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François Bry über das Für und Wider des Lehrstuhls

Hadmut Danisch
15.6.2011 18:22

Der Münchner Informatik-Professor François Bry hat in seinem Blog einen sehr lesens-, meines Erachtens aber nicht zustimmungswürdigen Artikel über die Lehrstuhlstruktur deutscher Hochschulen.

Er bezieht sich dabei auf einen Artikel in der Sueddeutschen, den ich auch schon in meinem Blog erwähnt hatte.

Bry verteidigt dabei die Lehrstuhlstruktur. Er räumt zwar ein, daß es in anderen Ländern andere Strukturen gäbe, diese seien aber nicht besser. (Allerdings bin ich mir nicht bei jeder seiner Formulierungen so ganz sicher, ob ich sie so verstehe, wie er sie meint, er drückt sich manchmal etwas unpräzise aus.)

Der wesentliche Denkfehler, der Bry dabei unterläuft ist, (oder wenn man ihm Bosheit unterstellt, die Rabulistik, mit der er den Leser hinters Licht führt) daß er als Ideal hinstellt, daß der Doktorand wie ein Geselle beim Meister bei den Besten seines Fachs lernt, anstatt in gewöhnlichem Unterricht zu sitzen. Das ist so zwar nicht per se falsch, aber aus drei Gründen nicht auf die Realität anwendbar:

  • Bry übersieht – und das darf einem Professor eigentlich so gar nicht passieren – daß die Promotion hierzulande nicht so etwas ist wie die Ausbildung eines Zimmermanns im Mittelalter, der auf die Waltz ging um von Meister zu Meister zu ziehen und sich dessen Fähigkeit abzugucken, sondern daß die Promotion in erster Linie eine Berufsbezogene Prüfung ist und deshalb den Anforderungen des Prüfungsrechts genügen muß. Und das tut sie nicht.
  • Bry unterstellt, daß Professoren jeweils die besten ihres Faches wären. Das sind zumindest die deutschen Informatik-Professoren ganz sicher nicht. Und schon gar nicht waren sie es zu der Zeit, als ich Doktorand war.

    Kein einziger der Prüfer und Betreuer, mit denen ich damals zu tun hatte, hatte selbst Informatik studiert oder beherrschte das Fach. Das waren alles so Selbsternannte. Die Sachkunde, die zu meiner Zeit an der Uni von den Professoren kam, war nicht mal gleich Null, sondern unter Null, weil sie nicht nur nichts zur Sache beitrugen, sondern durch die Mischung aus Vorgesetzten- und Machtverhältnis mit Sachunkunde und Falschwissen eine Unmenge an falschen Anweisungen gaben und wichtige Forschung aus schierer Unfähigkeit verhindert haben.

    Das damalige Team des Europäischen Instituts für Systemsicherheit EISS hatte ein erhebliches und damals mindestens in Deutschland und Europa so einzigartiges Fachwissen und war weit voraus – nur eben der vorgesetzte Professor nicht, der hat eigentlich durch mangelndes Wissen und Können und inkompetente Anweisungen, Willkür und häufige Abwesenheit nur gestört und geschadet. Der Aufbau der Sachkunde am EISS erfolgte durch gegenseitiges Befruchten und Hochschaukeln, nicht durch die Anwesenheit des Lehrstuhlinhabers.

    Auch an der Fakultät hat sich häufig gezeigt, daß die Professoren nicht etwa über Sachkunde verfügen, sondern sie die Informatik je nach Lehrstuhl in einzelne Fachgebiete, quasi Fürstentümer, aufgeteilt hatten, in das die anderen nicht hineinreden und schon gar nicht kritisieren durften. Diese auf Konsens basierende Lufthoheit wurde häufig als Sachkompetenz ausgegeben, sie ist es aber nicht.

    Es ist – jedenfalls in der Informatik – schlichtweg unseriös, wie Bry (und alle anderen) zu behaupten, daß der Lehrstuhlinhaber der Meister, der mit der hohen Sachkunde wäre. Der Lehrstuhlinhaber ist nur der mit der unkündbaren Beamtenstelle, der Macht auf die anderen ausübt.

