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Beruht die Love-Parade-Katastrophe auf Professorenfehlern?

Hadmut Danisch
26.7.2010 21:44

Ich habe mir heute die Berichterstattung über die Love-Parade-Katastrophe durchgelesen, und dabei sind mir mehrfach Hinweise auf einen Professor Michael Schreckenberg untergekommen, der die Örtlichkeiten und die Fluchtwege angeblich vorher begutachtet haben soll.

Bevor ich hier wieder mal mit Wissenschaftskritik loslege, will ich aber darauf hinweisen, daß ich hier zwei entgegengesetze Kritiken an dieser Katastrophe äußere: Meine wissenschaftskritische Meinung steht hier, meine gesellschaftskritische steht unter Danisch.de.

Mir sind heute mehrere Zeitungsartikel aufgefallen, in denen ein gewisser Professor Michael Schreckenberg auftauchte, der als Physiker und Stauforscher mit den Vorbereitungen der Love Parade zu tun gehabt haben soll. Irgendwann war er dann sogar „Panikforscher”. Was die Journalie halt gerade braucht. Und auch schon seine Wikipedia-Seite wurde gleich nach dem Unglück mit Links zu den Zeitungsartikeln bestückt. Und dann kam er vorhin im ZDF Spezial im Interview – und beeilte sich sehr zu sagen, daß er damit ja nichts zu tun habe.

Nichts zu tun?

Ich habe mich heute schon gewundert, wie widersprüchlich die Zeitungsartikel da waren:

  • Bei RP Online heißt es, er habe das Sicherheitskonzept abgenickt, für logisch und schlüssig befunden. Dafür will er von der Treppe nichts gewußt haben. Zitat:

    „Von der Existenz dieser Treppe habe ich nichts gewusst“, erklärte der Gutachter. „Dass Menschen „von oben herunterfallen“ sei in dem Sicherheitskonzept der Loveparade nicht vorgesehen gewesen. Wäre ihm die Treppe bekannt gewesen, hätte er empfohlen sie „wegzusprengen”.

    Scheint, als habe er das Sicherheitskonzept abgenickt ohne einmal vor Ort gewesen zu sein. Jedenfalls heißt es da, daß sie den Tunnel mit Computersimulationen untersucht hätten.

  • Auf News.de liest sich das schon anders, da hätte die Treppe dann abgesichert werden müssen. Und der angebliche „Panik-Forscher” (der eigentlich ein Stau-Forscher ist), sagt dann, daß die Einschätzung der Risikobereitschaft Sache des Veranstalters wäre. Für mich stinkt das schon danach, daß ein Labor-Wissenschaftler mit theoretischen Modellen herumhantiert und der Auffassung ist, daß die Realität selbst schuld ist, wenn sie sich nicht nach den theoretischen Modellen richtet.
  • Auf Netplosiv heißt es, er habe frühzeitig vor der Treppe gewarnt.
  • Und auf DerWesten.dewird sogar beschrieben, daß er seine Meinung wechselte und das Sicherheitskonzept erst verteidigt hat und nun kritisiert. Zitat:

    Schreckenberg, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt, hatte das Sicherheitskonzept vor der Loveparade geprüft, sich nach eigenen Angaben aber die Gegebenheiten vor Ort nicht angeschaut. Für das Krisenmanagement seien ausschließlich die Veranstalter verantwortlich, betonte er. […] Nach Angaben von Schreckenberg war der Tunnel auf einen Durchlass von bis zu 20.000 Gästen pro Stunde ausgelegt.

  • Und im ZDF behauptet er nun, daß er mit dem Sicherheitskonzept gar nichts zu tun habe.

Noch kann man daraus nicht zuverlässig entnehmen, was er getan hat und was nicht. Aber es stinkt schon ganz gewaltig nach dem üblichen Professoren-Gutachtens-Schema, daß man Geld nimmt, irgendwas theoretisches abstraktes daherfaselt, ohne sich den Gutachtensgegenstand mal aus der Nähe anzuschauen, also teure Blindgutachten, und wenn’s dann hinterher schief geht, ist irgendwer anderes dran schuld. Meist die Mitarbeiter, hier dann der Veranstalter. Das übliche Professorenschema.

