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Wissenschaftsfreiheit?

Hadmut Danisch
27.3.2010 10:36

Ein Hartz-IV-Streit wirft Fragen auf.

Die Sächsische Zeitung berichtet darüber, daß gegen den „umstrittenen Sozialpädagogikprofessor Gunnar Heinsohn” wegen dessen Äußerungen zahlreiche Strafanzeigen wegen Beleidigung und Volksverhetzung eingegangen wären. Ursache sei ein Artikel in der WELT, womit vermutlich dieser da gemeint ist.

Der Artikel ist sicherlich provokant und extrem. Aber er ist zumindest nicht so formuliert, daß er in der Form aus dem Rahmen fiele, unsubstantiiert wäre oder sich einer Diskussion und Überprüfung entzöge. Ohne jetzt die Frage der Richtigkeit aufwerfen zu wollen, die meisten der in Deutschland veröffentlichten Aussagen von Wissenschaftlern sind so gehalten, daß sich niemand dran stört, man keine verifizierbaren oder falsifizierbaren Anhaltspunkte darin findet und sie am besten überhaupt nie jemand liest, damit nicht auffällt, was drin steht. Viele versuchen, da möglichst unsichtbar, unauffällig, ungestört in ihrem Beamtenstatus zu hocken. Und wenn, dann schwätzen sie mainstream. Insofern ist es durchaus mal ein positiver Ansatz, daß ein Professor nach außen hin überhaupt einen konkret greifbaren und kontroversen Standpunkt einnimmt.

Ob der in der Sache richtig ist – will ich hier nicht diskutieren. Erstaunlich fand ich aber die Überschrift: „Keine Hartz-IV-Verbeamtung auf Lebenszeit” Inhalt: Da werden Leute auf Lebenszeit vom Steuerzahler alimentiert, arbeiten nichts und kommen da auch nie wieder raus, weshalb sich da ein arbeitsunwilliger Bodensatz einnistet, der sich von anderen bezahlen und bedienen läßt. Mein erster Gedanke: Genau wie bei den deutschen Professoren. Hartz-IV oder C4?

Mich zwickt da aber etwas anderes:

Man kann sehr wohl darüber streiten (und das Thema habe ich hier ja schon mehrfach angesprochen), ob man Sozialwissenschaftler überhaupt als Wissenschaftler ansehen kann. Bei deren Methodik und Dampfgeschwätz. Aber tun wir hier zum Zwecke des Disputs mal so, als gehörten sie zum Wissenschaftszirkus dazu (was sie de facto ja auch tun).

Dann muß auch für Sozialwissenschaftler die Wissenschaftsfreiheit gelten und damit die Freiheit, auch kontroverse Standpunkte (und alle anderen wären ja uninteresseant bis wertlos) zu äußern, allein schon um sie zu falsifizieren. In dem Moment, wo einem Wissenschaftler die Freiheit genommen wird, auch Standpunkte zu äußern, die man je nach Ausrichtung als bittere Wahrheit oder Bockmist ansehen kann, ist die Wissenschaftsfreiheit verletzt. Wenn man nur noch das äußern kann, was der political correctness entspricht und niemanden stört, kommt die Wissenschaft schlechthin zum erliegen. Wissenschaft ist ein evolutionärer Prozess, der durch ständiges Suchen und Abweichen vorangetrieben werden muß und sich nicht auf der Schiene des politisch Korrekten bewegen kann.

Ich bin mal gespannt, ob es da zu einem Strafverfahren kommt. Und ich wüßte zu gerne, wer da alles Strafanzeige erstattet hat. Nur beleidigte Bürger oder auch Politiker?

Ein paar Aussagen möchte ich jedoch – nicht als Hartz-IV, sondern als generelles politisches Problem – durchaus aufgreifen:

Das Hauptproblem für den Sozialstaat sind nicht die knapp sieben Millionen Hartz-IV-Bürger. Das viel ernstere Problem ist das Verschwinden der arbeitsfähigen Bürger, die sie versorgen können. Wenn die Zahl unserer Leister wachsen würde oder auch nur stabil bliebe, gäbe es für Hartz IV viel weniger Aufmerksamkeit. Aber von 100 neuen Bürgern, die wir gegen weitere Vergreisung benötigen, werden nur 65 geboren. 10 davon wandern aus, weitere 15 gelten momentan als nicht ausbildungsreif. Die letzten aufrechten 40 verlieren dann den Mut und träumen ebenfalls vom Weggehen. […]

Vor allem berührt selbst eine tief greifende Änderung das viel größere Problem des massiven Wegbrechens der Gruppe der Hochqualifizierten nicht. Wir bilden weniger Ingenieure aus, als in Rente gehen, und haben doch fast nur dieses eine Pfund, mit dem wir global wuchern können. Selbst das auf Finanzen fokussierte England schafft zweimal mehr junge Ingenieure als ausscheiden.

Das trifft sehr gut die allgemeine Beobachtung, daß wir hier in Deutschland ein drei Schichtensystem haben und die arbeitende Mittelschicht die beiden anderen Schichten ernähren und aushalten muß, aber selbst immer dünner wird und wegbricht. Meine alte These ist, daß diese Mittelschicht ihren Krempel packen und auswandern sollte, und dann die Unter- und die Oberschicht hier alleine hocken lassen soll. Mal sehen, wie die dann miteinander auskommen. Und daß es auf dem Arbeitsmarkt inzwischen immer schwieriger wird, Stellen zu besetzen, deutet ja daraufhin, daß das schon passiert. Die wegbrechenden Steuereinnahmen sind ja auch ein Anzeichen dafür, daß die Kapazität dieser Mittelschicht schwindet. Auf der einen Seite haben wir immer mehr „Hartz-IV-Beamte”, auf der anderen Seite immer mehr, die sich durch Steuerhinterziehung, Boni, Vorstandsgehälter die Taschen mit Millionen vollstopfen. Und irgendwo muß es ja herkommen.

Ein Kommentar (RSS-Feed)

Mephane
29.3.2010 18:59
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Naja, man braucht sich darüber nicht zu wundern. Zum Beispiel besagtes Beispiel mit der Zahl der Ingenieure – ich stand auch mal vor der Wahl

a) mit hohen Unkosten und zwangsläufig hoher Verschuldung in einem völlig durchkorrumpierten Universitätssystem studieren
b) betriebliche Ausbildung machen

Ich habe mich schließlich für letzterer entschieden. Das System zerfrisst sich früher oder später selbst.