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Jeder vierte Studierende psychisch krank?

Hadmut Danisch
16.5.2012 21:35

Die Aachener Zeitung berichtet, daß es an manchen Hochschulen massenhaft psychische Erkrankungen unter Studierenden gäbe. Liest sich, als wäre das auch eine Folge der Zustände an den Unis und des hohen Prüfungsdrucks.

Ehrlich gesagt, ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.

(Danke für den Link!)

12 Kommentare (RSS-Feed)

Bzzz
16.5.2012 22:29
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http://www.physik.uni-wuerzburg.de/aktuelles/veranstaltungen/physikalisches_kolloquium/mo_14052012/

Aktiv Studierende sowie Exmatrikulierte im Fach Physik zweier Hochschulen in Deutschland wurden in der Studieneingangsphase modellgeleitet zu relevanten Merkmalen für einen erfolgreichen Studieneinstieg untersucht. Die empirischen Befunde zeigen, dass bereits zum Studienbeginn Unterschiede sowie zeitlich stabile disparate motivationale Ausprägungen, unter anderem in der gegenstandsbezogenen intrinsischen Motivation oder in der berufsbezogenen extrinsischen Motivation bei Physik- und Lehramtsstudierenden vorliegen.
[…]

Der letzte Satz ist so wunderschön, dass ich mit dem Lesen des Abstracts einfach aufhören musste…


Homeboy
17.5.2012 12:43
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“Jeder vierte Studierende psychisch krank”, sprich mit erhöhtem Therapiebedarf sieht für mich aus, wie in der Normalbevölkerung auch. Belegen kann ich das aber nur mit meiner Alltagserfahrung.

Ich würde sogar drauf wetten, dass die Studierenden bestimmter Fächer einen sehr viel höheren Therapiebedarf haben, als zahlreiche andere. Jedenfalls kann man auf den Seiten von Psychologie und insbesondere Sozialpädagogik der Unis und FHs lesen, dass ein entsprechendes Studium keine Psychotherapie ersetzt.
Ich finde das spricht Bände.


Hadmut Danisch
17.5.2012 14:24
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> Ich würde sogar drauf wetten, dass die Studierenden bestimmter Fächer einen sehr viel höheren Therapiebedarf haben, als zahlreiche andere.

Darauf würde ich auch wetten… 🙂


Hans
18.5.2012 15:05
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Ich glaube ja weniger, dass es am Druck im Studium liegt – sondern an einer vollkommen verquerten Art der Ausbildung an Universitäten.

Viele Mitabiturienten und -studenten von mir haben ein Studium primär für eine Berufsausbildung gehalten – und auch dementsprechende Erwartungen daran geknüpft. Ganz nach dem Motto: “ich bekomme dort Patentrezepte X,Y,Z vermittelt – und dann werde ich Informatiker”.

Die Universitäten suggerieren auch ähnliches. Man redet viel von Qualifikationen und Karriereleitern.

Ich bin aber sehr am Zweifeln, dass das Studium das leisten kann und überhaupt leisten soll.

Leute, die nach Patentrezepten arbeiten, sollen eine qualifizierende Berufsausbildung bekommen. An Universitäten sollen lieber wieder mehr Wissenschaftler ausgebildet werden.

Wir brauchen weder Heerschaaren an Diplom- und Master-Titelträgern – noch Heerschaaren an Doktoren, die völlig unsinnige Publikationen heraushauen. Stattdessen sollte man gezielt die Leute, die ein wissenschaftliches Interesse haben auch fördern.

Alle anderen sollen lieber eine gehobene Berufsausbildung bekommen. Die jetzige Situation leistet m.E. weder das eine *noch* das andere. Wir bilden weder gute Wissenschaftler aus – noch gute Praktiker. Das ist zumindest mein Eindruck nach 4 Jahren Informatikstudium. Hätte ich nicht vorher selbstständig gearbeitet, hätte ich im Studium wenig gelernt, dass mir jetzt bei der Arbeit hilft.

