Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Wer ist schuld am Bologna-Prozeß-Chaos?

Hadmut Danisch
15.11.2009 1:31

In der ZEIT ist ein lesenswerter Artikel über die Ursachen des deutschen Bologna-Debakels erschienen. Zwar geht er meines Erachtens in die richtige Richtung und ist auch sehr gut, aber zwei ganz wesentliche Gründe streift er nur entfernt.

Wie hier schon an anderer Stelle diskutiert wurde, jammern nun viele Professoren, daß ihnen der Bologna-Prozeß von oben aufgezwungen worden sei. Tatsächlich aber hat das Bologna-Studium, besonders der Bachelor, viele Eigenschaften, wie beispielsweise die Dauer von 3 statt 4 Jahren und die chaotischen Zeitpläne, die eben nicht von oben aufgezwungen wurden, sondern hausgemacht sind. Wie an deutschen Universitäten üblich, ist immer jemand anderes schuld und verantwortlich, wenn es schlecht läuft.

Warum überhaupt diese Eile, den Bachelor in 3 Jahren zu machen? In dem ZEIT-Artikel und dem vorangehenden klingt das schon an, der Geist von McKinsey. Ich sehe da etwas schwerwiegendere Gründe. Die Folge des verkürzten Studiums ist, ebenso wie die der Rente ab 67 (und des Wegfalls der Wehrpflicht), daß mehr Leute auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Insgesamt steht so jeder in seinem Leben etwa 3 bis 4 Jahre länger als Arbeitskraft zur Verfügung. Das heißt, das Angebot an verfügbaren „Mannjahren” ist erheblich erhöht, nämlich um fast 10%, während die Nachfrage gleich bleibt. Die zwangsläufige Folge ist, daß es mehr Arbeitslose gibt und die Arbeitslöhne sinken. Man kann sehr wohl vermuten, daß hinter den Aktionen Industrieinteressen am Senken der Löhne und Gehälter stehen. Zynisch gesagt: Wer schneller lernt, ist früher arbeitslos – oder macht jemand anderen arbeitslos. Das dient den Industrieinteressen, ist aber volkswirtschaftlich dumm, solange man hohe Arbeitslosenzahlen hat. Denn ein Student liegt – und das übersehen die meisten, die auf Studenten herumhacken, dem Staat trotz allem weniger auf der Tasche liegt, als ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger, weil er Student sich selbst versorgen muß. Durch das Zusammendrängen der Ausbildung von 4 auf 3 Jahre erreicht der Staat zunächst mal, daß er einer ganzen Reihe Leuten einfach so Arbeitslosengeld oder Hartz-IV zahlen muß (entweder jenem Student oder dem, der sonst den Job hätte). Das Interesse daran liegt eben in sinkenden Gehältern.

Der zweite Grund für das Bologna-Chaos ist, daß man eben jahrelang die Universitäten durch mangelhafte Berufungsverfahren mit Leuten als Professoren geflutet hat, die ihren Job nicht beherrschen. Unter dem Schlagwort der Autonomie der Hochschulen hat man die sich selbst überlassen und die Vetternwirtschaft und den Survival der Mittelmäßigsten einreißen lassen. Wenn man sich heutige Berufungsverfahren ansieht, dann kann die Auswahl unmöglich jemanden hervorbringen, der in der Lage wäre, ein Bachelor-Studium ordentlich zu organisieren.

Das Chaos, das wir gerade sehen, ist die unmittelbare Folge davon, daß man die Universitäten mit unbefähigten Professoren geflutet und diese – irreparabel – als Beamte unkündbar gemacht hat. So wurde die Inkompetenz regelrecht zementiert.

