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Peer Review – Institutionalisierte Borniertheit

Hadmut Danisch
26.11.2010 0:56

Inzwischen haben mir schon mehrere Leser (Danke!) den Link auf diesen höchst amüsanten Artikel über katastrophal dumme Peer Review-Ablehnungen von historisch bedeutenden Papers, den Klassikern der Informatik. [Update: Anmerkung zur Satire]

[Update und Vorbemerkung: Ich gebe zu, daß ich nicht gleich gemerkt habe, daß es Satire ist, und mir erst ein Kommentator das Licht anzünden mußte. Dazu habe ich gerade einen separaten Artikel geschrieben, daß mir das deshalb nicht als Satire aufgefallen ist, weil Satire immer eine Übertreibung der Realität darstellt, während ich eine deutlich derbere Realität gewohnt bin, als sie in dem Paper da als übertrieben dargestellt wird.

Ich habe deshalb diesen Artikel heute morgen erst mal wieder gesperrt, weil ich darüber nachdenken wollte, wie ich das rette und geradebiege, und vom Arbeitsplatz und während der Arbeitszeit grundsätzlich nicht blogge.

Je mehr ich aber drüber nachgedacht habe, desto mehr komme ich zu dem Ergebnis, daß an meinem Blogartikel nichts falsch ist und nichts geändert werden braucht, denn daß es Satire und nicht echt war, schwächt die Sache nicht ab, sondern bekräftigt sie im Gegenteil sogar. Wenn jemand dies als Satire so trefflich und dicht an der Realität zu formulieren vermag, dann bedeutet das, daß genau die Probleme und Schwächen auch anderen und nicht nur mir aufgefallen sind, und die Kritik nicht nur aus meiner Sichtweise entspringt. Wenn jemand das nicht nur zitiert, sondern so treffend und pointiert konstruiert, dann sind das nicht nur seltene und vereinzelte Probleme der Wissenschaft, sondern grundsätzliche und verbreitete Probleme.

Insofern war die Satire zwar anders gemeint, als ich sie zuerst verstanden habe. Ich dachte, die Satire besteht in der Auswahl echter Reviews. Daß sie erfunden waren, macht die Sache nur umso deutlicher und zeigt, daß die Zustände in Deutschland graduell noch schlimmer sind als das, was man im Ausland schon als Satire ansieht.

Ich lasse den Artikel daher – bis auf diese Anmerkung – so stehen, wie er war, und bekräftige ihn noch. Denn meine Meinung beruht ja auch nicht darauf, ich habe hier ja schon früher viel Kritik am Peer Review geäußert. ]

(Scheinen übrigens alle mal wieder über Fefes Blog gefunden zu haben, wie überhaupt nahezu jede gute, interessante Information, inzwischen dort auftaucht, aber auch haarsträubend kaputte Ansichten. Eine Quelle, die nur mit einiger Vorsicht und Distanz zu genießen ist und sich mitunter kaum von dem unterscheidet, was hier als schlechter Peer Review dargestellt wird, insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, daß alle das da fanden.)

Man muß das Ding mal lesen, wenn man etwas wissenschaftlichen Hintergrund in Informatik hat. Hat man ihn allerdings nicht, könnte es möglicherweise schwer fallen, die Bedeutung der abgelehnten Papers und die tiefe Inkompetenz, Arroganz und Überheblichkeit herauszulesen, die in den Ablehnungen anklingt. Digitalübertragungen und Fernschreiber sind out, Analogübertragungen über Röhren für das Fernsehprogramm sind sexy. Wird sowieso nie mehr als 12 Computer geben. RSA bringt nichts, weil eine VAX mit 32 Bit rechnet und man 32-Bit-Zahlen zu leicht in Primfaktoren zerlegen kann. Strukturiertes Programmieren? So ein Quatsch, GOTO ist das einzig Wahre, wie FORTRAN uns allen bewiesen hat.