Und dann kommt noch mein Mißtrauen dazu, weil ich mit eben dieser Universität Duisburg-Essen, von der der kommt, sehr schlechte Erfahrungen habe. Von da kam damals in meinem Streit gegen die Uni Karlsruhe der Gerichtssachverständige Han Vinck, ein Professor der sich als Kryptologe ausgab, aber den letzten Mist von sich gab. Theoretisch durchsetzt natürlich. Und 40 Stunden Arbeit hat er in Rechnung gestellt. Dann aber stellte sich heraus, daß er von Kryptologie keinen blassen Schimmer hatte, eine Blockchiffre nicht von einer Betriebsart unterscheiden konnte. Daß er die Papers, die er laut Auftrag hätte lesen sollen nie gelesen hatte. Daß er so getan hat, als hätte er die Akten mit dem fachlichen Streit begutachtet, und sich dann herausstellte, daß das Gericht sie ihm nie geschickt hatte, er das, was er begutachtet haben wollte, also nie gesehen hatte und sich einfach ein Blindgutachten aus den Fingern gesogen, eine falsche Aussage gemacht und für Arbeiten, die er nie geleistet hat, 40 Arbeitsstunden abgerechnet hat.

Die Uni Duisburg-Essen, bei der ich mich beschwert habe, fand das völlig normal und üblich, nicht zu beanstanden.

Wenn’s dort aber normal und üblich ist, dann muß man davon ausgehen, daß das Gutachten dieses Michael Schreckenbergs auf derselben Geisteshaltung beruht. Und die oben zitierten Aussagen der Presse, wonach er nicht mal vor Ort war und das nur mit Computersimulationen (vielleicht sogar noch von seinen Mitarbeitern erstellt) untersucht und dabei noch diese Treppe nicht berücksichtigt hat, weil man nicht mal eine Begehung vor Ort für nötig hielt, passen doch genau auf das Schema des Sachverständigen Vinck, den die mir damals geschickt haben.

Und wenn sich das bewahrheitet, daß Professor Schreckenberg im Love-Parade-Fall genauso gearbeitet hat, wie damals Professor Vinck bei mir, und das haben sie ja immerhin als normal hingestellt, dann hätten wir tatsächlich die Situation, daß diese für die deutsche Wissenschaftsszene so charakteristische Mischung aus Betrug, Inkompetenz, Faulheit und Willkür 19 Tote verursacht hat. Und wie immer wären andere dran schuld, dem Professor wäre wie immer nichts vorzuwerfen.

Schaun wir mal, was da noch ans Licht kommt.

20 Kommentare (RSS-Feed)

D.Frols
26.7.2010 22:06
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es spricht mit aus der Seele,daß nicht nur ich den Eindruck habe,daß dieser “Prof” Schreckenberg eine große Mitschuld an diesem Desaster
hat.Ich kenne zwar sein Gutachten nicht,aber seine Äußerungen in den
Medien lassen doch deutliche Inkompetenz und Herunterspielen der eigenen Verantwortung spüren.Ich frage mich,warum die Staatsanwaltschaft diese offensichtlich sehr verdächige Person noch
nicht verhaftet hat.Hier besteht doch Verdunkelugsgefahr hoch drei.


Manuel
27.7.2010 9:27
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Der Tunnel war für einen Durchgang von 20k Leute pro Stune ausgelegt?

Das ist aber sehr komisch. Auf der Veranstaltung waren über 1 Mio Leute Nachmittags. Das hätte bedeutet, dass die Leerung der Veranstaltung mit mindestens 50 Stunden kalkuliert hätte werden müssen. Das stinkt gewaltig.


stephan
27.7.2010 9:46
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Bin auf die Seite gestoßen als ich die Interviews mit “Prof” Schreckenberg vergleichen wollte(zum Glück ist nicht nur mir aufgefallen das der Typ sich widerspricht). Der biegt sich jetzt alles hin wie er es braucht.
Eigentlich sollte er aus taktischen Gründen gar nichts mehr sagen.
Bauernopfer?


