“Sachverständige” für Enquete-Kommission benannt – meine Kritik
Laut einem Blog der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurden die “Sachverständigen” für die Enquete-Kommission “Internet und Digitale Gesellschaft” benannt. Ich erlaube mir Kritik.
Das Blog wirbt damit, daß sich die Leser an der Diskussion mit Kommentaren beteiligen sollen. Auch behaupten sie, daß der Bürger der 18. Sachverständige sein soll. Nur gerade an besagtem Blog-Artikel haben sie die Kommentarfunktion (zumindest laut meinem Browser) abgeschaltet. Da zeichnet sich schon frühzeitig ab, wie diese Rolle des Bürgers aussehen wird – abgedreht, wenn man Kritik erwartet.
Wieder einmal muß man fragen, was die hohe Politik denn so unter “Sachverständige” versteht. Da kann man sich eigentlich nur wundern:
Nicole Simon ist Social Media Consultant. Sie publiziert insbesondere in ihrem Blog „cruel to be kind“ und unter @nicolesimon auf Twitter.
Von der habe ich noch nie etwas gehört. Wer soll das sein? Was soll denn ein „Social Media Consultant” sein? Hab ich auch noch nie gehört. Ein Phantasieberuf? So eine ungeschützte Berufsbezeichnung, die sich jeder ohne Ausbildung geben kann?
Google kennt den Begriff und verweist auf den ersten Stellen auf so illustre Artikel wie
- Social Media Consultant or Snake Oil Salesman?
- Just What is a Social Media Consultant Anyway?
- www.jmorganmarketing.com, eine Marketing-Beratung, bezeichnet sich als Social Media Consultant
Wenn man das da so liest, hört sich „Social Media Consultant” für mich an wie eine krude Mischung aus Markting, PR-Beratung, heißer Luft und dem Versuch zu überbrücken, daß man gerade nichts ordentliches zu tun oder vielleicht auch gar nichts ordentliches gelernt hat. Aber ja, wer in einem Blog publiziert und twittert, der gilt heute schon als „sachverständig”, als Experte. Wieviel Sachverstand muß eigentlich ein Laie selbst haben, um einen Sachverständigen als solchen auswählen zu können?
Ich jedenfalls tue mir schwer jemanden als Sachverständigen für neue Medien anzusehen, dessen Blog kein rechtskonformes Impressum hat. Aber daß gerade bei Frauen die Selbstdarstellung vor die Sachkunde rückt, will ich hier jetzt nicht neu aufbrühen, darüber habe ich schon diverses geschrieben. Immerhin findet sich unter Contact eine erfrischende Selbstdarstellung:
About Nicole Simon
Lead author of the German Twitter book, Social Media Strategist, business lifehacker for fun, Founder Girl Geek Dinner Germany.
I love to help people understand on how to use these tools for their purposes, for example through Social Media Training. You can find out more about me, my services, where I am speaking and my projects.
„Girl Geek Dinner Germany.” Ah, ja. Verstehe. Studiert oder Berufserfahrung haben muß man auch nicht mehr, um in der Politik heute als sachverständig zu gelten. Und wenn man sich anschaut, daß man die Frau – statt der üblichen Impressumsangaben – nur über Facebook, Xing, LinkedIn und Plaxo (?) erreichen können soll, komme ich mir veralbert vor. Sowas ist doch absolut unseriös und lächerlich. Sowas kenne ich aus der Nachverfolgung von Spammern und Internetkriminellen, die tarnen sich auch hinter sowas. Wo soll da die Sachkunde stecken? Jede x-beliebige Person kann sich von heute auf morgen „Social Media Consultant” nennen, bloggen und twittern. Das nötige Wissen dazu haben heute 14-jährige Schüler.
Immerhin läßt sich ein Blog-Artikel mit etwas Selbstdarstellung und ein paar Worten zu Beruf und Berufserfahrung finden. Ausbildung als Wirtschaftsinformatikerin BA, Erfahrung mit BTX (!), „zwei Jahrzehnte mit Online-Themen beschäftigt”. Noch mickriger könnte die berufliche Befähigung kaum ausfallen. (Bevor sich jemand aufregt: Ich war auch schon Diplom-Prüfer an einer BA. Die backen zwar solide, aber doch sehr kleine Brötchen.)
Wie kann man so jemanden in eine Enquete-Kommission einer Regierung setzen? Was geht denn da vor sich? Wer zum Kuckuck sucht eine solche Person für eine Enquete-Kommission aus, wer steckt da dahinter? (Wenn ich andererseits bedenke, was für Leute hier Bundesminister werden können, dann wundert mich da eigentlich nichts mehr, wir werden von immer mehr Narren und Laien regiert.)
Professor Dieter Gorny ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie e. V.
Das zeigt mal wieder, daß bei der CDU/CSU ein „Sachverständiger” nur ein Interessenvertreter ist. In Anlehnung an die diversen Skandale mit Parteispenden und gekaufter Zuhörzeit bei CDU-Politikern schwant mir da übles. Das riecht so richtig nach in die Kommission reingekauft.