Umgekehrt ist mein wissenschaftliches Interesse erst so richtig wach geworden, nachdem ich gemerkt habe, wie katastrophal unwissenschaftlich die meisten Publikationen in der Informatik sind (im Sinne von Falsifizierbarkeit, ordentlichen Statistiken, nachvollziehbaren Publikationen).

Das Studium hat mir allenfalls ein paar Hinweise gegeben, wie ‘es gibt die theoretische Informatik und die Logik – und beides kann sehr interessant sein und spielt auch im realen Leben eine Rolle’.


Dingens
18.5.2012 15:34
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Ich denke dies hier ist sehr wichtig:

>«Studenten leben in einer extrem empfindlichen Lebensspanne», sagt Dr. Michael Paulzen, der Ärztliche Leiter des ZPG. «Von zuhause entwurzelt, unreif, überfordert, ohne Zukunftsperspektive.

Wenn dann dazu auch noch Stress an der Uni kommt, macht das die Sache natürlich nicht besser.

Außerdem halte ich auch das hier für wichtig:

> Viele Störungen tauchten ab dem 18. Lebensjahr auf, auch die Entstehung schizophrener Formen.

Studenten sind halt auch meistens zwischen Anfang und Ende Zwanzig. Und viele psychische Störungen manifestieren sich vor allem in diesem Jahrzehnt.


Hadmut Danisch
18.5.2012 15:41
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@Hans: Eine solche Berufsausbildung kann die Uni schon deshalb nicht leisten, weil dort niemand das Wissen dafür hat. Gerade in der Informatik sind dort oft Leute tätig, die den Beruf selbst nie ausgeübt und es manchmal noch nicht einmal selbst studiert haben. Woher sollen die wissen, wie man Informatiker ausbildet?


HierDa
18.5.2012 21:33
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Hier schreibe ich als jemand, der während des Studiums nach Worten anderer Personen depressiv geworden ist.

