Kritik am „Doktor light”
Kritik an der inflationär aufgeweichten anspruchslosen Promotionspraxis im Focus. (Danke für den Link.) Daß die Promotion anspruchsvoller werden muß, ist richtig. Aber wer soll das ausbilden und abprüfen können? Dazu wären viel zu wenige unserer Professoren befähigt.
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Oh, das ist eine schwierige Frage, und nur im Einzelfall zu beantworten.
- Es muß sich jeder nach seiner Person, seiner Zukunftsplanung, seinem Fach und seiner persönlichen finanziell-familiären Situation überlegen, ob der Aufwand in Relation zum Nutzen steht. Auch das Scheitern muß man einkalkulieren. Ja nach Berufsrichtung ist der Doktor wichtiger oder weniger wichtig.
- Man muß die Mentalität dafür haben, sich ein Projekt vorzunehmen und das dann auch durchzuziehen, komme was da wolle. Also auch nicht von privaten Dingen ablenken lassen. Das heißt, daß auch die Feierabende oder Wochenende mehr oder weniger verfügbar sein müssen. Familie oder beziehungsintensive Freunde/-innen sind da hinderlich.
- Es kommt – wie ich aus eigener Erfahrung sagen muß – enorm darauf an, an welcher Fakultät und bei welchem „Doktorvater” man landet.
- Kommt drauf an, was man hinterher machen will. Um den Dr. nur auf der Visitenkarte herumzutragen dürfte – das klingt jetzt absurd, beruht aber auf meinen eigenen überaus schlechten Erfahrungen mit deutschen Universitäten – ein Schnelldoktor aus Osteuropa vermutlich die bessere Wahl sein, was (Zeit-, Arbeits- und Geld-)Aufwand, Ertrag und vor allem die Zuverlässigkeit angeht. Komischerweise sind korrupte Universitäten, die ihren Doktor offiziell verkaufen, inzwischen oft seriöser als die normalen deutschen Universitäten, denn bei den käuflichen bekommt man klar gesagt, was die wollen, und wenn man es hinlegt, bekommt man auch die Gegenleistung. Deutsche Universitäten können nicht entfernt sagen, was sie verlangen, Leistungsbewertung findet nicht statt und ob und wann man es bekommt, ist ein Glücksspiel. Und unterm Strich viel teurer als der gekaufte.
So anrüchig das sein mag, wenn man die Promotion als Dienstleistung oder Visitenkartenveredelung ansieht (was durchaus berechtigt und deren eigentlicher Zweck ist), muß man sich ganz nüchtern den Aufwand und Nutzen anschauen. Und der ist in Deutschland ganz mies.
- Ein Doktor ist nützlich, wenn man in Deutschland in die oberen Führungsetagen möchte oder Kundenkontakt mit Seriositätsfaktor sucht. Die Firmenberatung von Dr. John Doe steht immer besser da als die von John Doe.
- Wenn man sich auf das Risiko der Tombola zwischen Unkündbarkeit, freier Arbeitszeit und staatlicher Alimentierung bis in den Tod auf der einen Seite und der gescheiterten Existenz und dem Hungerleider auf der anderen Seite einläßt und auf die Professur hin arbeitet, braucht man den Doktor.
- Generell ist er im Forschungsbereich erforderlich. So schütten unsere Minister, die DFG usw. Millionen von Euro aus Steuergelder an Forscher aus, ohne dazu große Anforderungen zu stellen oder Kontrollen durchzuführen. Den Geldregen kann man aber nur beantragen, wenn man mindestens Doktor ist.
Speziell zum Thema Geisteswissenschaften hatte das ‘Chronicle of Higher Education’ einen Artikel, wo ebenfalls eine Liste der Kriterien aufgezählt wurde, unter denen man überhaupt erst in Erwägung ziehen sollte, den Wahnsinn einer Promotion in den Geisteswissenschaften einzugehen. Fokus Situation in den USA, aber auch komplett auf die deutsche Situation übertragbar:
http://chronicle.com/article/Graduate-School-in-the/44846/
– Man ist bereits finanziell komplett unabhängig und muss sich seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen. (Beispiel Erwin Teufel mit seinem Philosophiestudium)
– Oder man hat die entsprechenden (sehr seltenen) Beziehungen, so daß einem eine entsprechende Position problemlos besorgt werden kann. (z.B. Guttenberg?)
– Oder man hat einen entsprechenden Ehepartner, der das angemessene Einkommen für die Familie verdient. (Also z.B. die gelangweilte Ehefrau des Topmanagers, die Kunstgeschichte studiert)
– Oder man kann den Titel für seinen Job gebrauchen (Beispiel hier: High School Lehrer), und der Arbeitgeber finanziert einem den Spass.
Auf diese Liste an Kriterien folgt in dem Artikel:
“Those are the only people who can safely undertake doctoral education in the humanities. Everyone else who does so is taking an enormous personal risk, the full consequences of which they cannot assess because they do not understand how the academic-labor system works and will not listen to people who try to tell them.”
Wann macht es überhaupt deiner Meinung nach Sinn für einen Studenten eine Doktorarbeit in Angriff zu nehmen?