3 Kommentare (RSS-Feed)

Flayte Atorrante
15.11.2009 23:43
Kommentarlink

Viele Professoren jammern, dass ihnen der Bologna-Prozess von oben aufgezwungen worden ist. Die Behauptung, dass sie massiv jammern, ist zweifellos richtig. Damit soll der tatsächliche Grund des Bologna Debakels vernebelt werden. Deutsche Professoren werden nicht nach Kompetenz und Können berufen, sondern einzig nach dem Willen der pressure group, die den Lehrstuhl besitzt. (Gelegentlich werden zur Tarnung zwischen den pressure groups die Lehrstühle quid pro quo getauscht). So landen deutsche Professoren nach dem Parkinson-Gesetz in der Regel dort, wo sie maximal inkompetent sind und sorgen dann für die Betonierung ihrer “Wissenschaftlichen Wichtigkeit”. Obwohl nicht auf so eine Korruption wie in Deutschland, trifft das parkinsonsche Gesetz auch sonst wo in Europa zu. Die Demokratie ist das Leitbild der Europäisierung und Chancengleichheit die Kohäsionsmasse Europas. Im Bologna-Prozess wird nun wahrlich nicht die Vereinheitlichung des Studiums, sondern die Chancengleichheit durch die objektive Evaluation der Studienleistungen erzwungen. Eine europaweite demokratisch objektive Bewertung der im Studium erlangten Fertigkeiten lässt keinen Raum mehr für die fieberhaften Wahnvorstellungen von “Wissenschaftlichkeit” die von solchen compulsiven Bluffern wie die deutschen Professoren losgelassen werden. Sie reagieren verständlicherweise sehr allergisch auf jede objektive Kontrolle ihres Lehrerfolges, zumal sie Sachen lehren, von denen sie in der Regel keine Ahnung haben. Wenn beim Pokern der Gegenspieler “zum Sehen” einzahlt, dann verliert der Bluffer. Bologna will nun die Karten der deutschen Professoren sehen! Das ist einzig und alleine das ganze Bologna-Debakel.
Flayte Atorrante


Hadmut Danisch
15.11.2009 23:55
Kommentarlink

Etwas anders formuliert, als ich es formuliert hätte, aber in der Sache sehr treffend beschrieben.

Insbesondere der Punkt, daß die deutsche Universitätslandschaft überwiegend aus Bluff besteht und der Bologna-Prozeß keine Vereinheitlichung, sondern das “Laß sehen” ist, gefällt mir sehr gut und trifft ziemlich genau meine Sichtweise der Kompetenz deutscher Professoren (und vor allem der Exzellenziniatiative).

In der Konsequenz muß man zu dem Schluß kommen, daß der Bologna-Prozeß exakt und sehr gut das tut, was er soll: Den deutschen Bluff aufdecken.

Ja.


quarc
16.11.2009 21:45
Kommentarlink

Nun ja, “Evaluierung”, “Objektivität”, “Transparenz”, “Kontrolle”,
“Vergleichbarkeit” und die anderen Werbewörter der Bologna-Befürworter
klingen sicherlich erst einmal sehr schön und mögen wie Balsam auf
die Seelen derjenigen wirken, die schon immer gewusst haben, dass
Professoren nicht leisten.
Man sollte meiner Ansicht nach aber gegenüber solchem Marketing mindestens
ebenso misstrauisch sein, wie gegenüber selbsternannter wissenschaftlicher
Kompetenz, und auch etwaige dahinterliegende Interessen nicht ausblenden
(vgl. z.B. hier
oder hier.
Die im (als rechtlich völlig unverbindliches Selbstgeschwätz
der Unbildungsminister gestarteten) Bolognaprozess avisierte
_Vergleichbarkeit_ der Studienabschlüsse wurde in Deutschland auf
_Gleichschaltung_ der Abschlüsse verengt, das Studium verschult
und in kleinschrittig geprüfte Häppchen zerlegt. Die Leidtragenden
sind in erster Linie die Studenten, aber ich habe durchaus Verständnis
dafür, wenn auch Lehrende sich über zusätzliche Arbeit beklagen, welche
weder der Lehre noch der Forschung zugute kommt.

Der berechtigte Vorwurf, den man der deutschen Professorenschaft
machen kann, besteht darin, dass sie sich erst viel zu spät gegen
diese Umsetzung gewandt hat — nämlich als sie selbst die negativen
Folgen zu spüren bekam. Vermutlich haben viele angenommen, der Prozess
werde einfach ohne Spuren an ihnen vorübergehen. Das war in der Tat
von einer Weltfremdheit, wie sie auch in diesem Blog bereits
thematisiert wurde.