Blogs wissenschaftlich nicht zitierwürdig?
Ein interessanter (Blog-!)Artikel auf „verfassungsblog.de” wirft Fragen auf – gehören Blogs zu der Kategorie wissenschaftlichen Freiwilds, aus denen man ohne Quellenangaben abschreiben darf?
Einige Stellen aus diesem Artikel über eine Veranstaltung lassen mich schaudern:
Max Steinbeis (Verfassungsblog) unterstützte dieses Trennungsgebot, machte sich aber für die Brückenfunktion von Blogs stark. Das freiere und kreative Schreiben könne durchaus einen direkten Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten. Als Bild: Blogs verhielten sich zur Wissenschaft womöglich so wie das Gespräch in der Hotelbar zum eigentlichen Geschehen im Rahmen einer Konferenz. Andersherum könnten Blogs jedoch auch von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit hinein wirken und wissenschaftliches Expertenwissen für eine breitere Öffentlichkeit übersetzen und so verfügbar machen.
Das liest sich für mich eher wie das krampfhafte (aber dämliche) Verteidigen elitärer Wissenschaftsjournale gegen die digitale Konkurrenz. Ein Qualitätsunterschied wird fingiert, den es da so nicht gibt.
Schlimmer ist aber das:
Noch werden Blogs in den wissenschaftlichen Disziplinen wenig beachtet – zumal im deutschsprachigen Raum, dessen Blogger mit gutem Grund oft neidisch über den Atlantik schielen. Die Blogs sind vor allem nicht etabliert genug und die Skepsis überwiegt bisher: Blogs gelten, auch wegen eines fehlenden Standardverfahrens zur Sicherung der wissenschaftlichen Güte, (noch) nicht als zitierwürdig. […] Solange Blogs in keiner anerkannten Form als wissenschaftliche Quelle dienen können, besteht ein gravierendes Problem für Wissenschaftsblogger. Die gebloggten Gedanken und Erkenntnisse sind gewissermaßen vogelfrei, da sie unkontrolliert von Dritten geentert und als eigene ausgegeben werden können.
Da haben wir wieder das alte Schema: Wissenschaftler halten sich nicht an Regeln oder Urheberrecht, sondern legen willkürlich selbst fest, was als zitierwürdig gilt und was als Freiwild angesehen wird. Und so, wie die Qualität meist nicht am Inhalt, sondern an der Person festgemacht wird, wird sie hier am Medium gemessen.
Erst kürzlich habe ich von einer wissenschaftlichen Publikation (samt Veranstaltungsvortrag) eines deutschen Professors erfahren, die extreme inhaltliche Gleichheit mit einem meiner Blogartikel (der aber früher erschienen war!) aufwies. Zur Rede gestellt bestritt der Professor nicht mal explizit, von mir abgeschrieben zu haben sondern redete sich so um den heißen Brei (könnte es nicht auch sein, daß da zwei gleichzeitig drauf gekommen sind…). Bei einer weiteren Untersuchung der Angelegenheit warf man am Ende sogar mir vor, daß ich in meinem Blog-Artikel (es ging um einen sicherheitstechnische Kritik an einem Sicherheitsverfahren, in der ich geschrieben hatte, daß ein trivialer Angriff möglich sei) den Angriff als trivial beschrieben hatte, also selbst schon zugeben würde, daß er jedem einfallen könnte. Aber nicht in dem Tonfall, als wäre der Professor da selbst drauf gekommen, sondern in dem Tonfall, daß ich damit selbst den Anspruch verwirkt und aufgegeben hätte, zitiert zu werden, weil man Leute schon gleich gar nicht für etwas zitiert, was die selbst für trivial halten.
Müßte man daraus nicht die Konsequenz ziehen und sich nicht mehr wie ein normaler Mensch, sondern wie ein Wissenschaftler verhalten, und jeden Kleinkram zur Wahnsinnsentdeckung aufbauschen, nur um sich hinterher von der Plagiatsmeute nicht vorwerfen lassen zu müssen, man hätte den Zitieranspruch nicht erhoben?
