Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Doktortitel gerade im Sonderangebot – alles muß raus, jeder bekommt einen

Hadmut Danisch
10.3.2011 14:16

Eine Leserin schickt mir gerade, was sie als Werbung für Doktortitel (eigentlich ist der Doktor ein Grad, aber der Begriff tut in diesem Zusammenhang schon weh) bekommen hat. Die Preise sind erstaunlich.

Den Absender nenne ich jetzt mal nicht, um nicht für die auch noch Werbung zu machen oder mit denen gleich Ärger zu kriegen, zumal es sich um einen deutschen „Promotionsberater” handelt. Immerhin wirbt er schon auf der Webseite dafür, daß die Promotionsberatung für die externe, nebenberufliche Promotion gedacht ist und auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten werden kann. Wenn sich die Promotion also nicht nach festen Leistungsanforderungen und Bewertungsmaßstäben, sondern den Bedürfnissen des „Klienten” richtet, kann es schon nichts seriöses sein. Aus der Werbemail:

Seit 1989 ist … auf dem Gebiet der Promotionsberatung tätig. Wir vermitteln unsere Kandidaten ausschließlich an staatlich anerkannte Universitäten, vorwiegend in Osteuropa (Rumänien, Tschechei, Slowakei, Ungarn, Polen), so dass die Titelführung in Deutschland gewährleistet ist. Aufgrund des Hochschulabschlusses und des Dissertationsthemas wählen wir die Universität aus und stellen die Verbindung zum Dr.-Vater her. Je nach Universität kann das Promotionsverfahren innerhalb von 2 – 6 Semestern abgeschlossen werden. Wer z.B. eine fertige wirtschaftswissenschaftliche Dissertation vorliegen hat, kann die Promotionslaufzeit erheblich reduzieren. Unser Honorar beträgt immer € 12.000,–, hinzukommen die an die Universität zu zahlenden Gebühren von bis zu 17.000 €.

Aha, also 12.000 für den Berater, 17.000 für die Uni. Der Prof will vielleicht auch noch mal was, damit die Notengebung besser flutscht, und mit einer fertigen Diss in Wirtschaftswissenschaften, wo es sowieso keinen ernsthaften Unterschied zwischen richtig und falsch gibt, geht es schneller. Also nochmal 10.000 für einen Ghostwriter. Merkt sowieso keiner bei einer in Rumänien (und vielleicht auf rumänisch) veröffentlichten Diss. Da liegen wir also so bei 40.000 bis 45.000 Euro.

Und weiter in der Mail:

Titel und Grade von europäischen Universitäten dürfen ohne Herkunftshinweis geführt werden. Das gilt natürlich auch für einen „Doktor honoris causa“ oder für eine Honorarprofessur. Für die Ehrendoktorwürde haben wir nur eine begrenzte Kapazität zur Verfügung. Wir dürfen vier Kandidaten pro Jahr vorschlagen. Hier liegt der Kostenaufwand bei ca. € 100.000 € und setzt ein bestimmtes Anforderungsprofil voraus.

Das finde ich erstaunlich. Der Dr. h. c. ist eigentlich der schlechtere, kostet aber doppelt soviel. Na gut, dafür muß man dafür gar nichts können und nicht mal so tun, als hätte man eine Diss geschrieben. Dafür geht’s wohl auch viel schneller, weil nicht mal eine Leistung vorgetäuscht werden muß.

Wer bereits promoviert ist und eine eingeschränkte Lehrtätigkeit ausüben will, kann sich um eine Honorarprofessur bewerben.

Ah ja. Weil doch bei der heutigen Doktor-Inflation Hinz und Kunz mit Doktor rumlaufen, und man in deutschen Vorstandsetagen mit Prof gleich viel bessere Chancen hat.

Dann gibt es noch die Möglichkeit, Titel und Grade außerhalb Europas zu erlangen. Diese sind wesentlich günstiger, aber diese Titel und Grade müssen mit einem Herkunftshinweis geführt werden. Diese Verfahren sind meistens schnell durchzuführen bei entsprechender Mitwirkung des Kandidaten.

Quick, cheap and dirty. Sieht halt nicht so gut auf der Visitenkarte aus, wenn jeder gleich sieht, daß man an der Universität in Korruptistan promoviert haben will.