Hadmut Danisch
27.7.2010 9:58
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@stephan: Nein. Ein Bauernopfer ist jemand, der geopfert wird. Der redet sich gerade selbst in die …


Matias
27.7.2010 11:28
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Es ist ja zum jetztigen Zeitpunkt noch sehr schwierig, abschätzen zu können, wer im Vorfeld was falsch eingeschätzt hat (das zeigen ja auch die z.T. widersprüchlichen oben zitierten Quellen).
Ich bezweifle aber, dass es irgenwas geändert hätte, wenn dieser Prof. (ein theoretischer Physiker!) vor Ort gegangen wäre.
Auf dessen Homepage sieht man ihm schon an, dass er definitiv kein Praktiker (mit gesundem Menschenverstand) ist! Genau einen solchen hätte es aber wohl gebraucht um auf Mängel hinzuweisen.
Es kommt darauf an, was die Veranstalter genau von ihm wissen wollten und was er allenfalls vorgab beantworten zu können. Ein Modell aufstellen und dieses (wohl mit vom Veranstalter gelieferten) Daten zu füttern kann er. Abschätzen ob Höhenunterschiede auf dem Gelände eine zusätzliche Gefahr darstellen kann so ein Theoretiker schlecht, dafür hätte es besser einen ‘Praktiker’ gebraucht, der mit dem organisieren solcher Massenveranstaltungen grosse Erfahrung hat.


Steffen
27.7.2010 16:06
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Gut zu sehen, daß inzwischen auch andere Leute in dieser Republik zur Ansicht kommen, daß solche überbezahlten Elfenbeinturmtheoretiker zu nichts nutze sind, daß die sich nur durch große Töne und Wegschieben der Verantwortung auszeichnen. Gerade folgenden Blogeintrag gefunden:

http://www.thilo-baum.de/lounge/stammtisch/panikforscher-rationalisiert-panik/


pepe
27.7.2010 20:06
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“Professorenfehler”? Ist das ne neue Kategorie wo der ganze Berufsstand schuldig ist?

Korrigier mich mal einer, aber Panikforscher organisieren keine Events und sichern sie auch nicht ab. Der wird vielleicht als Consultant hinzugezogen aber die relevanten Teile muessen von erfahrenen Leuten zusammen mit den Rettungskraeften erarbeitet werden.

Das sich alle auf diesen Forscher stuertzen ist mir an sich schon suspekt. Liegt wohl einfach daran, dass man da einen “Experten” frei Haus bekommt der sich auch nicht entbloedet, sich hier von der Presse oeffentlich ausnehmen zu lassen.

Es gab offenbar auch genug Warnungen vorneweg, die allesamt abgecancelt wurden. Selbst wenn da einer ein Gutachten schreibt und nach irgendeiner Simulation sagt, dass das schon klappen wird, muss dem Entscheider hier klar sein dass man theoretische Forschung nicht mit langjaehriger Erfahrung aufwiegen kann. Sowas kann man dann in einer kontrollierte Studie ausprobieren aber nicht bei na Party mit 1Mio Besuchern.


Hadmut Danisch
27.7.2010 20:45
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Ja, es ist eine Kategorie, an der der Berufsstand schuldig ist, nur ist die nicht neu.

Professoren schreiben in der weit überwiegenden Mehrheit – wie ich hier seit Jahren berichte – notorische Falsch- und Gefälligkeitsgutachten über Dinge, die sie nicht betrachtet haben und in Themen, in denen sie sich nicht auskennen. An den Hochschulen werden Professoren auf einen Verhaltenskodex konditioniert, der das befördert. Gibt es Geld für das Thema X, sind sie von jetzt auf gleich Experten für das Thema X, um Geld ranzuholen. Die nehmen jeden Auftrag an und erklären sich zu allem als Fachleute. Universitäten ziehen bei Berufungen selbst Leute ohne nähere Kenntnisse den Praktikern vor, weil an manchen Universitäten Praxiswissen explizit unerwünscht ist. Und es wird die Geisteshaltung verbreitet, daß man nicht empirisch die Wirklichkeit betrachtet, sondern irgendwelche willkürlichen theoretischen Modelle als „bessere Wirklichkeit” ansehen.

