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Fachkräftemangel

Hadmut Danisch
14.6.2011 12:15

Langsam wandelt sich der Fachkräftemangel vom Gerede zur Realität. Tragen unsere Universitäten daran eine Mitschuld?

Artikel über den zunehmenden Fachkräftemangel gibt es einige. Diesen in der ZEIT zum Beispiel. Und ich merke es ja auch selbst auf dem Arbeitsmarkt.

Man muß daher die Frage aufwerfen, inwieweit die Universitäten als Flaschenhals eine Mitschuld an diesem Fachkräftemangel tragen, bezogen natürlich auf die Fachberufe, für die ein Studium notwendig ist.

  • Politik und Öffentlichkeit heulen darüber, daß wir zuwenig Ärzte haben. Auf SPIEGEL ONLINE gibt es einen Bericht über eine Frau, die unbedingt Medizin studieren will, die man aber wegen ihrer Abiturnote nicht läßt. Numerus Clausus.

    Als ob die Abiturnoten so vergleichbar und aussagekräftig wären. In viele Bereichen werden die Noten da ziemlich willkürlich vergeben und sagen mehr über die Lehrer als über die Schüler. Und inwieweit eine Abiturnote, für die jemand die Punkte hauptsächlich mit – sagen wir mal – Englisch, Geschichte, Sport, Religion geholt hat, etwas über die Befähigung als Arzt aussagen würde, wage ich mal anzuzweifeln. Zugegeben, selbst völlig Medizin-fremde Fächer lassen gelegentlich Rückschlüsse darauf zu, inwieweit jemand in der Lage ist, auf Befehl (Friß!) stapelweise beliebiges Zeug auswendig zu lernen. Aber ob das dann einen guten Arzt macht?

    Oder geht es da einfach nur darum, die Studentenzahlen und damit die Arbeitsbelastung der Professoren niedrig zu halten?

  • Ich kenne jemanden, der wollte unbedingt Wirtschaftsinformatik an der Uni Mannheim studieren. War auch während der Oberstufe schon in Vorlesungen und wäre da gut mitgekommen. Als er sich dann aber wie geplant immatrikulieren wollte, hieß es plötzlich „Überraschung”, sie haben noch ganz schnell eine neue Zulassungsschranke eingebaut. Um Wirtschaftsinformatik zu studieren, müsse man jetzt entweder eine sehr gute Englisch-Note im Abi haben oder aber irgendeinen Englisch-Test bestanden haben (an dem man natürlich für dieses Semester nicht mehr teilnehmen konnte). Was erstens unsinnig und zweitens rechtswidrig war, denn dazu waren sie vom Landesgesetz nicht legitimiert.

    Sie beriefen sich dabei auf § 58 Abs. 5 LHG, wonach sie den Nachweis einer fachspezifischen Studierfähigkeit fordern können, wenn diese notwendig ist und die Erfüllung der fachspezifischen Studierfähigkeit in der Schule nicht hinreichend abgebildet wird.

    Das tut die Schule aber, denn Englisch ist Unterrichtsfach. Außerdem hat die Uni Mannheim dabei gewisse Noten in Englisch in der Oberstufe als hinreichend anerkannt, also damit durchaus eingeräumt, daß die Schule das sehr wohl abbildet. Und der Gesetzgeber – und der ist hier immerhin maßgeblich – hat das eben vorgesehen, daß man mit dem Abitur (auch wenn die Englisch-Note nicht so glänzt) die „Allgemeine Hochschulreife” erhält. Und gerade in der Begründung zum LHG BW hat der Gesetzgeber geschrieben, daß eine Aufnahmeprüfung sogar verboten ist, wenn die Anforderungen allgemeiner, von der Schule abzubildender Art sind.

    Warum aber gerade in Wirtschaftsinformatik so höhere Englisch-Kenntnisse notwendig sein sollen als in anderen Fächern, war weder für mich ersichtlich, noch konnte die Uni es erklären. Auch ein Blick in das Vorlesungsverzeichnis war nicht erhellend, denn alle Vorlesungen bis auf eine wurden auf Deutsch gehalten. Nur eine einzige Vorlesung habe ich damals gefunden, die nach Englisch aussah. Da hatte ich eher den Verdacht, daß da ein Professor kein Deutsch kann (und dann nicht hätte Professor werden dürfen, weil er dann nämlich nicht prüfen kann und darf), und man auf diese Weise vorsorgen will, daß sich niemand darüber beschweren kann, daß der nicht gut genug deutsch verstehen oder auf deutsch lesen kann.

