Meuterei
Über die bemerkenswerten Ähnlichkeiten zwischen Wissenschaftlern und Offizieren.
Bevor ich studiert habe war ich beim Bund und habe meinen Grundwehrdienst geleistet. Dabei ist mir sehr stark die Dreiteilung in Mannschaftsdienstgrade (=wertloses Dummvieh und Kanonenfutter), dann die Unteroffiziere (=werden nur als Halbmenschen angesehen, dürfen im Prinzip rein, machen aber die ganze Drecksarbeit, werden nicht ernstgenommen, dürfen nichts alleine tun und sind an allem schuld, aber dürfen immerhin die Mannschaftsdienstgrade schikanieren und herumkommandieren) und die Offiziere (=da fängt der Mensch an, die bleiben unter sich und kommen sich elitär vor, extremer Corps-Geist und Kooptation, unklare Aufnahmeregeln und Riten, haben aber das sagen, lassen die Untergebenen arbeiten und heften sich die Erfolge an). Erst als Offizier wird man überhaupt zur Kenntnis genommen und darf eine Meinung haben, hat sich aber immer noch dem knallharten Hierarchiedenken unterzuordnen. Interessant wird es ab Hauptmann/Major, und wie immer gilt „Ober sticht Unter”. Wer mehr Lametta auf der Schulter hat, hat automatisch recht.
Lametta und Dienstgrade sind ganz, ganz wichtig. Da geht keiner in der Ausgehuniform aus, ohne sich jede Menge Bändel und Gebimsel, Schulterklappen, Dienstgrade, Schießabzeichen, Sportabzeichen, Auszeichnungen wo man dabei war, alberne Fremdenlegionshalstücher und all so einen – im Prinzip wertlosen – Schnickschnack umzuhängen und sich als Weihnachtsbaum zu verkleiden. Und bei Anwesenheit wird immer stur nach Dienstgrad von oben nach unten gelistet. Freundschaften vor allem horizontal, also innerhalb derselben Hierarchieebene. Und wehe, man spricht einen „höheren” mal ohne Dienstgrad an. Und von oben nach unten herrscht meist ein rüder Ton, Mißachtung, Schikane, Willkür. Man definiert sich über den Umfang der Macht, die man mißbrauchen kann. Und innerhalb der Offiziere ein heftiger Corps-Geist, verfehlungen dringen praktisch nicht nach außen. Gesetze gelten als unterrangig.
An der Uni war ich dann sehr erstaunt, das gleiche Schema zu finden.
Die Studenten sind die Mannschaftsdienstgrade, störendes rechtloses Massenvieh.
Die Mitarbeiter sind die Unteroffiziere, die Feldwebel, die die Studis schleifen, Übungen halten, Prüfungen entwerfen, Massen benoten, Diplomanden schikanieren. Und ihrerseits von dem oberen Dienstgraden gequält werden.
Doktorand ist sowas wie Offiziersanwärter, und der Doktor dann der Offizier. Ab da gilt man als Mensch, wird zur Kenntnis genommen, kann selbst Autor eines Papers sein. Juniorprof ist Oberleutnant. Hauptmann, Kompaniechef, C3- oder W2-Professor, ist auch dasselbe. C4- oder W3-Prof ist Major oder Oberstleutnant. Und so weiter.
Und dann das ganze Sondergebimsel, Auszeichnungen, Drittmittel, Dr. h. c., Direktor von irgendeiner Phantasieeinrichtung, ganz wichtig sowas. Wie der ganze bunte Glitzerkram, den die Offiziere sich umhängen und an die Uniformjacke heften. Was dem einen sein Aufenthalt in den USA, ist dem anderen sein Afghanistan. So gesehen praktisch das gleiche. Kampferfahrung im Ausland statt nur so zu tun als ob in Deutschland, damit steigt man in der Hierarchie gewaltig im Wert. Und bei beidem weiß die Öffentlichkeit nicht, wo der Nutzen des teuren Spiels sein soll.
Wie ich aktuell gerade darauf komme?
Der SPIEGEL berichtet über eine Fast-Meuterei auf der Gorch Fock.
Lests mal durch. Und ersetzt so in Gedanken Offizier durch Professor, Kadett durch Mitarbeiter/Doktorand, das Aufsteigen in die Takelage auf Befehl durch Titelhandel, Schmiergelder, das Ghostwriten für den Professor und das Fälschen von Forschungsdaten, und den Absturz der Frau durch das Auffliegen eines Forschungsschwindel und den Rauswurf mit Karriereende.
Und was passiert mit Kritikern? Zitat:
Kommandant und Erster Offizier warfen den beiden vermittelnden Offiziersanwärtern und zwei weiteren Kadetten plötzlich “mangelhafte Zusammenarbeit mit der Schiffsführung” vor. Alle vier sollten “wegen Meuterei und Aufhetzen” der Offiziersanwärter noch vor dem Auslaufen der “Gorch Fock” von der Ausbildung abgelöst und zurück nach Deutschland geflogen werden.
