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Eine sozio-professorale Kausalpolemik gegen den Bologna-Prozeß

Hadmut Danisch
27.11.2009 0:05

Die Kette unseriöser und interessengesteuerter Polemik der Professoren gegen den Bologna-Prozeß reißt nicht ab.

Über das Blog Erlebt bin ich auf einen Artikel in der FAZ gestoßen, „Mehr universitären Liberalismus wagen” von Armin Nassehi, einem Soziologie-Professor an der LMU München.

Schon der Titel ist daneben und unlogisch. Wenn man sich gegen die Bologna-Änderungen wendet und zu den Zuständen davor zurückwill, dann ist „Mehr … wagen” einfach die falsche Phrase, denn sie bedeutet, daß man etwas erstmals tun will. Aber eine flotte Überschrift war wohl wichtiger als deren Sinnhaftigkeit.

Erstaunlich auch, daß immer dann, wenn für Liberalismus (gemeint ist eher Neoliberalismus) immer der Liberalismus der Professoren gemeint ist. Der Dualismus des Professors ist, daß er einerseits abgesichert, unkündbar und steuerbezahlt wie ein Beamter, und zum anderen unabhängig und eigenverantwortlich wie ein Freiberufler sein will. Von allem nur die Vorteile, nie die Pflichten. Daß aber die Universität auch ein Ort der Prüfungen und damit der Grundrechtseingriffe ist, und die Universitäten sich daher zwangsläufig unter die Anforderungen des Grundgesetzes stellen müssen, scheint auch diesem Professor nicht in den Kopf zu wollen.

Die Studenten pflegen – neben Revolutionsrhetorik und neben der immer noch nicht ausgestorbenen ironischen Kombination von basisdemokratischen Verfahren mit endlosen Geschäftsordnungsdebatten – vor allem die Klage über den neoliberalen Geist der Hochschulreformen. Das ist inzwischen so erwartbar, dass man kaum genau nachdenkt. Den Befund „Neoliberalismus“ schlicht für falsch zu halten, hilft aber auch nicht weiter. Denn er hat nicht einmal das Zeug, falsch zu sein.

Dieser Professor hat nicht verstanden, wovon er redet – oder er will den Leser bewußt täuschen. Denn die Hochschulreformen zu Bachelor und Master und die Hochschulreformen zum Neoliberalismus sind nicht die gleichen – sie sind gegenläufig.

Die neoliberalen Hochschulreformen sind die, die die Universitäten immer weiter aus jeder Kontrolle aushängen, also was man so unter Autonomie der Hochschulen versteht, Hochschulräte und so weiter. Diese Reformen gehen aus Deutschland intern hervor. Die andere Hochschulreform mit Bachelor und Master geht aus Europa hervor und läuft in die entgegengesetzte Richtung, denn sie hat gerade zum Ziel, die durch Eigensinnigkeit und fehlende Kontrolle – gerade den Neoliberalismus – verursachte Undurchsichtigkeit und Unvergleichbarkeit der Prüfungen und Ausbildungen zu bekämpfen. Bologna ist nicht der Neoliberalismus, Bologna versucht den Schaden einzugrenzen, den der Neoliberalismus verursacht. Das deutsche Hochschulwesen mit seiner Willkür und Vetternwirtschaft, verstärkt durch den Neoliberalismus, war das paradoxe Phänomen, das einerseits den Bologna-Prozeß so notwendig gemacht und andererseits die Besetzung der Universitäten mit Professoren verursacht hat, die den Bologna-Anforderungen mangels Kompetenz nicht genügen können. Dieser Professor hier versucht das zu verdecken indem er beides miteinander so verrührt, daß der Zusammenhang verloren geht.

Daß er das dabei nicht so ganz verstanden hat, merkt man mehrfach:

Nicht eine (neo-)liberale Deregulierung kann man hier beobachten, auch keine „ökonomische“ Flexibilisierung. Das ist nicht der Geist dieser Reformen. Es ist eher der Odem, sagen wir besser: der Schwefelduft sozialistischer Fünfjahrespläne, den man hier riechen kann. Wie weiland in der staatlich gesteuerten Ökonomie des Ostblocks die Karotten- und Stahlträgerernte der nächsten fünf Jahre bis auf die einzelne Wurzel und bis auf die konkrete Tonne Stahl vorberechnet und kalkuliert wurde, scheint das Idealbild der neuen Studiengänge ein vollständig durchgeplanter Studienverlauf zu sein. Ähnlich wie in der politischen Ökonomie des Fünfjahresplans erzeugt der Dreijahresplan eines grundständigen Bachelor-Studiengangs die Illusion der Planbarkeit und Kontrolle.

Im Prinzip gibt er hier sogar zu, daß die Bologna-Reform nichts mit dem Neoliberalismus zu tun hat (was übrigens darauf hindeutet, daß er nicht sonderlich über seinen Artikel nachgedacht hat). Die eigentlich Absicht ist ja, wie beschrieben, für die Ausbildung eine klare, greifbare, nachprüfbare Leistung zu fordern, was die deutschen Professoren bisher nicht in der Lage waren zu leisten. Die haben noch nie irgendwelchen Leistungsanforderungen gegenübergestanden. Nun sind sie zum ersten Mal damit konfrontiert, daß irgendwer von ihnen etwas für ihr Gehalt haben will, und schon beschwert er sich über eine sozialistische Planwirtschaft – einfach nur schon deshalb, weil man erwartet, daß sie in gewisser Zeit ein gewisses Ausbildungsziel erreichen.