    Ein anderer Gedanke ist natürlich, daß man einfach weniger Studenten haben wollte. (Vielleicht hat man das auch schon gemacht, um mit dem doppelten Abiturjahrgang nicht doppelt so viele Studenten zu bekommen. Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, die sind wohl erst 2011 fällig, aber es hätte ja blöd ausgesehen und wäre zu auffällig gewesen, wenn man es erst pünktlich zu deren Semester eingeführt hat.)

    Jedenfalls war diese Beschränkung nicht nachvollziehbar, und meines Erachtens ein Willkürakt faulen Professorengesindels, so nach dem St.-Floriansprinzip, sollen sich doch die anderen Universitäten damit abgeben.

    Der Student hat sich übrigens an einer anderen, weitaus seriöseren Universität immatrikuliert und studiert jetzt nicht Wirtschaftsinformatik, sondern richtige Informatik (also die für echte Männer und nicht das Schlabberzeug für Waschlappen und Möchtegerns). Und obwohl er dabei deutlich mehr Englisch braucht als bei dem Pseudo-Schwafel-Studium in Mannheim, stellt die Uni, an der er jetzt studiert – oh Wunder – gar keine Aufnahmeanforderungen, außer eben dem Abitur, wie es der Gesetzgeber vorsieht.

    Da wird also einfach der Zugang zum Studium verengt, weil die Professoren gerade keinen Bock haben (aber gleichwohl das volle Gehalt kassieren). Gut, in diesem speziellen Fall war es um das Studium nicht schade. Die Daseinsberechtigung der Wirtschaftsinformatik hat mir noch nie eingeleuchtet. Aber seit mir mehrere Wirtschaftswissenschaftler gesagt haben, daß das ganze Fach Wirtschaftswissenschaft eigentlich nur noch unwissenschaftliches Geschwafel ist, kommt mir so der leise Verdacht, daß die sich gerne Informatiker nennen wollten, das Studium aber nicht schafften, und sich dann einfach einen eigenen Studiengang gebastelt haben.

Allerdings will ich gerade zu dem Vorfall in Mannheim auch einräumen, daß es zunehmend Zweifel daran gibt, daß die Schulen die Studierfähigkeit noch herstellen. Ein Leser hat mir gerade einen Artikel aus der Zeitung Die Rheinpfalz zugeschickt, worin beklagt wird, daß bis zu 40% der MINT-Studenten (MINT = Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) das Studium abbrechen, weil sie mit der Mathematik überfordert sind. Die Universitäten Stuttgart und Karlsruhe haben daher das MINT-Kolleg gegründet, das das zwischen Schule und Universität fehlende Wissen in Mathematik und anderen Fächern vermitteln soll.

So ganz leuchtet es mir aber doch nicht ein. Denn wenn Schulausbildung und Studium nicht zusammenpassen und eine Lücke klafft – dann ist das nicht unbedingt ein Fehler der Schule, sondern kann auch ein Fehler der Universität sein. Vielleicht sind die Professoren sich einfach nur zu gut um mit der Mathematik da anzufangen, wo der Lehrplan des Abiturs aufhört. Zugangsprüfungen können auch bedeuten, daß die Universität nicht willens oder nicht in der Lage ist, an der mehr oder weniger definierten Schnittstelle „Abitur = Allgemeine Hochschulreife” anzusetzen.

Paradox finde ich dann, daß man den verstärkten Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland fordert, auch wenn die Ausbildungsschranken dort deutlich niedriger sind, man damit also an ausländische Fachkräfte geringere Anforderungen stellt. Oder anders gesagt: Man läßt den eigenen Abiturienten mit mittelmäßiger Englisch-Note nicht studieren und herumsitzen, und importiert dafür studierte Fachkräfte aus dem Ausland, an deren Universität man keine Englisch-Note gefordert hat, statt den eigenen Leuten das Studium zu ermöglichen.

Hört sich für mich so an wie Atomkraft brauchen wir nicht, weil wir doch den Strom so billig von den Atomkraftwerken der Nachbarländer beziehen können.

Wenn man dem Fachkräftemangel nachspüren will, muß man sich den Flaschenhals Universität genau ansehen.