Allerdings muß ich sagen, daß das Angebot, in zwei Semestern für 30.000 bis 40.000 Euro zu promovieren, immer noch wesentlich günstiger, schneller, streßfreier und vor allem billiger als in Deutschland ist.

Als ich damals Mitarbeiter war, haben sie die meisten Doktoranden ausgequetscht und jahrelang schuften lassen, manche bis zu 7 Jahren. Und bei mir hat die Uni damals ein Schutzgeld in Höhe eines kompletten Industrie-Jahresgehaltes plus Büro usw. verlangt, war also wesentlich teurer. Und was die deutsche Promotion tatsächlich taugt und wert ist, hat zu Guttenberg ja gerade drastisch vorgeführt.

Insofern muß man bei objektiver Betrachtung sagen, daß ein gekaufter Doktor aus Polen oder Rumänien im Endeffekt für den Doktoranden die allemal bessere, zuverlässiger und günstigere Wahl ist als die Promotion an einer deutschen Uni. Und auch nicht weniger seriös als was an deutschen Unis vor sich geht.

8 Kommentare (RSS-Feed)

Matias
10.3.2011 15:07
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Auf der Visitenkarte würde der rumänische Dr. tatsächlich nicht auffallen. Auf dem Lebenslauf hingegen schon (da muss man ja angeben wo man promoviert hat). Ein halbwegs vernünftiger Personalchef würde da den Braten riechen. Und ob sich die 40000Euro wirklich rechnen? Wer so viel Geld übrig hat ist wahrscheinlich eh schon so gut vernetzt dass er den pseudo-Dr. für die Karriere nicht braucht.


Jan Klett
10.3.2011 16:07
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Das mit dem Doktortitel kaufen ist natuerlich nicht so toll.
Aber staendig sowas zu hoeren wie im letzten Absatz geht schon auf den Nerv, mit Verlaub gesagt.
Ich und meine Kollegen haben fuer unsere (experimentellen) Doktorarbeiten (in Deutschland) hart gearbeitet, und ob’s jemand glaubt oder nicht, viele haben es zum grossen Teil aus Neugier und Interesse gemacht.
Und unsere Chefs, die Professoren, haben durchgehend durch extrem harte Arbeit und ueberragendes Wissen ueberzeugt.
Hier in Schottland ist das uebrigens auch nicht anders.
Reich wird man als Doktorand natuerlich nicht, auch in meinem Stadium kann man das nicht behaupten. Was andererseits zeigt, dass viele meiner Kollegen (und ich) das aus Liebe zur Wissenschaft (in dem Fall Chemie) machen.
Abgesehen davon hab ich den Doktorgrad bisher kaum “benuetzt”, wenn fast die Haelfte um einen herum promoviert ist spielt das eh keine Rolle mehr…
Viele Gruesse aus Glasgow
Jan


Hadmut Danisch
10.3.2011 17:49
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Oh, da kenne ich kein Mitleid.

Ich hab für meinen Doktor auch hart gearbeitet. Und in trotzdem nicht bekommen, weil die Prüfer trotzdem die Hand aufgehalten haben. Der Erstgutachter hat gelogen, daß sich sie Balken biegen, und die beiden Zweitgutachter und die Gerichtsgutachter haben das, was sie als angeblich schlecht abgelehnt haben, nie gelesen. Und alle sagten sie, das wäre normal und wissenschaftlich und immer so. Und auch jeder Ersatzprofessor, den ich um Betreuung gebeten habe, hat abgelehnt, weil ihm entweder die Literaturliste nicht paßte oder die ganz offen die Hand aufgehalten haben.

Was soll also der Scheiß mit „Habe hart für den Doktor gearbeitet” ? Liest doch sowieso niemand. Und die meisten deutschen Professoren sind – nach meiner Erfahrung der letzten 15 Jahre – schlichtweg zu blöd und zu inkompetent, eine Dissertation zu bewerten. Ich bekomme hier immer wieder mal Mails von Professoren, die sich über mein Blog aufregen und mir erklären wollen, was für gute Arbeit sie leisten. Und im Dialog stellt sich dann heraus, daß sie von Tuten und Blasen so wenig Ahnung haben, daß sie nicht mal merken, wie wenig Ahnung sie haben und sich nur für gut halten.