Offenbar wollte man ihnen sogar die Eignung zum Offizier aberkennen.
Mit praktisch den gleichen Worten wird Wissenschaftlern, die sich kritisch äußern, die Promotion wegen „Unwürdigkeit” verweigert.
6 Kommentare (RSS-Feed)
Und die saufen dann auch immer gleich so viel. Sonst wär’s wohl auch nicht zu ertragen…
Hmmmm… ein Gedanke der mir gerade kam: Solche Hierarchiestrukturen in einer 3-er Aufteilung findet man häufiger. Ich kenne mich jetzt mit Soziologie nicht aus, aber es ist doch auffällig.
Ganz oben eine kleine abgeschottete und weltfremde Elite. Ganz unten das Fußvolk. Und damit die Elite sich nicht mit der niederen Arbeit abgeben muß das Fußvolk in Schach zu halten, haben sie eine Hierarchieebene dazwischen geschoben, die zwischen beiden Gruppen eingekeilt ist, von unten den Frust und von oben den Druck abkriegt. Ab und zu mal kriegt auch einer aus der mittleren Ebene die Ehre einer Beförderung nach oben, damit auch diese Kaste ruhig bleibt in der Hoffnung, selbst einmal befördert zu werden.
An der Uni: Professoren – Mittelbau – Studenten
Bei der Armee: Offiziere – Unteroffiziere – Mannschaften
Bei den Burschenschaften: Altherren – Burschen – Füchse
In Konzernen: Topmanagement – Mittleres Management – Operative Ebene
Bei George Orwells ‘1984’: Innere Partei – Äußere Partei – Proles
Wäre mal interessant zu recherchieren, ob sich das auch in anderen Großkulturen so ausprägt. Von den Maya-Indianern weiß ich, daß diese Gesellschaft in eine breite Masse an rechtlosen Bauern gegliedert war, und ganz oben eine ganz kleine weltfremde Priesterschaft, die sich nur mit Sterndeutung beschäftigte. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es auch da eine mittlere Kaste gegeben haben muss, die dafür da war den Bauernpöbel im Zaum zu halten, damit die Priester ungestört in den Himmel schauen konnten.
Sehr einverstanden. Nur eine Kleinigkeit: wer von den Herren Offizieren traut sich eigentlich in “Ausgehuniform” auf die Straße? Ich habe in den letzten 20 Jahren jedenfalls keinen gesehen… Die verstecken sich doch alle in Zivil und wechseln dann verschämt ins hochdekorierte Jäckchen, sobald sie ihre rettende Dienststelle erreicht haben. Um dort dann kompensatorisch den harten Krieger zu mimen. Nein, Deutschland, Krieg und Armee – das ist vorbei. Um so schlimmer die impotenten Kriegsspielereien in Afghanistan und anderswo. Dumm, sinnlos, geschichtsvergessen und lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre!
Ich erlebe die Unterteilung eher so, dass Doktorand und Postdoc die Unteroffiziere darstellen und schuften und tendenziell kriechen müssen, aber immerhin noch Studenten unter sich haben. (Nach meinen Erfahrungen werden wir Studenten aber kaum wirklich gequält.)
Ich denke diejenigen, die gegen Drill und Härte an Bord der Gorch Fock rebellieren, sind sich nicht darüber bewusst, dass die US Navy und das US-Marine Corps viel schlimmer ist, als die Bundeswehr.
Ich war mal in meinem 1. Semester bei einer konservativen Studentenverbindung eingeladen zum “Wildschweinessen”. Natürlich von deren Seite mit dem Hintergedanken, mich als Mitglied zu ködern.
Den Wildschweinbraten habe ich dankend mitgenommen, aber der ganze Abend war ansonsten komplett abschreckend. Ich habe mich irgendwann in die Rolle des amüsierten Beobachters zurückgezogen.
Es ist kein Wunder, daß die konservativsten dieser Bünde sich “Corps” nennen. Jene strikte Hierarchie wird da schon von klein auf einexerziert. Die Altherren saßen alle an der Ehrentafel und blieben komplett unter sich. Die “Jungfüchse”, denen an dem Abend die Ehre der Aufnahme erteilt wurde, mussten verschiedene vollkommen entwürdigende Rituale über sich ergehen lassen. Natürlich nicht von den Altherren herumkommandiert, sondern von den “Burschen”, die je nach Alkoholspiegel besonderen Eifer an den Tag legten, die Füchse zu “schleifen”.
Überhaupt herrschte an dem Abend eine ganz unerträgliche Atmosphäre von “Wir sind die Elite! Alles andere ist Gesocks!”. Ich will hier lieber nicht weiter darlegen, was für Liedgut gesungen wurde. Und der Abend endete damit, daß diese selbsternannte Elite im Alkoholkoma lag…
Es scheint überall in konservativen Kreisen immer und immer wieder die gleiche Leier zu sein.