Höchst vergnüglich und amüsant, man sollte sich mal herzlich ausschütten vor Lachen über diese grenzenlose Borniertheit, Überheblichkeit, und eigentlich auch grobe Dummheit, die aus diesen Peer Reviews spricht.

Wenn man mit Lachen fertig ist, sollte aber auch nochmal die ernste Seite sehen.

Der Wissenschaftsbetrieb lehnt traditionell jegliche Kontrolle oder Qualitätsprüfung außer dem Peer Review ab. Der Peer Review gilt gleichzeitig als das einzig akzeptable Regulativ, der einzig wissenschaftliche Qualitätsfilter, und wird gleichzeitig als das ultimative Wundermittel hingestellt, das hohe Qualität geradezu erzwingt. Ein Journal, das durch Peer Review geheiligt wird, gilt gleichsam als unantastbar, als nicht in Frage zu stellen.

Dabei ist der Peer Review eines der lausigsten Qualitätskriterien, die man sich vorstellen kann, und längst von Inkompetenz, Willkür und Korruption wie Vetternwirtschaft, Zitierkartellen und Personenkult durchsetzt, und war ja auch schon mehrfach Gegenstand von Artikeln in diesem Blog.

Erschreckend daran sind die – offenbar universitäts- und wissenschaftstypisch – immer gleichen dummen Phrasen und Schwafeltechniken, mit denen da kritisiert und herabgewürdigt wird. Der Wissenschaftsbetrieb hat verblüffend und erschreckend wenig (manchmal auch gar nichts) mit Wissenschaft zu tun, sondern mit dem Rezitieren von auswenig gelerntem und vermeintlichem Statements und den immer gleichen Standard-Geschwätz-Mustern. Und tatsächlich beruht der Karriereweg zum Professor in Deutschland oft nicht auf einer Berufsausbildung oder Leistungsnachweisen, sondern auf dem Aneignen der universitätsüblichen Verhaltens- und Redemuster. (Die, und das macht das so gefährlich, nicht nur in der Wissenschaftswelt, sondern sogar in der Öffentlichkeit aufgrund ständiger Wiederholung und ständigen Trainings als Merkmal für Wissenschaftlichkeit wahrgenommen werden, obwohl sie nichts anderes sind, als berufstypische Cliquensprache.)

Liest man sich diese Paper-Ablehnungen durch, dann haben diese auch verblüffende, wirklich frappierende Ähnlichkeit mit Prüfungsbewertungen, mit den Ablehnungsbegründungen von Dissertationen und Diplomarbeiten. Immer die gleiche Willkür, immer die gleiche Inkompetenz, immer verkleidet mit dem immer selben Werkzeugkasten an Formulierungen, an Rabulistik, Denkfehlern und Pseudoargumenten. Immer die gleiche Gattung von Blödsinn, weil in der Wissenschaftswelt so antrainiert.

Wer beim Lesen darüber gelacht hat, mit welch dämlicher Argumentation man das Paper von Shannon, A Mathematical Theory of Communication, eins der wichtigsten Papers der Informatik überhaupt, die Grundlage der Informationstheorie, abgelehnt hat, der sei daran erinnert, daß das Paper 1948 erschien und die Ablehnung damit auch von 1948 oder davor stammte, und man aus heutiger Sicht schon die Ablehnung von damals als schwachsinnig empfindet. Mit ziemlich genau derselben dämlichen Argumentation hatte ich in meinem Promotionsstreit in einem Punkt über Shannon zwischen 2000 und 2008 zu tun, bei denen ein Promotionsprüfer und ein Gerichtssachverständiger ebenfalls die digitale Denkweise nicht verstanden und ebenfalls noch mit der Analogübertragung argumentierten. Was 1948 schon katastrophal dumm war, ist auch in diesem Jahrhundert noch Peer Review-Standard an deutschen Universitäten – und wurde sogar vom Verwaltungsgericht Karlsruhe rechtskräftig als einzig richtig hingestellt. Diese Form von Inkompetenz läßt sich nach über 50 Jahren nicht nur nicht ausrotten – sie wird auch noch mit Wonne nachgezüchtet.