    Es ist seltsam, daß man in Deutschland mit dem Stand des Professors in der Wissenschaft und Öffentlichkeit immer die Annahme verbindet, daß der Sachkundig wäre. Das Diplom ist im Karriereweg des Wissenschaftlers zur Professur die letzte Stelle, an der Sachkunde gefragt ist. Danach kommt nichts mehr, was mit Sachkunde oder Wissensnachweisen zu tun hätte. (Und dabei wird ein Diplom gerade in dem Fach, um das es geht, auch nicht verlangt.) Die glauben nur, sie wären kompetent, weil man ihnen zugesteht, sich selbst einzustufen.

    (Anmerkung dazu, um über die Informatik hinauszusehen: Als ich vor langer Zeit mal sehr schwer erkrankt war, ist mir von allen, auch meinem damaligen Arzt des Vertrauens, dringend angeraten worden, mich in einem dabei führenden Krankenhaus keinesfalls vom Professor, sondern vom Oberarzt operieren zu lassen, weil der nämlich im Gegensatz zum Professor Ahnung davon hätte, was er tut, und wirklich Berufspraxis beim Operieren hat. Als ich beide persönlich kennengelernt habe, hat dies diese Empfehlung Dritter sehr, sehr stark bestätigt. Die Tatsache, daß ich heute noch blogge, obwohl ich vor 20 Jahren nach herrschender Meinung schon in einem Krankheitsstadium angekommen war, das als inoperabel, nicht mehr zu heilend und nicht mehr zu rettend einzustufen war und deshalb ein Abweichen frei Schnauze von der üblichen Behandlung notwendig wurde, bestärkt mich in der Ansicht, daß der Lehrstuhlinhaber keineswegs der mit dem größten Wissen ist, sondern – ähnlich wie bei uns damals am EISS – die das meiste Wissen haben, die tatsächlich daran arbeiten. Eine Behandlung durch den Professor hätte ich damals wohl nicht überlebt.)

  • Bry gibt zwar zu, daß das Lehrstuhlsystem eine Abhängigkeit schafft, die mißbraucht werden kann. Dann kommt er aber mit einem – wie ich meine richtig dummen und unvertretbaren – Brotmesser-Vergleich. Man würde Brotmesser ja auch nicht verbieten, weil man damit morden könne.

    Das ist entweder richtig dumm, oder ein gezielte Irreführung der Leser. Oder beides.

    Wie hoch ist die Mordrate bei Brotmessern? Jeder Haushalt, den ich kenne, hat mindestens ein Brotmesser. Ich weiß aber von keinem einzigen Mord, der mit einem Brotmesser erfolgte. Brotmesser verleiten auch nicht zum Mord.

    An dem Institut, an dem ich war, wurden aber durch die Lehrstuhlstruktur nahezu alle Doktoranden und Mitarbeiter erpresst und ausgenommen. Das Verhältnis des Professors zu den Doktoranden war das eines Zuhälters, der zum Abmelken und Einkassieren kommt, und der die Leute erst dann gehen läßt, wenn er genug kassiert hat. Ich habe das auch an anderen Lehrstühlen so gesehen, und seit ich dieses Blog (bzw. die vorhergehenden Webseiten) betreibe, haben mir ziemlich viele Leute aus allen Gegenden und Fachbereichen Deutschlands so ziemlich das Gleiche über deren Situation erzählt. Die angebliche „Betreuung” der Promotion war im wesentlichen nur ein Erpressungsverhältnis. Meine Einschätzung wird auch dadurch gestützt, daß ich ja hinterher mehreren Prüfern und Gutachtern nachweisen konnte, daß sie die Arbeit bzw. den Begutachtungsgegenstand vor Abgabe ihres Gutachtens nicht gelesen hatten, also gewohnheitsmäßig Blindgutachten abgaben, noch dazu in Fachgebieten, in denen sie nicht kompetent waren. Und das sind keine Einzelfälle.

    Außerdem sollte man zum Eigenschutz vor Rabulistik immer sehr vorsichtig sein, wenn einer mit solchen plakativen Analogien daherkommt. Denn meistens stimmen sie nicht, können den Leser aber durchaus überrumpeln. Eigentlich sollte man das vermeiden und stattdessen seine Begründung ausformulieren (wenn man eine hat).