12 Kommentare (RSS-Feed)

Fabian
14.6.2011 15:33
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Ich hätte es spannend gefunden, wenn du persönlich den (angeblichen?) Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt merkst. Mir fiel in den vergangenen Wochen (nicht nur in der ZEIT) auf, dass die Frequenz solcher Wir-beten-das-Gejammer-der-Industrielobby-kritiklos-nach-Artikel wieder stark zugenommen haben.

Zu den Medizinern: Seit mehr als 10 Jahren ist die Anzahl der Medizinstudenten irgendwas um die 80.000 (Quelle:
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Zeitreihen/LangeReihen/Bildung/Content100/lrbil05a,templateId=renderPrint.psml ), und damit doppelt so hoch wie die Zahl der Informatikstudenten (die an wesentlich mehr Orten ausgebildet werden) – außerdem sind die Medizinstudienplätze überdurchschnittlich teuer. Die Abbruchquote ist aber im Vergleich unterdurchschnittlich. So furchtbar schlecht ist die ZVS (oder jetzt Stiftung Hochschulstart) als Auswahlinstitution scheinbar nicht.

Du hast natürlich völlig Recht mit dem Hinweis auf die Unterschiede, zwischen den Ländern, zwischen den Schulen und individuellen Lehrern und zwischen Schülern mit unterschiedlichen Fächerkombinationen (Leistungskurse Deutsch und Kunst qualifizieren vielleicht weniger als Mathe und Chemie, sind aber eher für tendentiell “einfache” Noten verschrien) – aber, die Abiturnote setzt sich aus einem sehr breitem Spektrum und über die Leistung von 2 Schuljahren zusammen. Ein Test ist eine Momentaufnahme, und die misst meist auch nur wie gut man sich auf den Test vorbereitet ist und nicht wie geeignet man für einen Studiengang im Speziellen oder das Studieren im Allgemeinen ist. Und würde man alles nur an einem Test festmachen, dann könnte man sich das Abitur gleich sparen. Warum eigentlich 13 (oder jetzt 12) Jahre an der Schule vergammeln? Wenn es – wie in den USA – nur externe Tests zählen, dann schau ich doch lieber zu, dass ich die Aufnahmekriterien für das was mich interessiert so schnell und gut wie möglich erfülle. Das ist im Übrigen auch etwas was die junge Frau, die so zornig im Spiegel von ihrem Schicksal berichtet, sträflich vernachlässigt hat. Wer schon seit Kindesbeinen Arzt werden will, dem kann es doch nicht entgangen sein, dass man sich nicht einfach “so” einschreiben kann, sondern besondere Anforderungen gestellt werden. Die Anforderungen mögen idiotisch sein, die Realität schlecht abbilden, usw.usf. – aber sie sind kein Geheimwissen. Also wäre es an ihr gewesen ihre Abiturnote so gut wie möglich zu erzielen. 2,4 ist nur Durchschnitt, und mindestens 8 Notenschritte von einem Studienplatz entfernt, bei besonderen Ortsansprüchen sogar 14. Nix neues. Außerdem hat sie ihr Abitur in Berlin gemacht. Nicht gerade ein Bundesland, dass für seine harten Prüfungsanforderungen bekannt ist. Jetzt muss sie halt auf das Wartezeitenkriterium setzen, da wäre sie nicht die erste, und das kann auch zum Vorteil für einen Arzt gereichen, sie macht also eine Ausbildung, sogar im Gesundheitswesen. Aber, 2 Jahre als Arzthelferin? Das kriegen sogar reihenweise Hauptschüler hin. Hätte es nicht eine anspruchsvollere Ausbildung sein dürfen? Krankenpflegerin oder operationstechnischer Assistent? Und jetzt will sie sich für Biologie einschreiben – weiß sie, obwohl sie über ihre Rechtsschutzversicherung 18 erfolglose Prozesse geführt hat, nicht, dass man als eingeschriebener Student keine Wartesemester mehr sammelt? Und das man als Bewerber mit abgeschlossenem Erststudium (also z.B. einem Bio-Bachelor) noch schwerer an einen Medizinstudienplatz kommt und das dann auch nicht mal mehr die Wartezeit zählt?! Die Frau scheint mir nicht die hellste zu sein. Und da ist mir lieber der Studienplatz geht an eine fleissigere oder schlauere Person.