Dazu gekommen ist im Zusammenspiel zwischen meinem Verhalten, eher die Probleme in mich “reinzufressen”, und den Abläufen in der Universität. Als Student auf Diplom in einer Naturwissenschaft und sehr gutem Abitur war das erste Semester kein Problem, mit etwas Lernen war man unter den besten zehn Prozent. Das änderte sich später, als ein grundlegend neues Wissensgebiet behandelt wurde und ich spürte, wie ich den Anschluss verlor, aber trotz Lernen mich im Stoff nicht sicher fühlte und in der Klausur versagte. Der Professor in der Vorlesung über das Fachgebiet in der anschließenden Vorlesung meinte, wer die vorherige Klausur nicht geschafft hat, würde auch diese nicht schaffen…womit er bei mir Recht behielt. Diese Klausuren wurden auch so bewertet, dass nur ein gewisser Prozentsatz der Studenten bestand, die Punktzahl für’s Bestehen wurde vorher nicht verlautbart. Beim Vordiplom habe ich erstmals einen Studenten wahrgenommen, der mit Druck nicht klar kam: Auf dem Weg vom Vorbereitungs- zum Prüfungsraum entschied er sich, die Prüfung nicht abzulegen (er wechselt dann nach dem Semester den Studiengang). Aufgrund des nicht abgeschlossenen Vordiploms durfte ich nicht an allen Veranstaltungen des nächsten Semesters teilnehmen, inzwischen hatte ich eine Prüfungs- und Klausurangst entwickelt, die sich dadurch äußerte, dass man zwei Wochen vor dem Termin ins Hintertreffen mit dem gesetzten Lernplan geriet und so 2-3 Tage vor dem Termin in Verzweiflung ausbrach. Von zwei Klausuren in meiner Angstdisziplin im dritten Studienjahr packte ich nur eine, das Vordiplom schaffte ich. Das vierte Studienjahr war stressig, die Spezialisierung stand ins Haus, welche in der Praxis scheibchenweise einmal pro Woche verteilt wurde, der Inhalt teilweise über einen Monat verteilt. Mit den Notizen raufte ich mir die Haare und brachte die Praxiserfahrung nicht zu Papier (der Inhalt war nicht umhauend, es gab und den Verantwortlichen Berichtsfetischisten). Nach dem Ende des Semesters (!) sagte man mir, ich hätte mit anderen Personen zusammarbeiten können, was aber völlig den Vorgaben der Prüfungsordnung widersprach. In der zweiten Hälfte stand die selbständige Forschung im Labor an, die ich mir selbst organisieren musste. Mein Betreuer war ein Doktorand im Endstadium (er musste alles schnellstmöglich fertigbekommen, um die Höchstdauer nicht zu reißen, da er während der Promotion auch ein Familie gegründet hatte), der nur noch eine Technik anwandte, mein Professor, d.h. unser Vorgesetzter, wollte aber, dass ich möglichst viele lerne. Als ich ihn darauf hinwies, zuckte er nur die Schultern und zog von dannen. Folglich war es schwierig, etwas vorzuweisen. Als ich wegen Krankheit nicht zu einem Besuch eines ausländischen Professors kommen konnte und mehrere Wochen immobil war, steigerte sich die Angst über die ausstehende Berichte bei meinen Professoren immer mehr.
Ich hatte noch zu den Berichten eine Klausur für die Zulassung zu den Diplomprüfungen ausstehen, die Angst hielt mich aber von meinem Institut und dem Gebäude fern, sodass ich mich meist erst im letzten Vorlesungsmonat freitags nach 19 Uhr dort hingetraute, um allen Bekannten, besonders den Universitätsangestellten aus dem Weg zu gehen – andere Vorlesungen meiner Fachrichtung in anderen Gebäuden (wo die Chance gering war, meine Professoren anzutreffen) besuchte ich.
Die Prüfungsangst aber blieb auch, sodass ich mich meist beim Lernen schon selbst fertig machte.
Ohne nach Personen mit den gleichen Erfahrungen zu suchen, traf ich dergleichen: Ein Kommilitone rief mich nach einer erneut gescheiterten Klausur an und war völlig aufgelöst (in meinem Fachgebiet nahm man bis vor Kurzem an, dass alle Studienabbrecher spätestens nach einem Jahr aufhören), eine bekannte Juristin war wochenlang nervlich am Ende, fühlte sich nicht bereit und schob ihre Prüfung zweimal raus. Ein Student meines Fachgebietes, den ich allerdings nicht darüber kenne, war nervlich fertig und schmiss nach 10 Semestern hin; ein anderer Freund verzweifelte an der Bachelorarbeit und macht jetzt eine Lehre, die ihn unterfordert. Es gibt diese Studenten, man sucht nur fast nie nach ihnen und vortreten werden sie nicht von selbst (ein Professor bei uns äußerte öffentlich abfällige Meinungen über Studenten, die Prüfungen später als im Prüfungsplan machten – eine gute Kommilitonin von mir musste wiederholen).


tom
19.5.2012 0:27
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@Hadmut: weil du schreibst, die Uni kann keine Berufsausbildung leisten. Die Frage mag doch eher sein, was der Beruf ist, wofür dich die Uni ausbildet. Ich hab Psychologie studiert, arbeite jetzt in der Industrie. Ich bin nicht eingestellt worden weil ich so toll menschliches Verhalten erklären oder vorhersagen kann (was die Essenz von Psychologie ist), sondern weil ich ne sehr harte Forschungsmethoden- und Statistikausbildung hinter mir habe und sehr gut mir verrauschten Daten (was in der Psych. die Regel ist) klarkomm. Und ich bin dann der, der den Dr.-Ing.-Leuten ein Forschungsdesign für ihre Konzeptbestätigung zusammenzimmert, das zumindest einigermaßen aussagekräftig ist, was die häufig nicht können, aber m.E. auch nicht unbedingt können müssen. Der “Beruf”, auf den die Uni einen vorbereiten mag ist doch tatsächlich der des Forschers sein, vollkommen unabhängig erstmal von dem eigentlichen Gegenstand und dem Bereich, in dem man arbeitet.

