X-Pire! – Schnellschuß aus der Hüfte aus Konkurrenzdruck?
Hier auch noch einer vom TODO-Stapel, nachdem ich etwas in Rückstand gekommen bin: Der Saarbrückener Professor Michael Backes hat sich doch mit seinem „digitalen Radiergummi” X-Pire! ziemlich viel öffentlichter Kritik und Gespött ausgesetzt.
Ich war ja selbst ganz überrascht, daß meine Kritik daran so viel Interesse und Anklag gefunden hat (freut den Blogger natürlich immer). Ein Leser hat mir sogar ein Foto geschickt, er war auf der Suche nach dieser ominösen Firma gegangen und hatte nur einen Briefkasten gefunden. Inzwischen gibt es sogar mehrfach Software zum Aushebeln von X-Pire!, die auf meinem Vorschlag beruht.
Bemerkenswerterweise war alles, was ich in Presse und Blogs über X-Pire! gelesen habe (und das war ziemlich viel), durchweg negativ bis auslachend. Es gab mehrere Dutzend Blog-, Onlinemedien- und Zeitungsartikel, meist mit Verweisen auf die Kritik von Kristian Köhntopp oder meine, aber durchweg krasse Kritik. Bemerkenswert deshalb, weil dieser Professor sich selbst häufig darüber zu definieren scheint, wie oft (und nicht wie gut) er in der Presse genannt wurde. Insofern ist aus dieser Sicht auch jeder Verriss in der Presse ein „Posten auf der Publizitätsliste” (der übliche Forschungsschwindel eben). So steht beispielsweise in der (nicht unmittelbar sichtbaren) Description im HTML-Header der Webseiten von X-Pire!:
“Mit der innovativen Software X-pire! – bekannt aus TV, Rundfunk, Printmedien und zahlreichen Webseiten – verpassen Sie Ihren Fotos, die Sie im Internet veröffentlichen, ein Verfallsdatum. Damit selbst das Internet Ihre Daten wieder vergessen kann.”
„Bekannt aus Rundfunk, Printmedien und zahlreichen Webseiten” – Hahaha. So kann man es natürlich auch formulieren. Formal gesehen stimmt es ja, wenn jeder drüber lacht.
Irgendwann fragt man sich freilich schon, warum die sich dort so zur Zielscheibe machen. Dabei bin ich kürzlich über eine andere Webseite gestolpert, und zwar die über ein Forschungsprojekt um einen gewissen Professor Alexander Pretschner, ausgerechnet an der Uni Karlsruhe (über deren Fähigkeiten in IT Sicherheit habe ich wohl schon genug geschrieben). Es geht im Prinzip um das gleiche Thema, nämlich die Begrenzung des Zugriffs auf persönliche Daten in sozialen Netzwerken.
Immerhin liest sich das zumindest im Ansatz etwas seriöser. Die setzen sich – angeblich, wie gesagt, was die in Karlsruhe unter Wissenschaft und Sicherheit so verstehen, ist hinreichend beleuchtet – wohl erst einmal mit den Anforderungen auseinander. Was ja mal kein schlechter Plan ist, und was man in Saarbrücken offenbar übersprungen hat. Ob es das Problem allerdings lösbarer macht, ist freilich eine andere Frage. Was aber nichts macht, denn es ist ja laut Webseite von EU und DFG gefördert, und da ist es ziemlich egal, ob ein Projekt erfolgreich sein kann oder nur Selbstzweck ist. Jedenfalls scheint da in Karlsruhe eine Konkurrenztruppe zu diesem Thema zu liegen, die zumindest laut dieser Webseite den Eindruck hinterlassen, als ob sie da mit mehr Leuten und mehr Geld rangehen.
