“Der Wahnsinn der europäischen IT-Förderung”
Auf Telepolis ist gerade ein böser Artikel über die Unsinnigkeit von Forschungsförderung im IT-Bereich erschienen (Danke für die Links!).
Ich sag ja immer, da forschen die Universitätsinformatiker, und sie forschen und forschen und forschen, und sie kosten und kosten und kosten, aber es kommt nichts dabei heraus. Reine Write-Only Produktion von Papers, Beiträgen, Dissertationen, die sich in den Bibliotheken türmen und nie gelesen werden, weil völlig nutzlos.
Laut dem Artikel wurden 9 Milliarden Euro in die IT-Forschung gesteckt, und es kam nichts dabei heraus. In den USA wurden – als Vergleich – mit wesentlich weniger Mitteln Weltfirmen und Marktführer aufgebaut. Hier aber wird mit Forschungsgeldern eine Schattenwirtschaft, eine Pseudowirtschaft erzeugt. Milliarden gehen an die „üblichen Verdächtigen”, die sich durch festgemauerte Beziehungen, Seilschaften, Hierarchien die Zuweisung der Gelder sichern. Damit sind die Stellen festgelegt, an denen das Geld versickert.
Und – mein persönlicher Brüller – als Beispiel nennen sie die Karlsruher Fakultät für Informatik. Die angeblich ihr Robotik-Projekt demnächst beenden. Warum sollten sie das tun, wenn es irgendwelche Ergebnisse liefert? (Nun war ich ja selbst Student und Mitarbeiter an dieser Fakultät und hatte damals schon den starken Eindruck, daß es dort niemals um Ergebnisse, sondern nur um Vorwände für Geld und die eigene Existenz, und das Vortäuschen von Geschäftigkeit geht). Auch der Telepolis-Artikel stuft nun ein Karlsruher Projekt als Schein-Projekt ein, das nicht der Forschung sondern allein dem Einwerben von EU-Fördermitteln diente. Ergebnis: Ein Roboter überreicht Kanzlerin Merkel eine Rose. (Mir ist ja deren Röschen schon zuviel…)
Urig auch das Geschäftsmodell „TPTT”: „the taxpayer pays three times” . Na dann, Forschung as usual.
Was könnte man mit 9 Milliarden besseres machen?
- Bessere Schulausbildung
- Wie im Artikel beschrieben, 9000 Startups
- Endlich mal Internet für alle Haushalte
- Richtig forschen und endlich mal wenigestens in irgendeinem Bereich der IT die Führung vor USA und Asien einnehmen.
- Stipendien vergeben
- Hörsäle renovieren
und, und, und.
Die Frage ist aber, wie kommen solche Strukturen von Geldflüssen, die einer Geldwäsche, einer kriminellen Veruntreuung gleichen, ja regelrecht eine „Forschungsmafia” konstituieren, zustande und wer erhält sie aufrecht? Worin besteht das Interesse derer an den Entscheidungsstellen, das Geld auf diese Weise zu verschleudern? Warum tun die das?
17 Kommentare (RSS-Feed)
…
-Studiengebühren abschaffen
Hätte es UNIX, Kerberos, das Internet, das WWW, Pascal und vieles andere ohne universitäre Forschung gegeben?
UNIX und Kerberos sind meines Wissens ohne Beteiligung europäischer Einrichtungen entstanden.
Das WWW ist meines Wissens am CERN und damit zumindest mal außerhalb deutscher Forschungsförderung entstanden, meines Wissens auch nicht als gefördertes Projekt sondern eher so als Hilfsmittel zur Dokumentation. Ich glaube, das waren auch die Physiker und nicht die IT-ler, denn das CERN ist eine Physiker-Einrichtung. Es ist oft so, daß die Fortschritte in IT eher von Physikern als aus der Informatik kommen.
Pascal kam doch auch von der ETH und damit aus der Schweiz und nicht aus der EU. Wäre meines Erachtens aber besser gewesen, wenn es das nicht gegeben hätte.
Warum wäre es deiner Meinung nach besser gewesen, wenn es Pascal nicht gegeben hätte?