Zu meiner Zeit gab es das nicht. Da hat jeder Prof gelehrt, was und wann er Lust hatte, und die Studenten hatten das zu fressen. Ich war selbst als Hiwi und Mitarbeiter an Vordiplomsvorlesungen beteiligt, die einfach katastrophal waren. Der Professor hatte selbst nie Informatik studiert und den Stoff einfach nicht beherrscht. Der war nicht befähigt, eine Informatik-Grundausbildung zu leisten, hat stattdessen wirres Zeug über seine Genialität und die Fouriertransformation erzählt. Das Ergebnis waren Studenten, die weder mit denen im Jahr davor, noch mit denen im Jahr danach gleichziehen konnten und mit allen anderen Vorlesungen überfordert waren, weil sie die nötigen Grundkenntnisse nicht hatten. Wir versuchten damals noch, über die großen Übungen und die Tutorien, sogar über private Lerngruppen, das schlimmste zu verhindern. Auch in meinem eigenen Hauptdiplom sah das nicht besser aus. Kein roter Faden im Studienplan, es hat einfach nur jeder Professor das angeboten, was er gerade macht um im Spaß bringt, und die Studenten haben sich das anzuhören. Ausbildungswert praktisch nahe Null. Weil die Professoren nicht in der Lage (und auch nichts willens) waren, eine vernünftige fundierte Ausbildung zu leisten. Und genau das will und soll der Bologna-Prozeß beheben. Das ist eine gute Sache.

Der wesentliche Fehler im Bologna-Prozeß ist aber, daß nicht berücksichtigt wurde, daß in Deutschland die Professoren verbeamtet sind und man sie nicht einfach loswird. Die Professoren, deren mangelnde Befähigung zu den Ausbildungsmängeln geführt hat, die der Bologna-Prozeß beheben soll, werden ja nicht von gestern auf heute dazu befähigt – sonst hätten wir das Problem nicht. Und genau zu dieser Sorte Professor scheint der Autor zu gehören, sonst würde er hier nicht so giftig über den sozialistischen Fünfjahresplan schimpfen.

Das Bezugsproblem strenger Planung und enger Kontrolle ist Unsicherheit und Misstrauen. Strenge Planung braucht man nur dann, wenn Unsicherheit darüber herrscht, wie Prozessabläufe und Routinen sich selbst entwickeln.

Die Aussage ist falsch. Das stimmt nur, wenn man mit etwas neuem beginnt. In Deutschland hat das Universitätswesen inzwischen aber knapp 60 Jahre auf dem Buckel, und man hat es nicht geschafft, ordentliche Abschlüsse festzulegen. In meinem Studium herrschte blankes Chaos, von Prozessabläufen und Routinen nicht die Spur. Die Fakultät war beherrscht von Professoren die – sorry, aber ich sage es mal in aller Klarheit und auf Deutsch – zu korrupt, zu faul, zu desinteressiert oder einfach zu blöd dafür waren. In 60 Jahren haben wir es nicht geschafft – besser gesagt: erfolgreich verhindert – wirksame Berufungsverfahren zu etablieren. Nicht die Unsicherheit über künftige Prozessabläufe bringt die strenge Planung, sondern der 60 Jahre lange Nachweis, daß es ohne strenge Planung in Deutschland nicht geht.

Vorsicht ist deshalb vor Leuten – wie dem Autor – geboten, die das Fehlen von Prozessen oder die Unfähigkeit von Prozessen als „eigensinnige Prozesse” schönreden will. Als ob jemand, der nicht schwimmen kann, das als eigenwilligen Schwimmstil ausgeben wollte. Eigensinn heißt hier wohl nur, von jeglichem Fremdsinn befreit zu sein. Es heißt nicht, daß genügend eigener Sinn da ist. Denn auch ein eigensinniger Lehrer müßte 3 Jahre im voraus planen können, was er lehren will.

Und enger Kontrolle bedarf es wesentlich dann, wenn man eigensinnigen Prozessen misstraut. Das sozialistische Modell des Fünfjahresplans ist geradezu die Inkarnation des Misstrauens gegenüber Kreativität von unten.

Nein. Es ist das begründete Mißtrauen gegen das Fehlen der Kreativität von oben.

Die Reform ist weniger eine deregulierend-liberale Reform, sondern eine regulierend-sozialistische, wenn man solche Etikettierungen überhaupt verwenden will.

Abgesehen von der unpassenden Wortwahl ist das an sich richtig. Aber es verdeckt eben, daß es die jahrzehntelange Willkür der deutschen Professoren war, mit der sie diese Art der Regulierung notwendig gemacht und sie sich selbst eingehandelt haben. Um liberal zu sein, muß man eine bestimmte Qualität aus eigenem Antrieb erreichen und einhalten. Und das hat man in Deutschland nicht getan. Hätte man sich vorher mal angestrengt, hätte man das Desaster vermeiden können.

Aber wie immer bei Professoren, schuld sind immer die anderen.