Die “Gute wissenschaftliche Praxis” deutscher Staatsrechtslehrer
Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer hat sich neulich in Kiel in einem (Siehe Verfassungsblog) „Akt der Selbstvergewisserung” 50 Leitsätze guter wissenschaftlicher Praxis gegeben.
Eine Lachnummer. Ein Feigenblatt des Berufsschwindels. Herrlich, wie die sich um die wichtigen Punkte außen herum formulieren.
Wieder mal die übliche Masche, alle Schuld den Mitarbeitern und Doktoranden zuzuschieben. Der hier ist doch schön:
1. Wissenschaftsplagiate, d.h. die vollständige oder teilweise Übernahme eines fremden Textes oder einer fremden Idee unter Anmaßung der wissenschaftlichen Urheberschaft, verstoßen gegen die Pflicht zur Wahrhaftigkeit der Wissenschaft.
Was ist denn „Anmaßung der wissenschaftlichen Urheberschaft”? Was ist eine wissenschaftliche Urheberschaft im Gegensatz zur gewöhnlichen, gesetzlich normierten Urheberschaft? Gibt es da einen Unterschied?
Heißt das, dass normale Texte, die aus überheblicher Professorensicht ja nicht »wissenschaftlich« sind, und deren Abschreiben daher nicht unter den Begriff des Wissenschaftsplagiats und damit nicht unter Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis zählen? Normale Prosa kann man also abschreiben?
Und wo ist der Unterschied zwischen gewöhnlichem Abschreiben und dem „Anmaßen einer Urheberschaft”? Müssen da zusätzliche Merkmale hinzutreten? So nach dem Motto, einfach abschreiben ist erlaubt, verboten wird es erst wenn man davor schreibt „Achtung, das folgende ist jetzt wissenschaftlich von mir”?
Und warum werden solche bisher nicht normierten Begriffe nicht erst einmal definiert, wie es bei den Juristen Praxis ist?
Geht es hier überhaupt um Wissenschaft, oder geht es um das Formulieren von faulen Ausreden?
3. Es ist wissenschaftlich unredlich, wenn ein Hochschullehrer Textentwürfe durch seine Mitarbeiter fertigen lässt und diese unter eigenem Namen als Alleinautor veröffentlicht.
Ach, aber wenn man sich seine Texte von Mitarbeitern schreiben lässt und sich dann selbst als einen der Autoren mit draufsetzt, das ist nicht unredlich?
Die fiesen „Ehrenautorenschaften” gelten also nicht als Verstoß?
5. Eine bloß sprachliche Überarbeitung lässt die Autorschaft des Entwurfsverfassers nicht entfallen. Ob die Hochschullehrerin oder der Hochschullehrer überhaupt eine Autorschaft für sich beanspruchen kann, hängt davon ab, ob sie oder er qualitativ oder quantitativ Wesentliches zum Entwurf beigesteuert hat.
Hört sich zuerst gut an, stinkt aber zum Himmel. Wenn eine bloß sprachliche Überarbeitung die Autorenschaft des Entwurfsverfassers nicht entfallen lässt, muss man das dann nicht so verstehen, dass eine mehr als sprachliche Überarbeitung diese entfallen ließe?
Was genau heißt denn, „hängt davon ab”? Und heißt „qualitativ oder quantitativ Wesentliches”, dass der Professor keine Qualität liefern muss? Und was heißt überhaupt „kann eine Autorenschaft für sich beanspruchen”? Warum steht da nicht, dass es gegen die gute wissenschaftliche Praxis verstößt, wenn er das tut? Denn dass man etwas nicht beanspruchen kann, heißt juristisch noch nicht, dass es verwerflich sei, wenn man es trotzdem tut.
32.Betreuung darf von der Intensität her die für eine selbständige Leistung notwendige Distanz zwischen Betreuer und Doktorand nicht unzulässig verkürzen. Die Autorschaft muss trotz Betreuung beim Doktoranden verbleiben.
33. Betreuung ist zeitbeanspruchende Arbeit im Ensemble der Hochschullehrerpflichten. Deshalb muss die Zahl der Doktoranden, für die der Betreuer oder Betreuerin Verantwortung übernimmt, notwendig limitiert sein. Als Orientierungsgröße ist an etwa zehn gleichzeitige Individualbetreuungsverhältnisse zu denken.
Hört sich nach nur nicht zu Arbeit verpflichten an. Zu meiner Zeit und in Informatik hieß es, dass der Doktorand gefälligst zu schreiben hat, was der Professor wünscht. Interessant, dass sie das hier ansprechen.
Zehn Doktoranden gleichzeitig ist dann auch sehr sportlich. Ich glaube nicht, dass da noch was an Betreuung rüberkommt.
