Gaukler, Scherenschleifer, Wissenschaftler
Über fahrende Berufe, die keiner mehr braucht.
In der ZEIT ist ein interessanter Artikel über die Situation von Wissenschaftlern in den USA erschienen.
Die Wirtschaftskrise macht sich auch in den USA bemerkbar. Nicht nur bei den Elite-Universitäten, die gleich Milliarden ihres Vermögens eingebüßt haben und nun empfindlich sparen müssen, sondern generell. Und das schlägt jetzt auf die Wissenschaftler nieder. Plötzlich bekommen sie keine Stellen mehr. Ich habe mal in Netz ein lustiges Foto gefunden, kann ich hier nur mangels Kenntnis des Urhebers und der Verbreitungsrechte nicht als Foto wiedergeben. Steht einer wie ein Obdachloser mit nem Pappschild an der Straße, Aufschrift „Have PhD, Finished 3 Postdocs, Published 6 Papers – Will work for food”.
Möglicherweise kommt in der Krise, in der alles auf den Prüfstand muß, so nebenbei ans Licht, daß der Wissenschaftler an und für sich eigentlich nichts ist, was seine eigenen Kosten hereinspielt, sondern ein Luxusobjekt. Eines, das man sich gerade nicht leisten kann. (Ich hatte schon lange das Gefühl, daß die meisten Wissenschaftler eine signifikant negative Lebensleistungsbilanz haben und sich alimentieren lassen während sie sich im Selbstzweck erschöpfen. Die Economy bringt’s hervor.)
Die Folge ist, daß man Professoren und andere Wissenschaftler nur noch auf Zeit und in Teilzeit anstellt, um sie leicht wieder loswerden zu können (was ja auch eine schon lange notwendige Entwicklung ist). Man muß nun reisen und seine Dienste anbieten, wo sie gerade mal gebraucht werden. Die ZEIT spricht zutreffend von einem Prekariat, aber es riecht doch noch etwas strenger, nach einem Abstieg zum fahrenden Gewerbe, wie ehemals die Gaukler und die Scherenschleifer. Es hört sich gerade so an, als müßte man dort nach der Promotion wie ein Zimmermann im Mittelalter (und teils noch heute) nach der Gesellenprüfung auf die Walz, um herumzukommen, an andere Orte zu gelangen und andere Techniken zu erlernen, bevor sie Meister wurden. Eigentlich sogar ein Vorteil gegenüber der deutschen Inzucht-Tendenz zur Hausberufung.
Interessant daran ist auch die in den USA ausgeprägte Trennung zwischen forschendem Professor und befristet angestelltem oder kündbarem Lehrbeauftragtem (in den USA Lecturer). Es stellt sich einfach heraus, daß man Lecturer weniger wichtig braucht als Forscher, dafür aber von den Forschern weniger als Lecturer. Ich wage die Prognose, daß da auch mal die Digitalisierung zuschlagen wird und man durch Videoübertragungen, Aufzeichnungen und digitale Lehrinhalte die Zahl der Lecturer reduzieren wird.
In Deutschland geht man derzeit noch davon aus, daß es nur Universalprofessoren gibt, die beides beherrschen, Forschung und Lehre. Und besetzt die Professuren dann meist mit Leuten, die weder das eine noch das andere können. Das wird man nicht mehr lange durchhalten können und wollen. Derzeit bilden sich immer mehr Professuren heraus, die keine Lehrverpflichtung mehr haben, die nur noch Forschung (oder was auch immer) betreiben. Auch die Bildung von Exzellenzuniversitäten läuft darauf hinaus, daß man einige wenige Forschungsuniversitäten hat und ansonsten solche, die nur noch Unterricht treiben sollen. Während man die Forschungsuniversitäten finanziell noch stützt, wird man – der Staat ist so gut wie pleite – den Lehruniversitäten immer weiter das Wasser abdrehen. Elite wird in Deutschland nicht durch Herbeiführen eines Qualitätsniveaus erreicht, sondern per Definition und der Rest wird absacken gelassen. Es wird sicherlich kommen, daß man aus Finanznot früher oder später an diesen Lehruniversitäten nur noch W2-Stellen vergibt. Vermutlich würde man dann auch gerne befristete Beamten-Professuren vergeben, aber das hat das Bundesverfassungsgericht für Beamte ja verboten. Also wird man dafür Angestelltenstellen einführen, wie es sie in manchen Bundesländern schon gibt.