So wie das hier bisher aussieht, geht es nicht um den einzelnen Forscher sondern um Mängel, die allgemein und systemimmanent sind. Und über die ich seit 10 Jahren hier schreibe, also kann es sich gar nicht auf diesen einzelnen Professor beziehen, der mir vorher gar nicht bekannt war.


pepe
27.7.2010 20:49
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BTW, ohne dass ich mich mit dem Ding im Detail beschaerftigt haette, sehe ich in den zitierten Aussagen so noch keine direkten Widersprueche. Er war fuer einen Teil des Gelaendes verantwortlich bzw hat da Gutachten gemacht.

Die verkuerzten aus dem Kontext gerissenen Zitate aus zweiter Hand koennen da alles moegliche heissen, weil Zustaendigkeiten und Zeitablauf durcheinander gebracht werden.

Die aeusserst serioes erscheinende Seite netplosiv.org schreibt zB:

Der Panikforscher sagte: Die Treppe an der Rampe hätte besser abgeschirmt, „vielleicht sogar besser gesprengt werden sollen”.

Das hoert sich dort so an als haette er es vorher gesagt. Wird aber nicht explizit gesagt. Und die Aussage deckt sich zufaellig mit dem, was er in anderen *nachher* gefuehrten Interviews “nach Lage der Dinge” vorschlaegt. Oder hat jemand ein Interview von vor der Verantstaltung zur Hand?

Deine eigenen Schlussfolgerungen daraus sind nochmals ueberspitzte Darstellungen. Und so wird dann aus einer Treppe, fuer die er nicht zustaendig war, eine Treppe, von der er haette wissen muessen, die er haette begehen muessen und wo die Forschung versagt hat weil sie die Realitaet nicht anerkennt.


pepe
27.7.2010 21:02
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> So wie das hier bisher aussieht, geht es nicht um den einzelnen
> Forscher sondern um Mängel, die allgemein und systemimmanent sind.

Das sag ich ueber die freie Marktwirtschaft auch immer. Dass ein System, das den individuellen monetären Gewinn als Zielfunktion hat, langfristig keinen gesellschaftichen Wohlstand bringen kann und staatlich streng reglementiert werden muss, wurde schon von den Erdenkern der Theorie zu Papier gebracht.

Und natuerlich wird in der Privatwirtschaft auch massiv handwaving betrieben, schliesslich muss – systembedingt – bei gleichem Einkommen minimal gearbeitet werden um den Durchsatz zu maximieren.

Ohne Frage leidet das Bildungswesen heute unter dem selben Effekt. Kombiniert mit der ehemaligen wissenschaftliche Freiheit fuehrt das zu grossen Problemen. Die ‘schuldigen’ wuerde da aber weiter oben suchen.

Naja, die Diskusson hatten wir ja schon 🙂


Hadmut Danisch
27.7.2010 21:40
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Naja, deshalb bin ich ja auch gespannt, was da noch rauskommt und habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet.

Ob zuständig oder nicht: Er hätte das Gelände mal begehen und dabei die LeiterTreppe bemerken müssen.


rjb
28.7.2010 4:13
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Welche Leiter hätte der bemerken sollen? Bislang handelte es sich um eine Treppe; zumindest darin war sich die mir bekannte Berichterstattung einig. In fast jeder anderen Hinsicht ist sie aber äußerst wirr. Das fängt ja schon mit den Teilnehmerzahlen an – hier oben hat wieder jemand die Million gebracht, anderswo waren 300000 oder noch weniger auf dem Platz. Aber Genaueres scheint man nicht zu wissen (außer daß 105000 per Bahn angekommen wären). Da frage ich mich schon, wie man die Zu- und Abwege vernünftig regulieren wollte, wenn man offenbar keine Ahnung über die aktuellen Personenzahlen drinnen und draußen hatte. Bei allen möglichen anderen Veranstaltungen werden Teilnehmerzahlen genannt; ob die stimmen, ist eine andere Frage, aber schlichtes Nichtwissen gibt es sonst nicht.