Das drängt natürlich die Frage auf, ob die da in Saarbrücken deshalb so vorgestürmt sind, eben um die Karlsruhe zu überholen. Ob das der Versuch war, den Karlsruhern die Wurst vom Brot zu klauen. Und die es deshalb so eilig hatten. Oder vielleicht die Regierung und „Verbraucher-Ilse” Aigner irgendeinen digitalen Gummi brauchten (man verzeihe mir die dämliche Analogie, aber wenn man seine Daten beisammen halten will, daß braucht man zwar einen Gummi, aber einen Überzieher und keinen Radiergummi) und die halt als Erste die Gelegenheit staatlicher Beförderung mitnehmen wollten. Ob die es einfach ganz eilig hatten, um nicht sowieso abzusaufen.
Eine andere interessante Frage ist natürlich, ob die Geldgeber bei EU und DFG sich etwas dabei denken, wenn die das in Karlsruhe finanzieren, während in Saarbrücken einer mit ungefähr der gleichen Idee auf die Schnauze fällt.
Daß der Internet-Sachkompetenz in den Blogs ziemlich schnell klar war, warum das so nicht funktionieren kann, während an den Universitäten offenbar sogar mehrere Gruppen über längeren Zeitraum daran herumforschen, ist natürlich ein anderer Aspekt.
Freilich sollte man dabei auch im Auge behalten, daß die Meinung der Öffentlichkeit nicht immer richtig ist und manchmal kontraproduktiv. Damals dachten auch alle, daß die Erde flach ist. Aber dafür hatten sie keine fachlichen Gründe. Kürzlich kam im ZDF ein spannender Film über Rudolf Diesel, der den Dieselmotor erfunden hatte. Dem sagten auch alle, daß das nicht funktionieren kann, weil das Material dem von ihm berechneten Druck nicht standhalten kann. Trotzdem hat er den wichtigsten Motor unserer Zeit entwickelt. (Allerdings hatten in dem Fall wirklich die anderen Recht, denn mit dem von ihm berechneten Einspritzdruck hätte es wirklich nicht funktioniert, er hatte sich nur massiv verrechnet und der materialverträgliche Druck war sogar der richtige).
Es ist also nicht immer so, daß die spottende Mehrheit automatisch Recht und der einzelne Forscher automatisch Unrecht hat. Die Geschichte lehrt aber eben auch, daß es um Größenordnungen mehr Scharlatane und Drittmittel-Pseudoforscher gab als verkannte Genies. Sich an den wenigen Beispielen von durch die Mehrheit verkannter Visionäre zu orientieren, wäre statistisch fehlerhaft und unwissenschaftlich (auch wenn der Mensch lieber diese Sonderfälle sieht).
Ich bin mal gespannt, ob die Karlsruher dieselben Fehler wiederholen. Ich seh’s positiv: Ich bekomme Nachschub an Stoff für mein Blog.
3 Kommentare (RSS-Feed)
Das alte Problem vom Digital Rights Management und der Kontrolle über das Endgerät eben.
Auch wenn dieser Beitrag (relativ zur Aktualität dieses Blogs) schon sehr alt ist: Vor allem Frage ich mich, wie man auf die Idee kommen kann, von bewilligten Forschungsgelder ALS ERSTES mindestens 25.000 EUR in das Stammkapital einer GmbH zu “investieren” – wo doch schon klar sein muss, dass dieses Unternehmen NIEMALS Gewinne abwerfen wird. (Ach Moment, das erklärt es wohl…)
egal was die erfunden haben. Es wird an folgendem Punkt scheitern:
…, die Software, die auf dem Computer des Nutzers installiert sein muss, gegen unerwünschte Eingriffe zu schützen.
Keiner wird sich irgendeine Gängelsoftware freiwillig installieren, sofern sie überhaupt für das gewünschte OS verfügbar ist, nur um in facbook und Co sich etwas anzusehen. Insbesondere dann, wenn die Nutzer dieser Software in der Minderheit sind.
Nur wenn die facebook und Co. überzeugen könnten, allen Nutzern diese Software aufzudrücken, würde das funktionieren.