Zu den Mathebrückenkursen: die Hochschulen könnten sich bestimmt auch nach unten orientieren, das machen sie doch mit diesen Geschichten wie MINT-Kolleg auch gewissermaßen (notgedrungen). Wenn man das aber dann schon in den regulären Studiengang (und nicht ein u.U. davorgeschaltetes Brückensemester) integriert, dann bleibt natürlich auch weniger Zeit für den eigentlichen Stoff. Dann nimmt Mathe in einem Informatikbachelor z.B. plötztlich nicht mehr 38 Credits ein, sondern 48 – und führt auf dasselbe Niveau, aber die 10 Credits mehr fehlen dann z.B. am Wahlbereich etc.pp. oder man trickst mit der Deklaration und hat die Klaviatur der professoralen Willkür um ein Register erweitert. Geboten erschiene mir also neben dem Flaschenhals Universität auch der Anpassung nach unten auf den Gymnasien und der dortigen Noteninflation etwas entgegenzusetzen.


der andere Andreas
15.6.2011 10:00
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also im bereich chemie ist mir der fachkräftemangel bisher lediglich in der form begegnet, dass man als chemiker nur für leitende positionen und dann mit doktor und mindestens 3-5jahren berufserfahrung auf einer solchen stellung gesucht wird.

alles andere wird mit laboranten als ausbildungsberuf oder vergleichbarem besetzt, dann halt auch zu entsprechenden konditionen. wo sich auch die zukünftigen bachelorabsolventen einreihen dürfen. – soll heißen als aufgeschlossener und flexibler mensch findet man da wohl immer noch nen job aber dass die leute nun umworbene arbeitskräfte wären kommt mir nich so vor.

selbst wenn es diesen mangel gäbe gibt es in den südeuropäischen ländern hohe jugendarbeitslosigkeit, trotz guter ausbildung und/oder studium, warum wirbt man dort nicht an wenns denn so präkär wäre.

aus dem persönlichen umfeld kann ich nur berichten, dass ingenieure relativ gefragt sind.
wenn überhaupt dann erscheint mir dies eher wie ein mangel an spezialisten über welche man als “Die Fachkräfte” fabuliert der spiegel schreibt wenigsten, dass es für kommunikationswissenschaftler weiter schwierig bleibt: http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/0,1518,766883,00.html aber können denn soviele leute so falsch ausgebildet worden sein?
hier: http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,768397,00.html schreibt der spiegel, dass es oft um manager geht und selbst dann Zitat:”Die Arbeitgeber reißen sich derzeit vor allem um Ingenieure, Konstrukteure, IT-Experten.” – was wiederum nicht das gros des arbeitsmarktes ist…

irgendwie alles nicht so ganz glaubhaft – gabs nicht hier vor ner ganze weile mal nen blogeintrag, der die situation von uni-abgänger ähnlich deprimierend beschrieb?


Johnathan
16.6.2011 18:33
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@Hadmut:

Was ist den deine allgemeine Meinung zu Bindestrich-Studiengängen?

Was hältst du von IT-Sicherheits-Studiengängen?


Hadmut Danisch
16.6.2011 19:20
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Bisher habe ich da keine konkret positive oder negative Meinung. Kommt auf den Studiengang und nicht auf den Bindestrich an. Ich fürchte aber, die könnten inhaltlich zu dünn sein.

Einen normalen Informatik-Bachelor und darauf dann einen Security-Master könnte ich mir aber schon ganz gut vorstellen.


Johnathan
16.6.2011 20:21
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@Hadmut:
Sind alle Teile eines Informatik-Curriculums für IT-Sicherheit notwendig?

Was hältst du Grundsätzlich von der Idee eines IT-Security Bachelor + aufbauenden Master? (d.h. Könntest du deine Meinung zu der Befürchtung näher erläutern)


Hadmut Danisch
16.6.2011 20:36
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Sag mir mal, was in einem Informatik-Curriculum stehen soll, und ich sage Dir, ob ich es für notwendig halte.

Von nahezu allem, was ich in den letzten Jahren in Informatik allgemein für notwendig und Curriculums-relevant gehalten habe, habe ich deutsche Diplom-Informatiker gefunden, die das im Studium nie gehört hatten. Es gibt nichts, auf dessen Beherrschen man sich bei einem deutschen Diplom-Informatiker verlassen könnte, ergo auch kein Curriculum.