Vllt noch was zu den Krankheiten: Ich bin der Meinung, dass man nicht alles “psychologisieren” oder in dem Fall “pathologisieren” muss. Was da häufig beschrieben werden sind Anpassungsprobleme, aber die treten immer auf, wenn sich die Umwelt oder die persönliche Rolle ändert. Das war aber auch schon früher so und ist normal. Nur weil mehr Leute Hilfe suchen oder in Anspruch nehmen muss nicht zwangsweise bedeuten, dass es nun “härter” ist.

Was möglicherweise um einiges härter geworden ist, ist das Konkurrenzdenken und der gefühlte Anpassungsdruck. Das Kuriose an der Sache ist da ja: Wer bleibt denn bei ner Einstellung eher im Gedächtnis? Der, der alles so gemacht hat wie alle anderen oder der, der da rausfällt?

Greetz


Karlo Oberhuemer
21.5.2012 12:52
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Ich könnte mir vorstellen, dass das durch komplexere Zusammenhänge bedingt ist als bloß die Studienfachwahl. Hinzuzählen muss man sicherlich die “drögen” Leehrveranstaltungen, also den Schaden durch (nicht ganz mit Sinn ausfüllbare) Entertainment-Bildung. Ebenfalls hinzu zählen dürften die Zukunftsaussichten, die inzwischen auch bei Ingenieuren nicht mehr die besten sind. Auch ein Studium reicht heute nicht mehr, um sich denken zu können: mein Leben wird schon halbwegs planbar verlaufen. Dies trifft vor allem unter 30ig-Jährige in Europa, die signifkant schlechtere Aussichten haben. Wenn man dann in so einem Verhältnis vielleicht noch Eltern hat, die ihre eigenen Misserfolge gerne im Kind ausgeglichen sehen wollen – wozu auch eine starke Motivation zählt, die Uni zu bejubeln – dann kann ich mir gut vorstellen, dass das nicht nur Psychologie etc. betrifft, sondern gerade wegen dem letztgenannten Punkt der Elternwünsche auch solche Fächer wie Chemie oder Physik. Gleichzeitig gilt wegen den schlechteren Zukunftaussichten auch weit mehr als früher das Credo: hautpsache, ich habe ein Diplom, selbst wenn es in einem Bereich ist, der mir nicht Spaß macht. Hinzuzählen muss man auch das ganze Gewäsch über “Aufstieg durch Bildung” (welches umgekehrt schon sagt: Abstieg durch Nichtbildung), was landesweit bis heute sehr unkritisch hingenommen wird.

Ich könnte mir eher vorstellen, dass man anhand der Krankheitsvertielung sehen könnte, wer welches Fach studiert (zb. NatWis häufiger Burn-Out, SozWis häufiger Depression). Dass das Studium irgend eines Faches nämlich mehr vor psychopathologischen Schäigungen schützt als eine anderes Fach, kann ich mir (insbesondere mit Blick auf die gegenwärtige Situation der Jugend und den Zustand der Universitäten und FHs) wirklich nicht vorstellen. Interessant wäre sicherlich, in welchen Studiengängen die Suizidrate relativ hoch liegt.


Hans
23.5.2012 10:18
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Sag mal Hadmut, willst du nicht mal bei WRINT in einem der Ferngespräche anrufen und über deine Geschichte erzählen?

Kann mir vorstellen, dass das ein ganz gutes Medium ist – und deine Geschichte ist einfach zu unglaublich und zu interessant!


Hadmut Danisch
23.5.2012 10:19
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Wer oder was ist den WRINT?


Hans
23.5.2012 17:23
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Ist ein (mittlerweile auch sehr bekannter) deutscher Podcast von und mit Holger Klein (ist so aus dem Chaosradio-Umfeld bekannter Moderator bei Radio Fritz).

Das Konzept der Sendung ist, dass Hörer einfach anrufen und ihre Geschichten erzählen. Dort kommen immer sehr unterschiedliche Leute ran, die über sehr unterschiedliche Themen reden. Ich glaube deine Sache passt da sehr gut rein und wird da bei Holgi auch auf offene Ohren stoßen…

Hier mal die URL:

http://www.wrint.de/