Da herrscht Krieg mit allen Mitteln.

Interessant auch, daß die Bundesregierung als Folge der diversen Datenskandale bei Bahn & Co. das Datenschutzrecht verschärft hat. § 32 BDSG führt nun dazu, daß Korruption nur noch schwer oder gar nicht mehr aufgeklärt werden kann.

Der typische korrupte Mitarbeiter ist übrigens männlich, zwischen 35 und 55 Jahre alt und seit mindestens 8 Jahren in der Firma.

In der Siemens-Affäre ist ihnen durch einen Fehler der Ermittler ein ganz großes Tier durch die Lappen gegangen. Der wäre mit Sicherheit in den Knast gegangen. So bekam er das Bundesverdienstkreuz (ich bin entsetzt über die immer wieder anzutreffende Affinität von Korruption und Bundesverdienstkreuzen).