Für die Promotion hart zu arbeiten ist ernsthaft und im wahrsten Sinne des Wortes Perlen vor die Säue geworfen. Das meine ich ernst.

Hier in Deutschland ist die Promotion doch auch nur noch zum Handelsobjekt verkommen. Lieber einen im Osten kaufen, da weiß man wenigstens, was man bekommt und wird nicht noch schikaniert, und die gesparte Zeit und das gesparte Geld in wirklich sinnvolle wissenschaftliche Arbeit stecken.


Anna Freud
10.3.2011 21:10
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Ich muss ehrlich sagen, dass überhaupt die meiste (wenn nicht alle) Arbeit an der Universität Perlen vor die Säue sind.

Aber Herr Danisch, mit so einer Aussage dürfen Sie sich in edle Reihen stellen. Ich habe letztens eine sehr ähnliche Aussage bei dem Arthur Schopenhauer gelesen, in seinen “Aphorismen zur Lebensweisheit”.

Die klügsten Köpfe der Geschichte haben Universitäten immer sehr gering geschätzt.


Exin
12.3.2011 16:02
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Hmmm. Wie es aussieht ist das mit dem Doktortitel wie in der Politik. Nicht der, der was drauf hat, kommt weiter, sondern der, der es einfach nur will. 🙂


Jan Klett
12.3.2011 17:55
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Liebe Kommentatoren, dazu folgendes:
Ja, aber Mitleid will ich ja dafuer auch gar nicht.
Das waer auch ziemlich bloed. Der Spass hat eh ueberwogen, mit Phasen grosser Frustration.
Und uebrigens, andere arbeiten fuer andere Sachen auch sehr hart, die wahrscheinlich wesentlich sinnvoller sind. Bestreitet ja niemand.
Und das es niemand liest ist auch meistens wahr.
Es geht wohl eher darum, dass man das “Handwerk” lernt, Forschung ist nun mal ein Handwerk wie andere Sachen auch, das jemand seinen Meister bekommt finden ja auch die meisten gut, oder. In der Forschung nennt man das halt Doktor.
Bei der Bewertung kann man zurecht vieles kritisieren, das Problem liegt halt daran, das man was neues schafft, was eben nicht immer in ein Schema passt. Und vieles muss zwangslaeufig schiefgehen, das gehoert nunmal dazu. Die Frage ist, wie und ob man weitermacht.
Meiner Erfahrung nach ist es Bloedsinn von Promotions als Handelsobjekt zu reden, da seh ich den Zusammenhang gar nicht. Wenn jemand meine Doktorgrad z.B. fuer nicht relevant haelt, werde ich ihm freudig zustimmen. Fuer mich war es in erster Linie ein guter Anlass fuer ne Party. Mein Vater (Arzt) hat bereut das er ihn gemacht hat, mein Bruder ist auch ohne Oberarzt geworden, also was soll’s.
Mir hat die Promotion den Weg dazu geebnet, dass zu machen, was mir Spass macht, und wobei ich auch ziemlich gut bin.
Und was Wissenschaft und Unis allgemein angeht: Wir manipulieren unsere Umgebung auf inzwischen dermassen hohem Niveau, man braucht einfach Leute, die lernen wie das geht. Und das lernt man an Unis. Und weil es nichts gibt, was man nicht verbessern kann, wird dort halt geforscht. Und erst wenn man lernt, wie man etwas verbessert, lernt man wirklich, wie es funktioniert.
Auf jeden Fall danke fuer den Kommentar. Das Ganze hier ist wohl eher nicht zur Veroeffentlichung geeignet, aber den Austausch mit Ihnen finde ich interessant. Das mit dem Scheiss hab ich jetzt mal ueberlesen…
Zudem: Ich kenn einige Profs, die nette, sehr faehige Burschen sind, und sich nicht das Geringste darauf einbilden, Prof zu sein.
Es gibt offensichtlich auch andere Beispiele.
Auch wenn ich auf Ihrer Seite viel nicht zustimmen kann, ist es ein interessanter Platz zum Meinungsaustausch. Man hat ehrlich gesagt wirklich kaum eine Ahnung, was die Leute ausserhalb der Uni denken.
Ich sah mich gefordert, meine Sicht der Dinge zu aeussern, ich halt mich aber keineswegs fuer ein “Botschafter” fuer Unis oder Promotion.
Unis sind keine Festungen, redet mit uns.
Und viele wirklich gute Wissenschaftler behaupten nie, dass sie gut sind. Da zeigt sich eher Demut, dass sie nicht alles so gut verstehen, wie sie moechten.
Nebenbei, das sind meine allerersten Kommentare, ich lege nicht unbedingt Wert darauf, das online zu sehen. Zu lang und wahrscheinlich irrelevant.
Auf jeden Fall danke, und viele Gruesse aud Schottland
Jan