    Wenn man aber schon wie Bry auf das dämliche Brotmesser-Analogon abhebt, dann sei durchaus entgegengehalten, daß Brotmesser in diesem Land längst verboten wären, würden damit so viele Morde passieren, wie man an Lehrstühlen Doktoranden erpresst. Sogar vor Tomaten und Gurken wird frühzeitig gewarnt, wenn Lebensgefahr zu befürchten ist. Wenn man nämlich das ganze mal etwas objektiver als Bry angeht, und beispielsweise auf Butterfly-Messer abhebt, die durchaus zum Morden verwendet wurden, dann wird man sehen, daß sie tatsächlich verboten sind. Diese Butterfly-Messer sind in Deutschland seit 2003 verboten. Man müßte François Bry mit seinem dämlichen Vergleich also entgegenhalten, daß man auch Lehrstühle verbieten müßte, denn an Lehrstühlen wurden wesentlich mehr akademische Karrieren ermordet, als Menschen mit Butterfly-Messern. Nur gehört er vermutlich auch zu der Sorte Wissenschaftler, die (Schein-)Begründungen nur so lange reiten, wie sie ihnen nützlich erscheinen.

Ich halte das, was dieser Professor Bry von der LMU da äußert, daher für realitätsfern und interessengeprägt. Typischer Lehrstuhlreiter, der an der Allmacht des Inhabers und dem Nimbus, daß einer Sachkunde hätte, nur weil er in den Professorenstand verbeamtet wurde, festhalten will.

Ich halte die Lehrstuhlstruktur für völlig veraltet, die war was für das späte Mittelalter. Und ich halte sie für äußerst schädlich und kontraproduktiv. Das sind reine Machtstrukturen. Doktoranden sollten (was sie sogar nach den meisten Promotionsordnungen sogar sind, nur eben nicht in der Praxis) Doktoranden der Fakultät und nicht nicht des einzelnen Professors sein.

Schon die Abhängigkeit von einer einzelnen bestimmten natürlichen Person ist eigentlich mit Wissenschaft und der Promotion nicht zu vereinbaren. Sondern nur mit dem Machtanspruch dieser einzelnen Person.

Es ist fraglich, welche Überlegungen und Absichten hinter der Auffassungs Bry stehen. Ehrenwert erscheinen sie mir nicht.

5 Kommentare (RSS-Feed)

Lester
16.6.2011 0:57
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Habe den Artikel vom genannten Herrn auch gelesen, da sein Blog schon seit längerem in meinem FeedReader rumgeistert. Mir gefiel einiges, was er gepostet hat und ich finde es auf jeden Fall lobenswert, dass er auch auf die Kommentare seiner Einträge eingeht.

Als ich den nun hier erwähnten Eintrag heute Mittag las, da war ich sehr verwundert und meine doch eher gute Meinung Hr. Bry war etwas zerschlagen. Den gerade auch der Vergleich mit einem Brotmesser regte mich auf, so etwas Plumpes und Blödsinniges!

Aber schon die Argumentation am Anfang, der Vergleich zwischen französischen Professoren und deutschen anhand ihrer Veröffentlichungsmenge stößt in mir sauer auf. Dies sagt ja nun mal gar nichts über die Qualität oder den Umfang der Veröffentlichungen aus. Was nützen zehn schlecht geguttenbergte Veröffentlichungen im Vergleich zu einer vernünftig selbst erstellten, die Forschung vorrantreibenden?

Nun finde ich es wieder sehr schön, hier deine Meinung zu dem Thema zu lesen und diese auch nicht mal eben hingeschludert, sondern mit mehreren Argumenten belegt, sodass mich die meisten Punkte überzeugt haben und ich dir gut folgen konnte.

Letztendlich stellt sich mir die Frage (die du wahrscheinlich schon irgendwo beantwortet hast), warum du nicht einfach mit deinen Argumenten den Eintrag von Hr. Bry kommentierst? Ist dir das zu blöd? Hast du das getan, der Kommentar wird nur nicht freigegeben? Mich juckt es ja schon in den Fingern, meine Kritikpunkte und einige von hier geguttenbergte an dem Eintrag als Kommentar darunterzuschreiben aus Neugierde, wie Hr. Bry reagiert.