Weil’s ne Scheiß-Sprache ist, aber ein Haufen Leute an den Unis geglaubt (und gelehrt) haben, die wäre gut. War viel zu umständlich und eigentlich für nichts zu gebrauchen außer dem Lösen von Übungsblättern mit Musterlösung.
Nachdem mich mein Proxy und die Gästebuch-Policy hier im Blog heute Mittag dran gehindert hat, heute Abend noch mal ohne Proxy 🙂
Den EU-Wahnsinn in der IT-Forschung habe ich hautnah miterlebt. Mein ehemaliger Chef ist auch ganz groß darin, bei so was mitzuschwimmen und ordentlich Geld abzugreifen. Schlagwort Services. Rumgekommen für die Allgmeinheit ist nichts.
Das Grundproblem, was ich gesehen habe, war weder die Verteilung auf unterschiedliche Länder, noch der KMU-Wahnsinn. Nein. Das Grundproblem im IT-Bereich ist, dass a) die Industrie genug Geld hat, Forschung zu bezahlen, die sie für nützlich erachtet. Und b) es wenig IT-Ideen gibt, die wirklich ein großes Projektteam benötigen. Wenn man ein Team von < 10 Mann mit guten Leuten hat, geht einiges.
Also ohne Pascal hätte es kein Turbo-Pascal gegeben und ohne Turbopascal hätte ich mir als Studen kein Geld verdienen können, um ein an der TU-München entwickeltes CAD-System für HP-Minicomputer auf MSDOS-PCs mit Turbo-Pascal zu portieren.
@yasar: Wer sagt Dir, daß es ohne Pascal nicht ein besseres Turbo-xxx gegeben hätte?
Außerdem hatte Turbopascal außer dem Namen und ein paar syntaktischen Ähnlichkeiten relativ wenig mit dem eigentlichen Pascal zu tun. Die Abweichungen zeigten ja, daß das echte Pascal nicht richtig brauchbar war.
Hätte es Pascal nicht gegeben, hätten sie eben was anderes genommen.
*smiley nachschieb* 🙂
Auch diese Geschichte finde ich nicht so überraschend. An unserer Fakultät gibt es kaum ein Projekt, dem man einen ernsthaften Wert zuweisen kann. Die einzigen, die halbwegs brauchbare Forschung betreiben, sind diejenigen, die keine Projekte betreiben.
Mein Empfinden bei den meisten Projekten ist folgendes: Im Unterschied zu den Naturwissenschaften kann man in der Informatik nicht nur “naturbedingte” Gegebenheiten analysieren (wie z.B. die Komplexitätstheorie) – sondern man kann auch konkrete Probleme für andere Menschen lösen. Letzteres klappt aber an den Universitäten nicht so recht, weil die Forschenden normalerweise von den Problemen gar nicht betroffen sind. Dadurch kommen dann beliebig komplexe (und meist unvollständige) Phantasiegebilde heraus, die an den realen Problemen der Menschen vorbeigehen.
Im Gegenteil: in der Regel denkt man sich Probleme aus, die von Politikern und der DFG gern gesehen sind. Im Augenblick ist z.B. Energieeffizienz voll im Trend. Das Problem ist nur: die Universitäten sind z.B. nicht diejenigen, die große Serverfarmen betreiben – und wissen daher gar nicht, ob ihre Lösungen nicht total überzogen sind.
An den Universitäten kann man gerne Grundlagenforschung betreiben. Ich habe auch nichts dagegen, dass Mathematiker irgendwelche obskuren Primzahlprobleme lösen. Aber was man dort nicht tun sollte ist: Anwendungsforschung. Das klappt einfach nicht, wenn man nicht wirklich *reale* und *konkrete* Anwendungen realisiert.
Kleiner Tipp noch: schaut mal die ganzen SFBs an, die es in letzter Zeit so gibt. Da sind oft schon die Projektbeschreibungen haarsträubend.
P.S.: Ich bin übrigens sehr dankbar für diese Seite.