Eine Möglichkeit, die mir da in den Sinn kommt, als reine Vermutung ohne nähere Belege, ist die: Der Veranstalter hat sich die Sache offenbar von Sponsoren (mit-)finanzieren lassen. Ob und welche Gegenleistung den Sponsoren versprochen wurde, in Form von Werbeeinlagen oder sonstwas, weiß ich nicht. Aber unter der Hypothese, daß die Sponsoren ein Interesse an der Teilnehmerzahl hatten, bzw. daß die Höhe der eingeworbenen Sponsorengelder mit der angegebenen voraussichtlichen Teilnehmerzahl im Zusammenhang stand, ist denkbar, daß der Veranstalter da seine 1,4 Mio genannt hat, obwohl er schon wußte, daß das auf dem Veranstaltungsgelände nicht geht. Die Planung lief dann womöglich so ab, daß das nach außen hin für die 1,4 Mio sein mußte, intern aber von vornherein für eine viel niedrigere Anzahl, was die Sache billiger macht, und entsprechend erlaubt, von den Sponsorengeldern etwas abzuzweigen. Wenn dann das Ergebnis der Planung leicht schizophren ausfällt, ist das nicht verwunderlich. Wie gesagt, eine rein hypothetische Möglichkeit, aber es würde mich nicht wundern, wenn da irgendwas in der Art ablief.


Hadmut Danisch
28.7.2010 9:53
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Flüchtigkeitsfehler, ich meinte Treppe und nicht Leiter.


yasar
28.7.2010 12:43
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Scheinbar nicht nur auf Professorenfehlern, sondern auch auf handfesten Wirtschaftlichen Interessen. Da bin ich bei Tante Jay folgendes gestoßen:

http://tantejay.wordpress.com/2010/07/28/warum-herr-sauerland-pattex-
beweist/


Stefan W.
28.7.2010 17:56
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Wenn ein Professor nur theoretische Modelle durchspielen kann, dann muss er das sagen. Er muss sagen können, ob sein Modell für die Wirklichkeit passt oder nicht, und ob er vor Ort einen Eindruck braucht, oder ob ihm ein Plan genügt.

Ob solche Pläne immer die Realität genau genug wiedergeben muss auch er wissen – wenn er 100x Begehungen gemacht hat, und immer entsprach alles dem Plan, und nie brachte ihm die Begehung etwas, dann kann er ja auf Begehungen verzichten, aber er ist doch dafür verantwortlich.

Außer seine Kunden wollen wissen wieviele Lichtpünktchen auf einem Plan, der das LP-Gelände wiedergibt, in welcher Zeit passieren können.

Wenn ich die Animationen, die ich gesehen habe, richtig zuordne, dann kommen 3-dimensionale Räume in seinem Modell gar nicht vor. Er kann Staus an Engstellen prognostizieren, aber nicht, ob Personen irgendwo zerdrückt werden. Hier sieht man unten 3 nette Animationen: http://www.sciencegarden.de/content/2008-08/sind-berechenbar-wie-sich-das-verhalten-von-menschenmassen-voraussagen-laesst die einen wichtigen Teilaspekt einer Menschenmasse behandelt, aber eben nur einen Teilaspekt. Dass seine Kompetenz nur einen Teilaspekt beleuchten kann, darüber hätte er zum Beispiel aufklären müssen. Nun – vielleicht hat er ja. Ich war nicht dabei.

Mich wundert aber, wie man mit den 20 000 Leuten schon zu den 250 000 zugelassenen Teilnehmern kommt – das sind dann 12,5 h in denen der Zugang ausgelastet ist, bis die Teilnehmer auf dem Gelände sind!

Abgesehen davon, dass man wohl mit vielem rechnen konnte, aber kaum mit weniger als fast einer Million Besuchern.


Hadmut Danisch
28.7.2010 19:33
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Das ist halt so eine Entwicklung an deutschen Universitäten, daß Realität nicht mehr zählt und irgendwelche willkürlichen theoretischen Modelle über alles gehen. Habe ich hier ja schon mehrfach kritisiert.

Das ist halt das übliche Vorgehen, daß man sein Modell immer wieder auf Übereinstimmung mit der Realität prüfen muß, was viele „Wissenschaftler” nicht mehr können. (Beispiel: Beths Sicherheitsmodell, wonach es gar keine Angreifer mehr gebe und es deshalb falsch sei, sich in der IT-Sicherheit mit Angreifern zu befassen…).

Menschen bewegen sich in der Regel auch eher zwei- als dreidimensional, da würde ich jetzt nicht einmal das Problem sehen.