Sicherlich gibt es schon Themen, die man für IT-Sicherheit nicht so braucht. Graphikprogrammierung, Signalverarbeitung, und so manche theoretischen Sachen würden mir da spontan einfallen, die man in der IT-Sicherheit nicht so braucht oder ich da noch nicht gebraucht habe.

Das wäre aber irreführend. Denn ich kenne andererseits keinen IT-Sicherheitsmenschen, der wirklich nur eng begrenzt IT-Sicherheit und sonst gar nichts macht. Und man weiß eben vorher auch nicht, womit man sich in der Sicherheit alles herumschlagen muß, weshalb schon ein sehr breiter Überblick und zumindest ein Grundverständnis von fast allem und jedem notwendig ist. Weil IT-Sicherheit so breit ist. Beispielsweise habe ich viele Bereiche der technischen Informatik, wie Schaltungsentwurf oder CMOS-VLSI-Design habe ich selbst noch nicht im Bereich Sicherheit gebraucht. Wenn aber jemand Chips entwirft oder angreift, Karten aufbohrt oder ein paar geschützte Bits rauskitzeln will, braucht er das dann doch.

Ich halte es daher im Bereich IT-Sicherheit deshalb schon für notwendig, ein breites Fundament zu haben und das als Ober- und nicht als Teilmenge eines Informatikstudiums aufzufassen.

Davon gab abgesehen:

Man hält es in der Birne nicht aus, immer nur IT-Sicherheit zu machen, sondern muß und will auch mal was anderes machen. Deshalb sollte man schon im eigenen Interesse und um nicht zum Fachidioten zu werden, das volle Programm mitnehmen. Es wäre außerdem grobe Zeitverschwendung, jahrelang zu studieren und dann doch nur IT-Security drauf zu haben.

Ich muß Dir auch sagen, daß ich IT-Security seit über 20 Jahren mache, und sich das inzwischen sehr verändert hat, durchaus nicht nur zum Vorteil. Die Branche ist nicht mehr so seriös. Ich würde nicht drauf wetten, daß ich das nochmal über 20 Jahre bis zur Rente machen will.

Und grundsätzlich sehe ich das einfach so, daß ein IT-Sicherheitsmensch kein Fachpinsel wie ein Wirtschaftsinformatiker oder sowas sein sollte, sondern ein überlegener Generalist. Und wenn man sich als Sicherheitsmensch in der Industrie bewirbt, wird eigentlich auch fast immer nach einem Generalisten gefragt, der nahezu alle Bereiche der IT-Sicherheit abdecken kann. Sowas packt man nicht mit einem Teilstudium.

Kommt halt auch immer drauf an, welches Gehalt man haben will.


Johnathan
16.6.2011 21:00
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Danke für deine ausführliche Antwort.

Ich kann die Schnittmengen der Curricula leider derzeit nicht ausreichend beurteilen. (Auf Graphik-Programmierung hatte ich abgezielt.)

Signalverarbeitung würde ich nach meinem beschränkten Kenntnisstand aber nicht vollends ausschließen.


Ich muß Dir auch sagen, daß ich IT-Security seit über 20 Jahren mache, und sich das inzwischen sehr verändert hat, durchaus nicht nur zum Vorteil. Die Branche ist nicht mehr so seriös. Ich würde nicht drauf wetten, daß ich das nochmal über 20 Jahre bis zur Rente machen will.

Ist IKT-Sicherheit wirklich nicht breit genug um innerhalb dieser die Art der Tätigkeit zu wechseln?

Kann man nicht einfach versuchen ein IT-Sicherheits-Generalist zu werden?

Slightly Off Topic:
Kennst du
“Security Engineering” (2008) von Ross Anderson ?

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Hadmut Danisch
16.6.2011 21:04
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Jain. Ich hab die 1. Auflage von 2001. Hab’s ein paarmal zitiert, sind auch ein paar interessante Sachen drin. Aber aus den Socken gehauen hat’s mich nicht.


Johnathan
16.6.2011 21:14
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Ich hoffe diese hypothetische Frage ist nicht zu persönlich:
Würdest du (IT-)Security nicht mehr in dieser Form, in deinen Themengebieten oder gar nichts mehr im Bereich Security machen?


Hadmut Danisch
16.6.2011 21:21
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Da hast Du mich falsch verstanden.