Anna Freud
15.3.2011 0:10
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Lieber Jan,

es ist schonmal angenehm, mit “Uni-Internen” zu kommunizieren, ohne einen Shitstorm ins Gesicht zu bekommen. Die meisten werden einfach gleich frei heraus beleidigend. Woher man denn manchmal auch weiß, dass man ins Schwarze getroffen hat.

Aber du gibst auch ein Beispiel ab, aus dem ich nur eine Sache herausgreifen will.
Dein Vater ist Arzt, dein Bruder auch. Ich nehme daher an, deine Familie ist einigermaßen privilegiert, besonders finanziell, aber auch sozial, d.h. beziehungs-mäßig. Ihr kennt genügend Leute und ihr kennt sie schon was länger.

Ich denke, es ist wirklich so, dass man wahrscheinlich (nicht zwingend) mit einem anderen Blick durch die Universitäten streift, wenn man in so einer Position ist wie du. Bestimmte Erfahrungen muss man dann nie machen, KANN man aber auch nur schwer.

Wenn man fürchten muss, dass ein Promotionsstudium oder auch nur ein Diplom- oder Magister-Studium (oder ein Bachelor oder ein Master) die eigene Existenz finanziell und essentiell ruinieren kann, dann geht man mit einem ganz anderem Blick durch die Universitäten als du. Besonders, wenn man einen Berg Schulden machen muss dafür.
Man sieht dann die Unzulänglichkeiten völlig anders. Man sieht sie aber nicht nur anders, man erfährt sie auch ganz anders.
Auch heute noch hängt “Bildungsgrad” vom Geldbeutel der Eltern ab. Oder vom Geldbeutel der Ehepartner. Ist beides gering, kann man mit Kampf und Glück und Spucke ein Diplom/Magister etc. machen. Eine Promotion oder Habilitation aber ist eher Verhandlungen mit einem existenziellen Drama und Rumrechnerei.
Es heißt ja land auf land ab, dass Armut “vererbt” würde. Man erforscht dann allerlei Gründe, die zumeist Rationalisierungen sind, warum und wieso Armut vererbt wird. Meistens kommt man salopp gesagt darauf, dass die Leute dumm, faul oder eine Mischung aus beidem sind. Man kann auf die Statistiken schauen, dass alle Forschung und daraus folgende Politik noch nicht viel bewirkt hat. Und gleichzeitig hat es sehr viel bewirkt. Aber das ist ein anderes Thema.

Man sollte, denke ich, einmal die “Vererbung” von Reichtum erforschen, um etwas über die “Vererbung” von Armut herauszufinden. Das scheint mir durchaus sehr zusammen zu gehen.

Ich will dich hiermit nicht kritisieren. Aber anzunehmnen, der Erfolg, so man das so nennen will, an einer Universität hinge vom eigenen Intellekt ab, ist naiv. Wäre deine Mutter arbeitslos (gewesen) oder nicht so gut bezahlt oder normal bezahlt und dein Vater ebenfalls eines dieser drei Sachen, wärst du jetzt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht Doktor der Chemie. Du hättest vielleicht nicht mal ein Diplom, vielleicht nicht mal ein Abitur.