Macht also generell einen sehr dubiosen und unseriösen Eindruck auf mich, auch wenn man versucht, möglichst seriös zu klingen.
Brrrr.
(Und danke für die Links!)
9 Kommentare (RSS-Feed)
Verzeiht mir die möglicherweise etwas uninformierte Ätzerei, aber: Ist die Juristerei selbst nach laxen Kriterien überhaupt eine Wissenschaft? Entdecken, erforschen oder testen die irgendwas? Ich seh da nicht mal angewandte Wissenschaft (FH), sondern nur Pauken und Rhetorik. Was übersehe ich da?
Nein, ist sie eigentlich nicht. Und das, was die Juristen daraus machen, noch viel weniger.
Hat mir übrigens mal die vorsitzende Richterin an einem Landgericht gesagt, als es um einen Streit bei Wissenschaftlichkeit in Informatik ging und ich dabei darauf abhob, dass man ja auch in den Rechtswissenschaften dies und jenes täte. Die Richterin unterbrach mich und wies mich darauf hin (in Sympathie und gleichem Denken wie ich, ich habe dann auch gewonnen), dass die Juristerei mit Wissenschaft gar nichts zu tun habe und völlig unwissenschaftlich sei. Beide Anwälte, der eigene und der gegnerische, drehten sich zu mir um und sagten, das stimmt.
Zumindest ein konsistentes System mit möglichst wenig Widersprüchen müßte ein Rechtssystem sein, ähnlich der Mathematik. Bezüge zur Realität wäre Privatrecht und das, was der Menschenverstand so liefert, Existenz einer Person, alle natürlichen Gegebenheiten…
Selbstverständlich ließe sich sowas aufbauen. Es hat sich ja schon entwickelt. Aber die Streitereien machen es an allen Ecken und Enden kaputt. Diese Wissenschaftler lassen eben gern 1=2 und 4=5 sein, das ist das Hauptproblem. Lug und Betrug müßten aus den Gerichtssälen verschwinden, dann klappts auch mit der Wissenschaft.
Carsten
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“Wir sind alle kleine Sünderlein”
Willi Millowitsch
Alle meiner Meinung? Macht mich gleich wieder misstrauisch *ggg Um so positiver die Idee aus UK vor kurzem, Anwalt zum Lehrberuf zu machen! Vorbildlich. Da gibt es gewiss noch mehr Disziplinen, wo das angemessen wäre. Sinnvolle Berufe, die halt keine Wissenschaft sind. Und ein Schritt aus der Bildungsmisere, finde ich…
Total off-topic, aber das hier ist herrlich (Titel: “Spitzenforscher verteidigen Schavan”):
Allein schon die Bezeichnung “Spitzenforscher” für sesselfurzende Langzeitfunktionäre zu verwenden… toll, Spiegel!
Ferner echt eine Überraschung, dass sich Pack so gut verträgt…
Hurla die Branche rückt zusammen. Die unterstellen diesen Außenseiterangriffen auf Titel und Lulli-Papers offenbar echte Sprengkraft. Dazu der politische/finanzielle Druck aus dem Ministerium…
Spitzenforscher?
Das waren doch die, die berechnen können, wieviele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können? Oder ist das nur der tägliche Expertenwahn in der Journaille.
Carsten
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[Pussy Riot]
“Stellen Sie sich vor, daß diese Mädchen zum Beispiel in eine Moschee gegangen wären. Sie wären da nicht mehr lebend rausgekommen. Selbst in der katholischen Welt wäre das schrecklich geworden. Aber wenn ich das in Frankreich sage, dann hält man mich für einen Idioten.”
Gérard Depardieu
Dieser Kommentar ist gut: http://www.verfassungsblog.de/de/plagiat-richtlinien-staatsrecht-wissenschaftlichkeit/#comment-45830
Hab’s vorhin auch gelesen, war aber nicht dazu gekommen, Dir den Link zu schicken. Ich dachte auch erst, die wollen die Rechtswissenschaft in ihren Methoden etc. wissenschaftlicher machen. Aber dann ging es wieder nur um Formalkrams.
Naja, vom Beschneidungsblog halte ich in letzter Zeit eh nicht mehr viel. Und irgendein Name war mir im Zusammenhang mit diesem “Recht im Kontext”-SFB (oder sonstigem Drittmittelverheizer), mit dem das Blog seit einiger Zeit zusammenarbeitet, untergekommen.
Ahja, genau, http://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Baer : “Seit April 2010 ist sie Mitträgerin des vom Berliner Forschungsverbund Recht im Kontext initiierten Projekts “Rechtskulturen: Konfrontationen jenseits des Vergleichs” am Forum Transregionale Studien.”