Dabei bestehen an dem ganzen Prinzip des Peer Review grundsätzliche Zweifel. Denn einen wirklichen Zweck erfüllt es nicht (mehr), sondern beruht auf den Publikationstechniken des letzten oder der letzten Jahrhunderte, als die Publikationsmöglichkeiten einfach durch die verfügbare Infrastruktur – teurer Buchdruck und niedrige Auflagen – eine knappe Resource war und nur die Verlage die Mittel hatten, das durchzuführen.

Heute im Zeitalter des Internet ist das aber nicht nur veraltet, sondern kontraproduktiv. Der Peer Review dient nur noch als letzter Vorwand für ein Verlagswesen, dessen einziger Zweck noch im Abzocken öffentlicher Gelder für absurd überteuerte Journale besteht, von denen sich ja sogar manches Journal als permanenter Fake herausgestellt hat, wie neulich die Medizinjournale. Der Steuerzahler blecht doppelt, nämlich wenn er die Arbeitszeit der Wissenschaftler bezahlt und erneut, wenn er den gleichen Kram wieder teuer einkaufen muß.

Meines Erachtens gehören Journale, Peer Review usw. komplett abgeschafft. Taugt nichts.

Man müßte ein einheitliches Verfahren und Protokoll definieren, über das jede Universität oder jedes Institut publizieren kann, was es will, in dem es einen eigenen Server aufstellt, der an einem weltweiten Verbund teilnimmt, und in dem grundsätzlich alles für alle zugänglich ist, was als wissenschaftlich publiziert werden soll.

Dann bliebe es natürlich jedem selbst überlassen, welche Quellen er als seriös einstuft und welche nicht. Natürlich gibt es dann Rezensionen, Empfehlungen, Auswahllisten usw. Die wesentlichen Unterschiede wären aber:

  • Man muß mit der Publikation nicht warten, bis endlich irgendwer das Paper annimmt und nach einem Jahr mal druckt, und es möglicherweise veraltet oder von anderen überholt ist, sondern man kann ein Paper ungehindert und sofort veröffentlichen, indem man es in dem weltweiten Verbund bekanntmacht.
  • Wer will, kann immer noch ein Peer Review durchführen und dadurch Leseempfehlungen oder auch Verrisse bekanntgeben. Er kann dadurch aber nicht mehr verhindern, daß etwas überhaupt veröffentlicht wird, womit die Korruptionsgefahr deutlich sinkt.

    Außerdem hat es den schönen Nebeneffekt, daß sich der Reviewer selbst blamiert, wenn er ein Paper als schlecht hinstellt, das aber gut war. Bisher ist alles so gebaut, daß ein Reviewer mit einer Ablehnung überhaupt kein Risiko eingeht.

  • Verlage und Kosten könnte man sich komplett sparen. Überflüssig, braucht man nicht mehr. Das Geld kann man besser verwenden.
  • Zugunsten des Peer Review muß man auch sagen, daß viele Papers in der eingereichten Form einfach lausig sind, und oft erst vom Reviewer durch Änderungswünsche in eine verdauliche Form gebracht werden. Und der Reviewer eigentlich als Co- oder Hauptautor genannt werden müßte.

    Gibt es keinen Reviewer und publiziert jeder so, wie er schreibt, auf die Gefahr hin, sich in ein schlechtes Licht zu stellen, wäre das viel ehrlicher.

4 Kommentare (RSS-Feed)

Barney
26.11.2010 11:47
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Ähem, der Artikel mit den “Reviews” klassischer CS-Papers ist natürlich eine Satrie – dies sind keine echten Ablehnungen.


Hadmut Danisch
26.11.2010 21:39
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Danke für den hilfreichen Hinweis. Ich hab was dazu geschrieben.