Solange die Zitierwürdigkeit am Publikationsmedium festgemacht wird, wird da keine wissenschaftliche Redlichkeit einziehen.
(Danke übrigens an den Leser für den Link)
7 Kommentare (RSS-Feed)
Hilft ja nichts. Es bestreitet ja (bislang) keiner, daß der Blog-Artikel zum angegebenen Zeitpunkt da war.
In meinem speziellen Fall behauptete der Professor, er sei ja eigentlich noch früher drauf gekommen, aber hätte eben erst nach meinem Blog-Artikel publiziert. Insofern hätte eher der den Zeitstempel gebraucht.
Zählt nicht der Publikationszeitpunkt mehr als eventuelle Gedanken?
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((Ein paar Gedanken im Zusammenhang mit dem Thema: danisch.de/blog/2011/09/04/notiz-blockg-zur-sicherung-wissenschaftlicher-praxis/ ))
((( Man könnte doch gleich eine fortlaufende Nummer in den Text integrieren. )))
[Oder einen sicheren fortlaufenden Identifikator abseits eines Zeitstempels organisieren. Kniffelig.]
((Den Text mit dem eigenen Private Key Signieren und an eine Laborbuchstelle übertragen, welche eine fortlaufende Nummer und einen kryptografischen Zeitstempel hinzufügt.))
Rlt: Ein paar amerikanische Security Researcher haben vor einiger Zeit auf Ihren Blogs Hashes (Anscheinend von Ergebnissen) veröffentlicht.
Ich finde leider momentan keinen entsprechenden Beitrag.
QMS, Quatsch mit Soße. Guttenbergs Skribent hat doch auch nur aus der FAZ abgepinselt. Wörtliche Übernahme >> Zitat und Quelle, feddisch
Carsten
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http://www.toonpool.com/user/707/files/revenge_of_worms_800065.jpg
Erstens, es besteht ein Qualitätsunterschied zwischen Blog und wissenschaftlicher Publikation, und zwar in der Form (wenn auch hier nicht im Inhalt). Es dauert nämlich deutlich länger eine Publikation zu schreiben, zu recherchieren, zu korrigieren und zu formatieren. Und das selbst ohne peer review (also bei einem technical report).
All diese formalen Anforderungen werden an ein Blog nicht erhoben und deshalb ist es schneller. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass der Herr Professor die Wahrheit sagt und er die Idee vor dem Blogeintrag hatte. Es ist sogar möglich, dass er die Recherche vor dem Blogeintrag durchgeführt hat.
Zweitens, dass eine bereits (auch im wissenschaftlichen Diskurs) veröffentlichte Idee nocheinmal “entdeckt” und wieder veröffentlicht wird, ohne ein Zitat zu setzen kommt tausende Mal vor — täglich. Ich hab’ schon öfters die gleiche Idee zweimal gesehen, ohne das die Schreiber voneinander wussten. Get over it!
@Hans: Es ist unbestritten, daß ein Qualitätsunterschied besteht. Das entbindet aber doch nicht von der Verpflichtung, die Quellen anzugeben.
(In diesem speziellen Fall würde ich allerdings bestreiten, daß das Werk des Professors qualitativ besser war als mein Blog-Artikel, den ich ad hoc runtergeschrieben habe. Sprachlich vielleicht…)
Es ist mir auch bekannt, daß Ideen mehrfach vorkommen, ist mir auch schon häufig passiert. Der besagte Professor wollte das aber gar nicht so richtig bestreiten, sondern versuchte sich so in vagen Andeutungen. Der Punkt ist nämlich, daß Leute, die gleiche Ideen haben, diese trotzdem immer etwas unterschiedlich formulieren. Und in diesem Fall hatte das eine verteufelte Ähnlichkeit mit meiner Argumentation.
Wie dem auch sei, es geht ja hier nicht um diesen Einzelfall, den hatte ich nur etwas zur Motivation erwähnt.
Grundsätzlich ist auch ein Blog zu zitieren und kann nicht einfach geplündert werden.
Ein Fall für die automatische Signierung von Blogartikeln mit gesicherten Zeitstempeln?