Die Wissenschaft produziert zuviel Müll und zuwenig Forschung
Das Vermüllungssyndrom der Wissenschaft, in der nur noch sinnlose Quantität statt Qualität erzeugt wird, führt zu internationalen Reaktionen.
Das Magazin „The Lancet” hat eine Serie von 5 wissenschaftskritischen Artikeln herausgebracht (gefunden über diesen und diesen SPIEGEL-Artikel), in dem der Wissenschaftspublikationsmüll und die Stümperei — Schwerpunkt Bio und Medizin — heftig kritisiert werden:
Research: increasing value, reducing waste
- How to increase value and reduce waste when research priorities are set
- Increasing value and reducing waste in research design, conduct, and analysis
- Increasing value and reducing waste in biomedical research regulation and management
- Increasing value and reducing waste: addressing inaccessible research
- Reducing waste from incomplete or unusable reports of biomedical research
Ich hab es jetzt heute nicht mehr geschafft, die alle zu lesen, es ist ne Menge Holz. Aber soweit ich das bisher sehen kann, sehr kernige Kritik am Forschungsbetrieb, in dem Geld, Zeit und Talent massiv vergeudet und verschwendet werden. Ich werd’s noch genauer lesen. Und ich bin mir sicher, dass auf diese Artikel noch viel Echo kommen wird — positives und negatives. Da werden dann sicherlich schon die Messer gewetzt.
8 Kommentare (RSS-Feed)
Habe die Artikel auch noch nicht alle gelesen, allerdings konnte ich aus den SPON-Kurzzusammenfassungen herauslesen, dass es hauptsächlich um klinische Forschung und Studien geht, eher weniger um Grundlagen- und Laborforschung.
Da Lancet ein eher medizinisches Journal ist und in Nature, Science und Cell nur medizinische Studien landen, die den ganz ganz großen Hype versprechen, da deren Fokus weitgestreuter ist, kann ich deren Kritik sehr gut verstehen.
Weiterhin gilt die Faustregel, dass klinische Forschung um den Faktor 10 teurer ist als die dazugehörige Grundlagenforschung und deswegen dort schnell ganz viel Geld verbrannt aber eben auch eingeworben werden kann!
Und da die klinischen Studien letztendlich diejenigen sind, die über eine Vermarktung der Forschungsergebnisse entscheiden, ist die Versuchung des Betrugs umso größer.
Bezüglich des Forschungsbetriebs in der Medizin gibt es einen wichtigen Kritiker: John P. A. Ioannidis
John P. A. Ioannidis:
Why Most Published Research Findings Are False
http://www.plosmedicine.org/article/info:doi/10.1371/journal.pmed.0020124
CLB | Dr. John Ioannidis on The Reliability of Biomedical Evidence
http://www.youtube.com/watch?v=VXiy51A-gP8
Ist in der Informatik auch nicht besser. Ich kenne Dissertationen mit Publikationen an “hochwertigen” Konferenzen, die weitgehend Betrug sind. Und was ich als Reviewer schon zu Gesicht bekommen habe, war teilweise dreister Betrug. Ein beliebter Trick ist etwas aus dem Rand des Themenbereichs einzureichen, und dann zu hoffen, dass die keinen Experten fuer das Thema bei den Reviewern haben. Oft klappt das auch, und dann gibt es wieder eine Publikation mehr mit negativem Wert (weil andere erstmal rusfinden muessen, dass die Behauptungen garnicht stimmen oder Verfahren viel schlechter funktionieren als behauptet).
Meiner Erfahrung nach ist die Mehrheit der Publikationen von gerimgem oder negativem Wert. Interessanterweise ist das anscheinend in praktische allen Wissenschaften so. Woraus man schliessen kann, dass die meisten Wissenschaftler ziemlieh mies in ihrem Beruf sind. Passt auch gut zu meinen direkten Beobachtungen.
Ja.
Es ist ja nicht nur die vergeudete Zeit, die man in das verstehen des Lügen-Papers steckt. Es ist auch die Zeit, die man in das Finden des Papers gesteckt hat, beziehungsweise die man investieren muss, um überhaupt erstmal Literatur zu finden in dem Wust an Veröffentlichungen. Denn es ist ja nicht nur der Betrug, es sind auch die mittelmäßigen Paper, die nichts als für sich genommen irrelevante Zwischenergebnisse darstellen.
Eines der Hauptprobleme ist der Bedarf an Drittmitteln. Das schürt nicht nur Konkurrenz und den Drang, unbeding erster sein zu müssen, sondern führt auch dazu, dass Reviewer zu begutachtende Paper zurückhalten und ihre eigenen Gruppen darauf ansetzen, um selber die Veröffentlichung zu kriegen. Der andere Aspekt ist der verständliche Wunsch der Geldgeber, den Erfolg der Investitionen zu kontrollieren. Dummerweise hat man sich auf die denkbar simpelste Metrik zurückgezogen, die Nummer an Veröffentlichungen.
Fun fact: Ein Professor einer mitteldeutschen Uni hat mir erzählt, dass andere Professoren der Fakultät eine Mindestanzahl an Veröffentlichungen für Doktoranden einführen wollen, als Zahl geisterte wohl 7 herum. Natürlich auch einige davon als Erstautor, und am Besten alle in renommierten Journals…
Ich bin heilfroh, dass es Werkzeuge wie Google Scholar gibt, um Veröffentlichungen zu finden. Und ich hab trotzdem in der Summe einige Wochen lang Literatur für meine Dissertation (Experimentalphysik) gesucht. Geforscht hab ich pessimistisch gesehen auch nur für die Daten(müll)halde, es ging darum herauszufinden, wie und warum etwas sehr gut funktionierendes funktioniert. Akademisches Wissen für’s Archiv. Ein Archiv, das /dev/null gleicht. Denn man packt viel rein, und keiner findet es jemals wieder. Als verschwendet betrachte ich meine Arbeit trotzdem nicht, zuviel Idealismus a.k.a “akademische Neugier”.
Mir ist in dem Zusammenhang mal der Begriff der LPU – least publishable unit – untergekommen.
Dazu passt auch die zunehmende oder vielmehr bereits weitgehende abgeschlossene Privatisierung von Hochschulleistungen mit der zugehörigen Intransparenz:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=19873