Spezifisch deutsches Wissenschaftsproblem der Unverständlichkeit
Hatten wir auch schon mehrfach als Thema angesprochen, aber der SPIEGEL hat gerade einen schönen Artikel darüber:
Aus dubiosen Gründen glauben deutsche Wissenschaftler, daß sie möglichst unverständlich und verschwurbelt schreiben müssen, um wissenschaftlich zu sein.
In Wirklichkeit dürfte es eher so sein, daß die meisten nichts oder nichts tiefschürfendes zu sagen wissen und deshalb versuchen, das durch komplizierte Formulierungen zu ersetzen oder wenigstens zu vertuschen. Das hängt auch damit zusammen, daß deutsche Wissenschaftler – im Gegensatz zu etwa amerikanischen – das seltsame Ziel haben, daß ihre Publikationen möglichst wenig gelesen (und damit wenig kritisiert) werden.
Während in vielen anderen Ländern die Unfähigkeit, sich verständlich auszudrücken, als das gilt, was sie ist, nämlich eine Unfähigkeit, gilt das in Deutschland schon als Selbstzweck und Notwendigkeit. Ich war mal auf einer Mailingliste, in der es um Nachhaltigkeit ging, aber auf der sich diverse Geisteswissenschaftler herumtrieben. Die haben dann unglaubliche Wort- und Formulierungsungetüme aufgebaut und sich wahnsinnige Formulierungsbälle zugespielt – nur zum Thema haben sie nie etwas gesagt und zu sagen gehabt.
Viele Wissenschaftsdisziplinen in Deutschland erwecken auf mich den Eindruck, daß ihre ganze Tätigkeit, ihr gesamtes Können und Wissen, allein darin besteht, so zu formulieren, daß man nicht merkt, daß sie sonst gar nichts tun – was ja mit der von anderen geäußerten Vermutung zusammenhängt, daß es manche Wissenschaftszweige in der deutschen Universitätslandschaft allein deshalb gibt, weil sie finanziert werden, und nicht weil es deren wissenschaftliches Gebiet überhaupt gäbe.
Im Spiegel-Artikel findet sich ein schönes Zitat von Karl R. Popper:
“Das grausame Spiel, Einfaches kompliziert und Triviales schwierig auszudrücken, wird leider traditionell von vielen Soziologen, Philosophen usw. als ihre legitime Aufgabe angesehen. So haben sie es gelernt, und so lehren sie es. Da kann man nichts machen.”
(Ich sag ja immer, ich mag die Soziologen nicht.)
Aber auch sonst steht im SPIEGEL-Artikel Bemerkenswertes:
Kein Wunder, dass Deutsch als Wissenschaftssprache immer weiter an Bedeutung verliert. Selbst ausländische Forscher, die gut Deutsch sprechen, müssen in vielen Fällen vor der Prosa deutscher akademischer Autoren kapitulieren. Das hat System, sagt Teresa Löwe-Bahners, Lektorin für Sachbücher beim Stuttgarter Verlag Klett-Cotta: “Ein deutscher Wissenschaftler kann es sich kaum erlauben, populär zu schreiben, bevor er Mitte 40 ist.” Universitätsakademiker in Deutschland trauten sich demnach kaum, ihre Texte an ein breiteres Publikum zu richten, solange sie keine dauerhafte Stelle an einer Universität haben, am besten eine Professur – aus Angst, dass ihnen dies schaden würde.
Womit wir gerade wieder im Thema meines vorrangehenden Blog-Artikels wären, dem Drama um die befristeten Mitarbeiterverträge. Zutreffend ist aber, daß im deutschen Wissenschaftsdschungel jeder zerfleischt wird, der einen Standpunkt einnimmt. Also schreibt man so, daß man keinen erkennbaren Standpunkt einnimmt.
In der Tat gilt es im deutschen akademischen Betrieb kaum als karrierefördernd, wenn man sich mit Büchern, die in einem Publikumsverlag erscheinen, an ein interessiertes Laienpublikum wendet. Ein Beispiel: Die Sprache gehört zu jenen Themen, für die sich viele Menschen interessieren. Dennoch gibt es keinen einzigen deutschen Linguisten, dessen Name einem interessierten Nicht-Fachmann sofort einfallen würde.
Die meisten haben Angst, von ihren Fachkollegen schief angesehen zu werden, sobald sie ein populärwissenschaftliches Buch zum Thema veröffentlichen. […]
Ähnliches gilt für die Geschichtswissenschaften. Das Fach stößt generell auf großes Interesse, das aber von Deutsch schreibenden Akademikern kaum befriedigt wird. Ihnen mangelt es meistens an der Fähigkeit, erzählerische Elemente mit der Vermittlung von Fakten zu verbinden. Geschichte also mit Geschichten zu erzählen. […]
Das Problem liegt ebenso beim Handwerk des Schreibens. Wer 20 Jahre lang verquastetes Wissenschaftsgeschwurbel geschrieben hat, wer sich bislang in Förderanträgen möglichst bürokratisch und hochtrabend ausdrücken musste, dem fällt es schwer, plötzlich elegant und allgemeinverständlich zu formulieren. Zumal in Deutschland die Meinung vorherrscht, Schreiben könne man nicht lernen, Schreiben sei ein gottgegebenes Talent.
Unfähigkeit, Unverständlichkeit, Nutzlosigkeit als deutsche Wissenschaftstugend.
5 Kommentare (RSS-Feed)
PS:
Diese Proxy-Einstellungen, sind die so wichtig? Ich kann nicht über VPN kommentieren, das ist nicht so toll…
(Die Frage mit VPN hab ich nicht verstanden…)
Ich bin nicht der Meinung, daß es ein Widerspruch ist. Meist ist elegant und verständlich nämlich das gleiche. Deutsche „Wissenschaftler” formulieren aber meist unglaublich schlecht, umständlich und unverständlich, weil man das in Deutschland als Tugend ansieht. Je weniger den Text verstehen, desto weniger Kritik bekommt man und desto weniger eckt man an (und desto weniger merken, daß es Käse ist).
Wenn ich übers VPN von der Uni versuche zu kommentieren, kommt die Meldung „über Proxies darf nicht kommentiert werden“.
Naja, aber ein extrem nüchterner Stil ist eben für Ausländer einfacher und für Inländer langweilig.
Oh, da muß ich mal untersuchen, ob das an meinem Spam-Schutz liegen kann, sowas hatte ich noch nie. Oder liegt es nicht eher doch am Proxy der Uni? (Proxy ist übrigens was anders als VPN)
Naja, der Artikel scheint ja ein paar Dinge unter einen Hut zu werfen, auf der einen Seite soll einfach verständlich für Nicht-Muttersprachler, auf der anderen Seite elegant geschrieben werden, das passt nicht zusammen, wenn es prosaischer wird, wird es eben netter für deutschsprachige Leser und weniger leicht für ausländische. D.h. natürlich nicht, dass grundsätzlich alles falsch ist, was da gesagt wird.