Nur wie gesagt bleibt für mich die Frage, warum du dir die Mühe für diesen Eintrag machst und nicht weitere 5 Minuten opferst, um die wichtigsten Punkte zu kopieren und als Kommentar bei Hr. Bry zu hinterlassen?


Hadmut Danisch
16.6.2011 1:05
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Ich sehe das so ähnlich. Ich lese sein Blog nur gelegentlich, aber das meiste, was er schreibt, erscheint mir gut. Nur da hat’s mir dann echt die Socken ausgezogen.

Ich kritisiere nicht gerne in anderen Blogs. Ich mag es nicht sonderlich, mich mit anderen auf deren Blogs herumzustreiten. Außerdem bin ich Verfechter der Meinungsfreiheit in der Auslegung, daß jeder seine Meinung so darstellen kann, wie er es für richtig hält, ohne daß sie von Kritik anderer beeinträchtigt wird. Ich halte es ja auch hier mit der Device Mein Blog, Meine Meinung – Dein Blog, Deine Meinung. Ich bin auch stillistisch nicht so begeistert davon, zu anderen zu gehen um dort rumzumeckern, oder meine Meinung anderen aufzudrängen. Mir ist es lieber, sie hier in meinem Blog zu äußern. Wer sie wissen will, kann sie lesen, und wer nicht will, kanns bleiben lassen.


der andere Andreas
16.6.2011 10:00
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ich meine mich erinnern zu können, dass herr danisch schon mal eine hitzigere diskussion zum thema prüfungen und prüfungsrecht im angesprochenen blog geführt hat. aufgrund des endes dieser diskussion vllt auch innerlich etwas resigniert hat. 😉

aber zum thema: herr bry kommt halt oft aus seiner professoralen sicht nicht heraus.
bei prüfungen und ausbildung scheint er auch einer der hochschulromantiker zu sein, der immer noch davon ausgeht (zumindest unterbewusst), dass hochschulausbildung immer selbstständige wissenschaftler für den wissenschaftsbetrieb produziert.
Dies ist aber aller spätestens mit der einführung des bachelors (eigentlich auch schon lange vorher) nicht mehr der fall. die hochschulausbildung dient den meisten leuten als berufsqualifizierung für eine tätigkeit in der freien wirtschaft – womit sich eine entsprechende erpressbarkeit des untergebenen ergibt.
nach meiner persönlichen erfahrung geht es den wenigsten doktoranten um das selbständige wissenschaftlich arbeiten sonder ‘man tut sich 3 jahre doktorant (mit entlohnung auf H4-niveau) an’ um danach die große/größere kohle in der wirtschaft zu kassieren.
schon hat man nen hebel gegen den mitarbeiter – funktioniert ja auch schon gegen studenten, immerhin sieht nen abgebrochenes studium im lebenslauf nicht schön aus.


Hadmut Danisch
16.6.2011 13:15
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Ja, da war mal irgendetwas. Ich kann mich somdumpf entsinnen, dass ich in seinem Blog mal irgendwas kommentiert habe, und mir der Verlauf dann nicht so gefallen hat. Das ist aber häufig so, weshalb ich generell ungern in fremden Blogs kommentiere.

Ich habs einfach lieber, wenn ich meine (häufig kritische) Meinung in meinem eigenen Blog habe. Zumal es oft einfach schlecht ankommt (und meist den gegenteiligen Effekt hat), wenn man seine Kritik bei anderen ablädt. Kritik wirkt nur dann gut, wenn die anderen sie sich kaufen oder wenigstens aktiv abholen müssen. Kritik, die man wie sauer Bier verteilen und herumposaunen muß, entwertet sich selbst.


der andere Andreas
16.6.2011 14:41
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nochmal leichtes OT zum thema wirrer wissenschaftler: http://www.der-postillon.com/2011/06/wirrer-astrophysiker-prophezeit.html

🙂