Bin selbst kurz vor dem Diplom und habe mich lange gefragt, ob irgendwas mit mir nicht stimmt, dass ich diesen ganzen Uni-Laden nicht ernst nehmen kann. Dass ich diese Selbstbespaßung und diese unkreative Ader dort einfach furchtbar finde. Für mich ist Informatik “mein Leben” – mich hat immer Praxis und Theorie sehr interessiert. Aber diese verlogene Art an der Uni, sich als “Hort der Bildung” zu geben und gleichzeitig kaum echtes Interesse an der Lehre zu zeigen, kotzt mich mittlerweile massiv an. Trotz ausgezeichneter guter Noten, möchte ich dort einfach nicht mehr länger bleiben.
Insbesondere, weil diese schlechte Lehre aus einem Forschungsapparat heraus rührt, der einen Nährboden für viele sehr faule, extrem unkreative und (für die Lehre) inkompetente Menschen bietet. Professoren und PhDs die so tun, als wäre es eine Gnade von ihnen “gelehrt” zu werden – und die nicht verstehen wollen: dass es ihr Job ist, für den ihre Mitbürger einen Haufen Steuern zahlen.
Ich hab z.B. Professoren erlebt, die weder Prüfungen noch Diplomarbeiten wirklich ernst genommen haben. Die bei Sprechstunden immer “noch was anderes nebenbei” gemacht haben.
@Hans: Deine Beobachtungen sind nicht ganz falsch, aber – hoffentlich – zu stark verallgemeinert. Ich bin selbst Mitarbeiter und mache Lehre sehr gern und kenne auch einige Kollegen, für die das auch zutrifft. Es ist aber auch so, dass ich in diesem Semester wieder einmal mehr als doppeltes Lehrdeputat fahre. Und ich weiß auch, dass nur solche Leute, den Fakultätsschnitt retten, der extrem dadurch hinuntergezogen wird, dass viele Leute auf öffentlich finanzierten Stellen als Co-Finanzierung für irgendwelche Drittmittelprojekte eben nicht viel oder gar nichts mehr zur Erfüllung des öffentlichen Auftrages beitragen.
Das eigentliche Problem rührt aber daher, dass in der allgemeinen Wahrnehmung nicht denen Dank gebührt, die die Kernaufgaben meistern, sondern jedes obskure Forschungsprojekt, was davon abhält, eine Heldentat ist. Das Lehrengagement dankt einem schlichtweg niemand; für die persönliche Karriere schadet es sogar, wenn dadurch das ein oder andere Paper ausfällt. Und bei der nächsten Berufung zählt auch wieder nur der “Impact” der wie auch immer zustandegekommenen zwanzig Publikationen im Jahr, auch wenn der Bewerber ein sozialer Krüppel mit Studentenallergie ist. Dass der nie eine Einheit von Forschung und Lehre leben wird, spielt keine Rolle. (Ich kenne sogar Fälle, bei denen sich berufene Universitätsprofessoren durch Drittmittel wörtlich “von der Lehre freikaufen”. In meinem Weltbild darf das schlichtweg nicht sein.) Das frustrierendste an diesem Spiel ist, dass die offiziellen Studentenvertreter dem Gefasel um die angebliche Spitzenforschung fast immer auf den Leim gehen und durch ihre Zustimmung das System im Endeffekt mittragen. Sie setzen eben keine eigene Lehragenda – die Möglichkeiten dazu hätten sie. Auch du, Hans!
Dumme Frage, gibt es den keine Kontrolle, was mit den bewilligten Geldern passiert?
Ich meine, da werden mal eben Millionen von Euro in einen Roboter versenkt, dessen größtes Feature es ist eine Rose an die Bundeskanzlerin zu übergeben und das nach gut 10 Jahren Forschung. Und keinen interessierts?
Ich hätte ja zumindest erwartet, dass die Eergebnisse kritisch von den Geldgebern begutachtet werden. Oh man, es ist ja alles noch viel schlimmer als es deine bisherigen Beiträge und “Adele und die Fledermaus” bisher erahnen ließen… echt unglaublich.
@Tom:
Wie soll man denn eine “Lehrangenda” überhaupt setzen, wenn man als Student kaum eine Ahnung hat, wie der Laden läuft?
Dazu kommt: als Student hab ich leider viele viele essentiellere Sorgen, als mich darum zu kümmern, dass Professoren ihren Job richtig machen. Ich weiß – das klingt nach Mitnamementalität. Aber ich habe sowohl einen finanziellen Druck, als auch einen Zeitdruck, um fertig zu werden.