Davon ganz abgesehen erscheinen mir die bisherigen Aktionen der Musikindustrie (und da weiß ich auch etwas mehr als in der Presse so stand) als alles andere als sachverständig und seriös. Im Gegenteil muß man viele der Abmahnmodelle der Musikindustrie als unseriös und betrügerisch ansehen – und das werden sie ja auch.
Harald Lemke
Harald Lemke war Staatssekretär im hessischen Innenministerium und verantwortlich für E-Government und Informationstechnologie. Er war bundesweit der erste „Chief Information Officer“ einer deutschen Landesregierung.
Oh, ein echter Informatiker mit RZ-Erfahrung. Das ist doch mal was. Und dann hat er sein Diplom nicht von einer Uni sondern von einer FH. Der könnte wirklich Ahnung haben.
Wolf-Dieter Ring
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring ist Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz.
Hmmpf. Ein Jurist aus der Medienbranche. Mal sehen, was der so sagt.
Christof Weinhardt
Prof. Dr. Christof Weinhardt vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT) ist Mitgründer und Leiter des Instituts für Informationswirtschaft und -management (IISM) der Universität Karlsruhe (TH). Außerdem ist er Direktor am FZI – Forschungszentrum Informatik an der Universität Karlsruhe.
Wenn ich mir anschaue, wie die Berufungsverfahren an der Uni Karlsruhe laufen und kürzlich in einem Berufungsverfahren explizit geäußert wurde, daß Sachkunde und Berufserfahrung ausdrücklich unerwünscht sind, bekomme ich da schon Bauchschmerzen. Wenn ich daran denke, daß die Uni Karlsruhe unlängst einem Gericht vorgetragen hat, daß sie keinen einzigen Professor hat, der Themen der IT Sicherheit beurteilen könnte, bekomme ich noch mehr Bauchschmerzen. Und wenn ich dann sehe, daß der von seiner Ausrichtung aus den Wirtschaftswissenschaften kommt, frage ich mich, was ein Wirtschaftswissenschaftler überhaupt in so einer Kommission verloren hat. Andererseits ist zu bedenken, daß die Karlsruher Informatiker sich schon oft dadurch hervorgetan haben, daß sie dort von Informatik am wenigsten Ahnung haben und mehrfach schon in solchen Themen von Physikern, E-Technikern und Wirtschaftswissenschaftlern überholt wurden.
Was mich an der ganzen Sache am meisten stört: Es heißt zwar überall, daß eine Enquete-Kommission mit Sachverständigen besetzt würde. Das stimmt aber nicht. Diese Kommissionen sind in § 56 der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Und da steht nichts von Sachverständigen, sondern nur von Mitgliedern. Im Beschluss dazu ist allerdings die Rede von 17 Mitgliedern und 17 Sachverständigen. Und bei einigen dieser Personen habe ich doch erhebliche Zweifel, daß die den Anforderungen an einen Sachverständigen genügen. (Böse Zungen würden jetzt fragen, ob die gesamte Schnittmenge aus deutschen Sachverständigen einerseits und von unseren Politikern erwünschten Personen andererseits überhaupt 17 Personen groß sein kann, und ob sich beides nicht bereits ausschließt, aber das ist ein anderes Thema.) Jedenfalls halte ich die Auswahl dieser Personen für ungeeignet, um die im Beschluss genannten Themen zu untersuchen. Als hätte man die angepeilten Themen überhaupt nicht beachtet. Und der Beschluss sagt eben auch „Sachverständige” und nicht Interessenvertreter oder Lobbyisten. Schon daher halte ich die Zusammensetzung für unzulässig.
Der Bundestag selbst jedoch wünscht sich, daß es eine „breite Partizipation” der Bürger durch Diskussion in Blogs und Foren gibt. Können sie haben. Ich bin mir sicher, daß die Arbeit dieser Kommission (und vielleicht noch mehr, was darin nicht vorkommt) den Bloggern (und ganz sicher auch mir) genug Futter liefert.
Bundestag und Kommission müssen sich allerdings schon da die Frage gefallen lassen, wie diese Partizipation informationstechnisch möglich sein soll. Denn eine Teilnahme funktioniert ja nicht schon dadurch, daß man seine Meinung irgendwo in ein Blog oder Forum schreibt, von dem der Bundestag und die Kommission nichts wissen. Das hört sich für mich schon nach Hohn und heißer Luft an.
Die erste Aufgabe für diese Kommission (und ich prognostiziere Versagen) würde dann sein, diese Partizipation des Bürgers über Blogs und Foren (den sie ja auch als den „18. Sachverständigen” bezeichnen) zu realisieren, indem sie Blogs und Foren irgendwie einbinden. Beispielsweise über einen RSS-Aggregator.
Ich empfehle schon jetzt, den Beschluss des Bundestages über die Ziele der Kommission aufzubewahren. Und dann deren Ergebnisse und Sachkunde daran zu messen.