Um was es dabei geht und um was es auch, wie ich es sehe, in diesem Blog geht, ist Ungerechtigkeit, Bevorteilung und das, was man Vetternwirtschaft nennt. In größerem Stil und mit dem Anspruch dem Fortschritt der Menschheit zu dienen.
Denn einmal angenommen, ein Mensch will Arzt werden, kennt aber keinen und nichts und niemand aus diesen Gefilden und wurde auch eher mit einem Plastiklöffel und nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren. So ist es sehr wahrscheinlich, dass er
a) einen haufen Schulden nach dem Studium hat (die du wahrscheinlich nicht hast)
b) in seinem Praktischen Jahr vielleicht länger als ein Jahr tätig ist, weil das Krankenhaus, in dem er praktiziert, Fachkräftemangel hat und daher auf billige Fachkräfte, wie PJ-Ärzte, gerne auch über das Maß zurückgreift, weil er keine Beziehung hat, die ihn davor schützen würde (ein Problem, das dir sicher analog auch nicht begegnet ist und das vielen schon in der Diplom-Phase begegnet)
c) aufgrund des Stresses aus a und b irgendwelche, insbesondere psychische Langzeitschäden davon trägt (die dir mit Sicherheit erspart geblieben sind), die insbesonder a verstärken können, aber auch noch zu d, e f, g, h …. z führen können.

Wenn man sich mit a, b und c durch die Universitäten bewegt – die Disziplin ist dabei fast egal – dann erfährt man sich selbst als eine so abgewertete und vor allem abwert-bare Person, dass man manchmal gar nicht mehr weiß, ob man noch Personen-Stummel ist oder schon bloßes Ding. Das derbste an diesen Erfahrungen ist wahrscheinlich das Gefühl und die ständig vorhandene Erfahrung, ausgebeutet zu werden und ohnmächtig dagegen zu sein und das in einer Institution, die vorgibt, gerade so nicht zu sein. Es ist dann diese Ohnmacht, die entweder zum Abbruch führt und vergessen oder verdrängen läßt, oder aber zu einer grundlegenden Haltungsänderung gegenüber den Universitäten und vielleicht noch anderen, verwandten Institutionen führt. Diese Haltungsänderung ist dann eine in Richtung grundlegender Kritik dessen, was einen selbst zerstören wollte oder zerstört hat. Die materielle Basis ist also die Substanz der eigenen Erfahrung. Bisweilen ist diese Haltung der Kritik auch eine polemische, eine wütende, eine verzweifelte, ein geradewegs beleidigende, ein am “guten Ton” gemessen unangemessene. Aber kritisch ist sie immer.

Es ist nun einerseits das Problem, dass
1. diese kritische Haltung von denen, die “gut und sanft” durch die Universität gegangen sind meistens nicht eingenommen wird. Sie wird auch meistens nicht verstanden, und daher
2. massiv denunziert, egal welche Form der Kritik. Und das ist für den Kritisierenden eine Infragestllung der Wahrheit der eigenen Erfahrungen (der Substanz), die man in ein “der spinnt doch eh bloß” umformulieren kann. Es kann aber auch zu einem “den lassen wir fallen” werden, was gleichbedeutend sein kann mit “den machen wir kaputt”. Da kann man taktisch vorgehen, wenn man will. Eine Taktik besteht bspw darin Beschuldigungen so lange abzublocken, bis der Kritiker (angewidert) geht. Womit er die Gegenwart in Ruhe lässt, aber einen Kredit auf die Zukunft nimmt: er wird es nicht vergessen und er wird wiederkommen, aber anders.

Mit “dieser” Kritik meine ich weniger, dass man “diese Formel da benutzen sollte und nicht jene dort” (keine Frage der Fachautorität im engen Sinn), sondern, dass man diese Haltung da einehmen muss und jene dort nicht einnehmen darf. Man darf sich beispielsweise nicht korrumpieren lassen und dennoch tun das manche. Man darf sich nicht bevorteilen lassen und dennoch haben viele damit kein Problem. Man darf nicht zugunsten des Ziels jedes Mittel als Recht ansehen, weil man damit jedes unlautere, unmoralische Mittel zu einem Recht macht, was einen für Unrechtsdinge und Unmoral de-sensibilisiert. Man sollte nicht von Vetternwirtschaft profitieren wollen, weil man sich damit in Abhängigkeiten begibt, die erwachsene Menschen nicht mehr haben sollten.
Man sollte sich nicht in einer Institution, Organisation oder Gemeinschaft freiwillig befinden, in der alles oben genannte auftritt, weil sie bestehende Ungerechtigkeiten, Bevorteilungen und Vetternwirtschaften verlängeren und wenig Interesse daran haben, das zu überwinden, weil das Teil ihrer Arbeitsprinzipien ist.