Das Problem sehe ich an anderer Stelle, nämlich daß solche Schwarmsimulationen usw. meistens in der Art finiter Elemente simuliert werden. Damit kann man innerhalb gewisser Parameter durchaus simulieren, wie sich Autos im Stau, Fische im Schwarm oder Fußgänger in Bewegung verhalten. Aber sowas sind halt unzerquetschbare Punkte, die nur sagen, ob sie sich bewegen oder nicht. Die sagen nicht, ich krieg keine Luft mehr, ich werde gerade erdrückt. Oder ich bin besoffen oder Idiot und benehme mich daneben. Oder ich klettere jetzt an einer Plakatwand hoch.

Das ist genau dieser Irrglaube, daß man sich einfach ein Modell aus der Tasche zieht und das ist es dann.

Ich verstehe auch nicht, wie ein Physiker, der sich mit Stausimulationen befaßt hat, plötzlich zum Panikforscher werden konnte. Da müßte meines Erachtens noch Psychologie und Neurologie mit rein. Aber bitte, deutsche Professoren sind Experten für alles, was gerade gefragt ist.


Stefan W.
29.7.2010 1:19
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Ja, das sehe ich sehr ähnlich. Wie sich die Punkte bewegen hat mit der Realität, wenn es gut gemacht ist, einiges zu tun, aber das Modell hat seine Grenzen. Womöglich kann man den Druck eines strömenden Pixels auf die Pixel davor mitberechnen, und Wege so auslegen, dass 99,9% aller Drucksituationen die auftreten niemandem die Rippen brechen.

Wie Menschen unter Stress im Gedränge reagieren, wenn vor ihnen jemand stürzt, das dürfte von so vielen unbekannten Faktoren abhängen, dass man es auf absehbare Zeit nicht simulieren kann, weil man auch keine Experimente derart machen kann. Man benötigt dazu ja vernunftbegabte Wesen, die ihr Handeln reflektieren, aber die natürlich auch den Simulationscharakter einer Simulation erkennen. Man kann aber ja keine Menschen opfern.

So bleibt also nur historische Katastrophen auszuwerten, was aber zu einer großen Sammlung unvergleichbarer Einzelfälle führt, mit mannigfaltigen Bedingungen und ohne verlässliche Messungen.

Mit 3D meine ich, dass die Treppe ein vertikales Hindernis und Fluchtweg zugleich ist. Dass man von der Masse unter die Brücke gedrückt werden kann z.B.. Und die Hänge, oder Plakatwände, die manche hoch sind. Wenn das Modell sowas nicht abbilden kann, dann wird es wohl weggelassen. Dann kann man die Simulation immer noch verwenden, um abzuschätzen, wieviele Leute man pro Stunde durch den Tunnel bekommt, aber eben, das ist keine Panikforschung.

Mir sieht das ein wenig wie das Ergebnis eines Brainstormings aus, wo man zuerst das Modell, diese Simulation hatte, und sich dann überlegt hat, was es darstellen könnte – Rußpartikel, Schüttgut, Personenströme.

Und wenn man nicht vom konkreten Problem ausgeht, dass man lösen will, dann ist die Gefahr auch groß, dass man nicht genau prüft, wie das praktische Problem gelöst wurde, ob überhaupt.


quarc
29.7.2010 16:54
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Ein Physiker wird auf die gleiche Weise zum “Panikforscher”, wie auch
eine Wirtschaftlerin (ich vermeide den Begriff “Wirtschaftswissenschaft”)
zur “Klimaforscherin” oder ein Volks- und Betriebswirt zum “Chaosforscher”:
durch entsprechende Benennung in den Medien.


Hadmut Danisch
29.7.2010 17:05
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🙂


yasar
30.7.2010 12:46
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Vermutlich noch ein Grund, warum Sauerland sich weigert Verantwortung zu übernehmen:

Wenn er selbst zurücktritt, verliert er nach dem dortigen Beamtenrecht alle seine Pensionsansprüche aus seiner Bürgermeistertätigkeit udn vermutlich auch die aus seiner Zeit als Studienrat. Nachdem er momentan nach B11 vergütet wird, und sich die Pension daraus berechnet, sind das tatsächlich handfeste Wirtschaftliche Interessen, die ihn vermutlich so herumeiern lassen.

PS: Der Bericht darüber kam gerade in SWR3.