Aber einen ganz anderen Aspekt habe ich in diesem Artikel noch gefunden. Ich sammle doch gerade Argumentationen für eine Verfassungsbeschwerde gegen die private Bezahlung von Professoren in Baden-Württemberg. Der ZEIT-Artikel ist ein gutes Argument um die Verhältnismäßigkeit anzugreifen. Denn bisher jammerte man und schob als Ausrede vor, daß man international konkurrenzfähige Gehälter zahlen müsse, um ordentliche Wissenschaftler zu bekommen. Betrachtet man aber diese Entwicklung, dann zieht das Argument nicht mehr. Wenn die US-Unis so sparen müssen und Wissenschaftler schon kaum noch Stellen finden, dann ist unsere Beamtenprofessur ja schon ein großer Vorteil und muß nicht noch mit hohen Gehältern beworben werden.
2 Kommentare (RSS-Feed)
Ich denke das ist nicht nur Wirtschaftskrise sondern auch Teil der schon laenger laufenden Bildungsinflation. Seit langem schon muss doch jeder mindestens Abi haben, und wenn er nur Friseur werden will. Heute studiert man nicht zuletzt um seine Berufschancen aufzubessern, bzw. die Arbeitslosigkeit aufzuschieben. Letzteres ist als Einsicht vor allem in den Geisteswissenschaften verbreitet. Forschung ist dabei natuerlich ein Luxus und ihr Zweck wird vollstaendig verloren gehen wenn Bildungsinflation und “Industrialisierung” hier weiter anhaelt.
Aber ich wollte noch auf einen anderen Punkt eingehen: Im Grundstudium sind “Lecturers” bestimmt eine gute Idee, aber die Vorlesungen im Hauptstudium sollten auf wissenschaftliche Forschung vorbereiten bzw. die dortigen Probleme einfuehren. Die besseren unter diesen Vorlesungen haben das bei mir auch geschafft. Der Stoff ist zwar nicht immer sonderlich gut aufbereitet, aber diese Organisation/Strukturierung findet dann im Rahmen des Lernens statt. Und das sollte sie IMO auch, weil man als Student nicht nur einen Fundus Grundwissen braucht sondern vor allem auch die Faehigkeit, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten, Ideen/Information einzuordnen. Das ist dann auch der Punkt wo der Student zum selbststaendigen und kritischen Denken angeregt wird, statt dass Inhalte einfach nur gelernt werden. Da reicht es nicht wenn vorn einer was runter rasselt wie im Grundstudium mit 200 Mann im Saal.
Interessant bei diesem Vergleich ist, daß im Spätmittelalter sich das fahrende Volk zu einem gewissen Teil wohl tatsächlich aus Studenten und Doktores rekrutiert hatte. Damals wurden an den Universitäten reihenweise Theologen produziert die niemand brauchte; ebenfalls eine Tätigkeit mit ziemlich negativer Lebensbilanz und größtenteils reiner Selbstzweck. Elfenbeinturm und Glasperlenspiel.
Würde auch zu einem anderen Vergleich passen, den du vor einiger Zeit mal aufgestellt hast: Daß sich an unseren Universitäten inzwischen klerikale Strukturen herausgebildet haben. Also ebenfalls genauso wie im Spätmittelalter eine ganze Industrie, wo einige wenige privilegierte (und genauso inkompetente wie korrupte) Amts- und Würdenträger für alles und jedes die Hand aufhalten, und sofort böse werden und ihren ganzen Einfluss geltend machen, wenn irgendjemand versucht diese Privilegien auch nur ansatzweise in Frage zu stellen.