Die Grade und Titel sind ein Handelsobjekt, nicht nur, aber auch. Das Problem ist, dass die Macht dieses Handelsobjekts zunehmend ausgenutzt wird. Das weitere Problem ist, dass jene, durch die dieses Handelsobjekt hauptsächlich produziert wird, sich um dessen Missbrauch nur sehr wenig kümmern. Es scheint ihnen mehr oder weniger egal zu sein, d.h. sie sind unsensibel dagegen und folglich gegen die daraus entstehenden gefahren. So dass es kein Wunder ist, dass sie es irgendwann nicht mehr bemerken. Viele scheinen davon auch wenig mitzubekommen, was die Sache nur noch schlimmer macht. Man sollte mal erforschen, wie kollektive Täuschung in den Gehirnen des Kollektivs funktioniert. Man müsste das auch noch anders erforschen und vielleicht nicht nur nach Standards gegenwärtiger Wissenschaft. Man bräuchte mal einen dauerhaften, intellektuellen, nicht-wissenschaftlich gefärbten Blick auf die Universitäten von Außen. (Aber wer wird damit das größte Problem haben? Wir ahnen es bereits…)

Andererseits muss man zugeben, dass es kaum ein geeigneteres Völkchen als das der gegenwärtigen Akademiker gibt, um die Universität entweder zusammenstürzen zu lassen oder ganz zu zerstören. Wenn das “thumbe Volk” schon meint, dass “sowieso alle Betrüger” sind, dann sollten die Alarmglocken sehr schrill klingeln. Das muss man zwar nicht unbedingt selbst ausgelöst haben, man kann, so wie vielleicht du Jan, wirklich redlich sein, wirklich gut und empfindlich gegen Unmoral. Aber die falschen Handlungen einiger reichen in Gruppen, die formell (einheitliche Titel und Grade) mit einander verbunden sind, völlig aus, um alle zu deklassieren.

Das Verwunderliche ist, dass das kaum Träger der Auszeichnungen zu stören scheint. Das Problem gibt es nicht erst seit gestern. Aber seit dem Verkauf der Universitäten und vor allem der Forschungsprojekkte hat es massiv an Intensität zugelegt.

Im gleichen Zuge scheinen die Universitären noch weiter vom Boden abgehoben zu sein (was nicht “alle” meint, sondern die dafür nötige “Mentalität”, die sich erstmal entwicklen können muss), und dabei scheint der erwähnte Problemkomplex noch intensiver verschwiegen und ignoriert worden zu sein. Es liegt hier aber in der Kultur der Sache, dass die Dämme irgendwann von den Geistern, die man dahinter verschanzt hat, eingerissen und ausgelacht werden.
Man kann nun annehmen, dass das schon begonnen hat und so schnell nicht zum erliegen kommen wird.
Und auch hier wieder die Verwunderung: wie wenig das die hauptsächlich Betroffenen zu stören scheint.


Jan Klett
16.3.2011 15:44
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Liebe Anna,