Was ich in den letzten 20 Jahren gemacht habe, war interessant und hat Spaß gemacht. Insofern würde ich es schon so nochmal machen. Aber ich fürchte und sehe, daß es eigentlich immer weniger interessant wird.

Allerdings wüßte ich jetzt keinen anderen Bereich der Informatik, der mich ähnlich interessieren würde und der ähnliche Berufschancen liefert. Aber es muß ja auch nicht Informatik sein.


Johnathan
16.6.2011 21:35
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Danke für die ausführlichen Antworten.

Ich hoffe, dass ich dir mit meiner Fragerei nicht auf die Nerven gehe.


quarc
24.6.2011 20:41
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Abgesehen von einigen Branchen halte ich die Klage über den Fachkräftemangel
weiterhin für Gerede. Wenn die Industrie händeringend nach Fachkräften
sucht, ist es meist so, als wenn eine Frau vor dem offenen Kleiderschrank
händeringend ausruft “Ich habe nichts anzuziehen!”. Sie meint damit nicht,
dass der Kleiderschrank leer ist, sondern lediglich, dass sie ein vage
Vorstellung davon hat, was sie denn stattdessen gerne anziehen würde; und
auch wenn sie dann eine Tour durch die Läden macht, muss sie nicht unbedingt
etwas kaufen. Natürlich wechselt die Vorstellung der gewünschten Kleidung
mit der jeweiligen Mode.

Bei den Medizinern herrscht zum Beispiel kein Mangel. Es gibt immer noch
genügend ausgebildete Ärzte, die man mittels hiesiger Arbeitsbedingungen ins
Ausland vergraulen kann. Ebenso hat man auch (zumindest noch bis vor
wenigen Jahren) Absolventen hiesiger Universitäten aus dem Land geschickt
(falscher Pass) und Absolventen ausländischer Universitäten zu Taxifahrern
gemacht (falsches Diplom). Die Beschäftigung von Fachkräften von außerhalb
der EU verhindert man mit Vorrangprüfung und einem Mindestjahreseinkommen
von 66.000 Euro, und selbst bei der Freizügigkeit innerhalb der EU hat man
bis zuletzt die Ausnahmeregelung beansprucht, damit auch noch die letzte
polnische oder tschechische Fachkraft begreift, dass man doch lieber gleich
nach England oder Skandinavien gehen sollte. Die eingeborene Jugend hat
mittlerweile begriffen, dass es sich kaum lohnt, ein anspruchsvolles
technisches oder naturwissenschaftliches Studium zu beginnen, weil man
als eine solche Fachkraft später doch von Juristen, Volkswirten oder
Vertretern ähnlicher “>/dev/null”-Fächer dominiert wird, deren
Berufsweg leider nicht der “B Arche” sondern in der Chefetage endet.

Die Universitäten waren in Deutschland schon immer ein Flaschenhals
zwischen Schule und manchen Berufen. Das war von der Politik auch lange
Zeit so gewollt, nicht zuletzt aufgrund weit verbreiteter Bildungsfurcht
(siehe Begriffe wie “Akademikerschwemme”) und weil akademische Abschlüsse
zugunsten der Oberschicht knapp bleiben sollten (sonst dienen sie ja
nicht mehr der besonderen Auszeichnung). Erst nachdem akademische
Abschlüsse die Karrierefunktion nicht mehr garantieren konnten, hat sich
dies geändert und die Oberschicht reproduziert sich nun per “soft skills”
und geeigneter Umgangsformen.

Die Zulassungbeschränkungen haben sowieso kaum etwas mit Studierfähigkeit
zu tun; sie dienen dazu, die Studentenzahl so zu beschränken, dass man
den zugelassenen zumindest ansatzweise noch ein halbwegs sinnvolles
Studium anbieten kann. Das hat mit “faulen Professoren” nichts zu tun,
denn _denen_ kann es egal sein, ob noch mal 20 Studenten mehr in der
Vorlesung sitzen. Der Engpass besteht bei Übungen und Praktika, gerade
in laborintensiven Fächern wie Medizin. Gab es denn in Karlsruhe kein
Hardwarepraktikum?

Deine Einschätzung zu “Wirtschaftsinformatik” teile ich, Deine Vermutung
zur Mathematikausbildung eher nicht (die fangen ganz unten an), aber das
wäre ein ganz anderes Fass.