Dazu kommt: Ich hab im Lehrbetrieb selbst mitgearbeitet. Habe oft bei Dingen, die ich didaktisch für falsch hielt, versucht gegenzusteuern. Aber dann flogen mir Sätze wie: “Ist ja nur eine Vorlesung” bzw. ein “Ach so, ja an die Didaktik haben wir nicht gedacht” um die Ohren.
Und schließlich: am Anfang des Studiums hab ich es mir nicht zugetraut, Kritik zu üben. Gegen Ende des Studiums ist mir schlichtweg die Lust daran vergangen, dort aktiv mitzuwirken – weil man dann letztendlich nur verheizt wird.
“Ich hätte ja zumindest erwartet, dass die Eergebnisse kritisch von den Geldgebern begutachtet werden.”
Sie werden begutachtet. Aber sicher nicht kritisch.
> Ich hätte ja zumindest erwartet, dass die Ergebnisse kritisch
> von den Geldgebern begutachtet werden.
In EU-Projekten wird ein ganzer Strauss an Fortschrittsberichten, sog. Deliverables, festgelegt. In der Praxis kopiert man da irgendwas rein. Am besten natuerlich aus zuvor veroeffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten, schlimmstenfalls muss man sich irgendwas aus den Fingern saugen. Die Projekte sind auch immer in Zusammenarbeit mit Industriepartnern. Wer neu im Geschaeft ist glaubt, dass dort tatsaechlich was gemacht wird.
Das ist aber alles nur ein Symptom. Das Problem ist, dass man dieses “Engagement” in oeffentlichen Projekten von den Professoren *erwartet*. Offiziell will man Konkurrenzverhalten stimulieren und zu guter Arbeit anregen. Das funktioniert aber in der Praxis nicht. Forschung ist ein kreativer Prozess. Man kann nicht ein Projekt machen und dann eine bestimmte Sache erfolgreich erforschen, inklusive Einteilung der Personenmonate, wenn nicht schon im voraus Ansatz und Machbarkeit weitgehend klar waren. Auch nicht in Amerika.
In der Praxis wird daher immer das als Projekt beantragt, was man sowieso machen will oder schon hat. Damit man die 70% Gelder bekommt, die man unseren genialen Politikern zum Dank nur per Ausschreibung bekommt. In dem Fall ist aber das Schreiben der etwa 200 Seiten langen Antraege, die regelmaessige Berichterstattung und die “Dissemination”, also die praktische Verwertung des Projekts, sowie die Implementierung der Demonstratoren, alles nur noch Overhead. Statt einfach eine Forschungsarbeit zu machen und das ggf. durch irgendeine Firma oder ein Standardisierungsgremium aufgreifen zu lassen, soll man von Anfang an mit diesen zusammenarbeiten. Tolle Idee, die in der Praxis aber zu 80% nicht funktioniert.
Und so spart am Ende auch keiner was. Besser ist, wenn das Paper einfach wirklich gut genug ist, dass man es hier und da mal bewirbt und dann kuemmern sich andere um den Rest.
Ich denke aber, dass das mit der Ziellosigkeit der Forschung nicht direkt was zu tun hat. Abgesehen vom Overhead machen die Leute ja ja nur, was sie sowieso machen wollten. Hier liegt es eher am publish or perish, und am Konferenz-Wahn in der Sicherheitsforschung. Im Gegensatz zu Journals bieten Konferenzen keine Moeglichkeit fuer ein ausfuehrliches Review mit Stellungnahme/Korrektur durch die Autoren. Bei den grossen Konferenzen sind die Reviewer komplett ueberlastet und letztlich gleicht es mehr einer Lotterie, bei der man am besten ueber Vitamin B arbeitet.
Da lobe ich mir die Fraunhoferinstitute: Kommt nix verwertbares bei raus und bringt kein Geld -> der Laden wird dicht. So geschehen mit Meinels Institut für Telematik. Geldhahn zugedreht, Lichter aus. Aber dem Leiter hat das nichts ausgemacht, jetzt leitet er das Hasso Plattner Institut.