vielen Dank fuer Deinen Kommentar.
Er ist sehr ausfuehrlich, und ich werde ihn sicherlich noch ein paar mal lesen muessen, um aus allem schlau zu werden, was jetzt keine Kritik an der Ausfuehrung sein soll.
Nur ein paar kurze Anmerkungen zu meinem Werdegang, der Teilweise richtig eingeschaetz wurde, deswegen hab ich auch ein paar persoenliche Details in meine Argumentation einfliessen lassen.
Also:
Die finanzielle Unterstuetzung meiner Eltern bis zum Diplom war wirklich essentiel, zumindest fuer mich. Bei dem damaligen Chemiestudium and der Uni Stuttgart war es auch nicht wirklich moeglich Abends oder in den nicht existierenden Ferien arbeiten zu gehen. In dem Punkt stimme ich eindeutig zu.
Auch die Tatsache, das ich aus gut mittelstaendischen Familie/sehr kleinen Dynastie (kicher) komme hat geholfen, weil es einem Zutritt zu Buechern im Elterlichen Regal oder allgemeine familiere Unterstuetzung und Anerkennung von persoenlichen Fortschritten (so will ich es mal nennen) verschafft hat.
Bei vielen (naja, viele waren wir damals ja nicht) meiner Kollegen war es anders, was aber deren Leistungen nicht beeintraechtigt hat.
Viele kamen vom “Land” und hatten nicht studierte Eltern, und etliche waren erheblich besser als ich. Im Gegensatz zu denen bin ich ein paar mal aus Pruefungen in hohem Bogen rausgeflogen. Hat mir nicht geschadet… Soviel ‘zu sanft und gut’
Keiner von uns hatte damals schon einen Doktortitel im Kopf, die Moeglichkeit, das man sowas machen kann war uns bewusst.
Aber jetzt zur Uni:
-Beziehungen hatter ich gar keine.
-Ich hab absolut niemanden gekannt. Einer aus meiner Gegend jedoch, zwei Jahre ueber mir, war absolut hilfreich, ihm und einem Mitstudenten werd ich ewig dankbar sein fuer ihre Hilfe.
-Veternwirtschaft keine. Ich hab die gleichen HiWi Sachen gemacht wie meine Kollegen.
-Meinen Doktorvater hab ich durch Zufall am Institut kennengelernt.
Dann gings nach Mainz. Wieder niemanden gekannt. Zum Glueck gab’s dann ne halbe Stelle, mit der ich sehr zufrieden war. Damals besass ich schon meine beiden rostigen Auto und hab mit Verwunderung festgestellt, das sich viele Freunde und Bekannte (studiert und nicht studiert) neue Autos, Wohnungen und Haeuser gekauft haben. Ich besitzt immer noch nix, will ich auch gar nicht. Ich bin lieber frei. Aber nur so nebenbei.
Bei meinem Bruder das gleiche. Beziehungen an der Uni, in einer anderen Stadt: Keine. Woher sollen die auch kommen. Ich frag mich immer, wie sich die Leute das Vorstellen. 30000 Studenten an der Uni, wen juckt es da, wenn der Vater Arzt ist?!
Aber ich versteh nicht, wieso mich das blind gegen Misstaende machen soll.
Zum Beispiel: Ich hasse Verschwenndung. Wenn ein neues Gereat nur gekauft werden soll, das niemand braucht, aber weil das Geld sonst weg ist, das finde ich unertraglich.
Oder Pfeifen, die ewig auf halben Stellen sitzen, und nach 6 Jahren nix fuer Ihre Doktorarbeit hinbekommen haben und staendig das Maul aufmachen. Aber als Doktorand hat man nur wenig zu sagen, das stimmt. Aus der Politik, die da laeuft, haelt man sich raus oder wird rausgehalten. Es ist natuerlich die Frage, ob eon Doktorand sie nicht besser um die Forschung und (nicht zu vergessen) Lehre kuemmert, dafuer ist er da. Das mag Kontrovers sein, aber es ist meine Meinung. Was einen nicht abhalten soll, einzuschreiten wenn jemand (Student oder sonst jemand) schikaniert wird. Man ist eine billige Fachkraft, das stimmt, aber es ist ein staendiges Geben und Nehmen, das ist nicht automatisch unmoralisch. Ich habe auch 5 Jahre fuer die Promotion gebraucht, weil niemand anderes da war. Wieauchimmer: Man ist kein Sklave und muss sich nicht fuer alles einspannen lassen.