AntoninArtaud
27.11.2010 14:36
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Wie haben denn die Medizinjournale letztens ihren Fake-Charakter bewiesen? Stand das hier irgendwo?

Zu dieser Sache hier: “Der Wissenschaftsbetrieb hat verblüffend und erschreckend wenig (manchmal auch gar nichts) mit Wissenschaft zu tun, sondern mit dem Rezitieren von auswendig gelerntem und vermeintlichem Statements und den immer gleichen Standard-Geschwätz-Mustern. Und tatsächlich beruht der Karriereweg zum Professor in Deutschland oft nicht auf einer Berufsausbildung oder Leistungsnachweisen, sondern auf dem Aneignen der universitätsüblichen Verhaltens- und Redemuster.” will ich sagen: es ist für mich nicht einmal so schlimm, dass man da Redemuster und Verhaltensweisen anzueignen erzwingen will (das nennt man erstmal schlicht “Ausbildung”; in den Schulen passiert nichts anderes…). Was ich schlimm finde ist die unfassbare Simplizität und Blödheit, die in diesen Redeweisen und Verhalten liegt. Auch, dass in diesen Verhalten Kritik nur dann als akzeptiert gilt, wenn es eine Apologie ist (aka “Sie wussten es damals noch nicht besser” usw.) und ansonsten gleich ad hominem gegangen wird, wenn man gerade nicht so spricht. Es darf im Grunde nur kritisiert werden, was alle anerkannten “großen Köpfe” (meist recht hohl!) auch kritisieren und keinesfalls dürfen natürlich diese großen Köpfe mehr kritisiert werden, als das die “Wissenschaftsgemeinschaft” tut. Das Gegenteil von eigenständigem, selbststehendem Denken, eine wahre Zucht zum Gleichdenken mit der Herde der Wissenschaftler. Im Grunde ein Wunder, dass universitäre Ausbildung nicht in Kloster-Gebäuden stattfindet.
Das Erschreckende ist dann, dass man dann Konsens als materielle (!) Beweise ausgibt (“Unter den Wissenschaftlern ist es Konsens, dass….und deswegen stimmt es.”), aber es so zu vertuschen weiß, dass wirklich alle Welt glaubt man würde auf echte materielle Beweise aufbauen und nicht etwa bloß auf Konsens. Und selbstverständlich zählt dann nur zur “Gemeinde” wer den Konsens teilt oder anders: wer dissent ist, ist gleich auch noch Dissident und Ketzer. Jede Argumentation und Frage, die in Richtung auf der Frage nach Dissentem geht, wird (schon im Studium) entweder ignoriert (“Nein, geh besser nicht weiter in diese Richtung…!”) oder aber für alltagsmythisches Denken ausgegeben (“Nein, die Wirkungen der Unversitäten haben nichts mit Negativem zu tun, denn wir sind hier heilig, nur die Ungebildeten, die Nicht-Wissenschaftler und Dissidenten machen immer alles falsch.”).

Man könnte sich die satirische Mühe machen, die Beziehungsverhältnisse der Wissenschaftler untereinander als Inzestbeziehungsmuster darzulegen und daraus herzuleiten, wie sie mit diesen Inzestbeziehungen ihre Macht produzieren und im wesentlichen mit nichts als diesen Inzestbeziehungen und deren Macht zum Ausschluß.


Hadmut Danisch
27.11.2010 14:44
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Ja, es sind mal (stand mehrfach was dazu hier im Blog) einige Journale aufgeflogen, die komplett gefakt waren, also nicht nur eine Ausgabe, sondern durchgehend. Da wurden Artikel von der Pharmaindustrie als Marketing geschrieben und Professoren haben ihren Namen als Autoren hergegeben, damit es nach Wissenschaft aussieht. Wenn ich mich jetzt richtig erinnere, war das Elsevier, also genau die, die die teuersten sind und bei denen die Bibliotheken jährlich Vermögen rauswerfen, um den Mist zu kaufen.