Wie weit man an einer Universitaet kommt haengt nicht nur vom Intellekt ab, sondern auch von der Persoenlichkeit und Leistungsbereitschaft. Aber sonst? Tut mir leid, das seh ich wirklich nicht. Arschkriecher gibts natuerlich. Also insgesamt entgeht mir der Unterschied zu anderen Institutionen oder Unternehmen. Wahrscheinlich gibts gleich Blogs ueber Krankenhaeuser, Rathaeuser, und so weiter.
Ganz nebenbei, ich hatte waehrend der Promotion heftige persoenlich Probleme, die zum Glueck nix mit Geld zu tun hatten, aber mir hat’s gereicht.
Persoenlichkeit, was ich oben genannt habe, kann auch nicht alles sein, nicht viele Leute wuerden mich als auf den ersten Blick symphatisch oder ueberzeugend bezeichnen.
Es kommt meiner Meinung nach darauf an, das man seine Wissenschaft aufrichtigt liebt (und manchmalt hasst, kein widerspruch an sich) und sich ernsthaft damit beschaeftigt.
Wo ist die Vetternwirtschaft, wenn man mit nichts als was man im Kopf hat und einem kurzen Empfehlungsschreiben ins Ausland geht, um seinen Postdoc in einem neuen Gebiet zu machen?! Sorry, da kann man nur durch Leistung und eigene Ideen ueberzeugen, wenn man weiterkommen will.
Es gibt natuerlich Ungerechtigkeiten, wie ueberall. Aber wie soll man das in eine wissenschaftliche Bewertung einfliessen lassen?
Nach einigem wird jeder zustimmen, das ist unmoeglich.
Das wiederum bedeuten: Wenn persoenliche Gruende in eine Bewertung einfliesssen, ist das auf haerteste abzulehen. Aber dagegen kann man vorgehen; was nicht heissen soll, dass man nicht doch unter die Raeder kommen kann…
Ich kann nun mal nicht viel Schlechtes von Uni berichten, deswegen melde ich mich hier zu Wort. Mir Naivitaet zuzuschreiben halte ich fuer naiv. Die, welche gutes Sagen sind Naiv, die verurteilen realistisch? Das greift viel zu kurz, und ich vertrete hier eine Seite der Medaille, die hier zu kurz kommt.
Wenn’s mich im Diplom erwischt haette, wuerd es anders klingen, hat’s aber nicht.
Ehrlichkeit in der Wissenschaft und Uni: Ich kann nicht ueber andere Bereiche reden, aber bei uns kommt es auf groesst moegliche Genauigkeit und Ehrlichkeit an. Ein grober Fehler und man ist erledigt. Das man sein Zeug gut verkaufen muss ist eine ganz andere Sache, das muss sich die Waage halten.
Das bringt uns zur Verbindung mit der Oeffentlichkeit. Das der Faden abreisst ist eine sehr grosse Gefahr. Und wenn dann selbsternannte Vertreter der Pseudo- oder Parawissenschaften einspringen wird’s ganz boese. Daran muessen wir arbeiten, ganz klar!
Daran, das viele an der Uni angeblich fuer Schwindler und Betrueger gehalten werden (was ich so gar nicht herauslesen kann) muss wohl die Darstellung einzelner Faelle in den Medien sein.
Du nennst uns nachlaessig im Umgang mit derartigen Unregelmaessigkeiten, aber die Wissenschaft ist eben keine MAFIA, die bei einem, der gegen den Ehrenkodex verstossen hat, sofort das Messer zueckt.
Titel und Grade ausserhalb der Uni finde ich masslos ueberschaetzt, und zwar von beiden Seiten aus. Titel und Grade ausserhalb der Uni sind nur eine Machtbasis, wenn man sie es dazu werden laesst. Und dafuer koennen die Unis nicht wirklich viel.
Was nicht heissen soll, dass nicht auf eine korrekte, gewissenhafte Verleihung bestanden werden muss.
Wenn alles an den Unis Betrug waere, gaebe es dann sowas wie MP3, Mobiltelefone oder Leuchtdioden? Nur ein paar Beispiele.

Man kann sich jahrelang an Unis rumtreiben, ohne seine Seele zu verkaufen, glaubt’s mir. Ich leg mich auch mit Profs an, wenn’s drauf ankommt, bis aufs ‘Messer’. Ich bin trotzdem noch da. und mache weiter.

Wie sagen die Fantastischen Vier: “Millionen Wege zu sterben, such Dir einen aus.”
Ich hab viel ueber mich geschreiben, sollte ich mich angegriffen fuehlen? Das hoff ich doch, haelt einen auf Trab. 🙂
Ganz nebenbei, ich mag konkrete Beispiele, gezielte Kritik des Diskutierten wird geschaetzt.

All the best

(Und wenn ich priviligiert schon hoere…!!! Schauder.)