Mehr Kritik an der Dissertation von Kristina Köhler
Dieser mehrfach und laufend aktualisierte Artikel enthält weitere Überlegungen zum Hintergrund dieser dubiosen Dissertation.
Nach meiner Analyse der Dissertation der Ministerin Köhler von gestern habe ich im Deutschlandfunk noch eine schöne Rezension gefunden, die zum ungefähr gleichen Ergebnis kommt (nur kürzer), Zitat:
Um es gleich vorweg zu sagen: Niemand sollte 39,95 Euro für dieses Buch ausgeben. […] Die Bundestagsabgeordneten hingegen, so die Autorin, vertreten viel stärker egalitäre, also gleichmacherische Grundideen als die einfachen Parteimitglieder, deren Weltbild sich offenbar immer noch auf die Kurzform “Freiheit statt Sozialismus” bringen lässt. Diese Feststellung darf man wohl getrost als einen Appell an die CDU-Mandatsträger im Bundestag verstehen, die Sozialdemokratisierung aus der Zeit der Großen Koalition hinter sich zu lassen und wieder ins wirtschaftsliberale Lager einzurücken. Wer sich bis zum Ende durchgekämpft hat, der begreift, dass die ganzen 303 Seiten der Dissertation von Frau Dr. Köhler eigentlich nichts weiter sind als eine Aufforderung an die CDU, ihre neoliberale Programmatik von 2005 zu reanimieren. Der Firnis der Wissenschaft kann diese Botschaft kaum überdecken.
Es freut mich, daß die da völlig unabhängig zu derselben Bewertung der Kernaussage der Dissertation kommen wie ich. Also muß ja was dran sein.
Daß die Uni Mainz bzw. dieser Professor Jürgen Falter eine solche verkappte Aufforderung zu neoliberaler Politik als wissenschaftliche Leistung ausgibt und damit auch als wissenschaftlich belegt hinstellt, muß man meines Erachtens als Wissenschaftsbetrug werten – und zwar sowohl der Prüfer, als auch der Doktorandin. Das dürfte ja eine heitere Familienpolitik werden.
Die Universität Mainz oder zumindest diesen Lehrstuhl muß man damit wohl auch als politische Titelmühle ansehen.
Ich schlage deshalb vor, für solche Promotionen den Terminus der „Kaviar-Promotion” einzuführen.
Nachtrag 1: Je mehr und je länger ich über diese Dissertation nachdenke, desto schlechter, unwissenschaftlicher, absurder, und eigentlich auch desto inkompetenter wirkt diese Dissertation auf mich.
Der Titel der Arbeit ist „Gerechtigkeit als Gleichheit?” – eigentlich ist schon die Frage blöd. Eigentlich müßte man fragen, ob Gerechtigkeit Gleichheit voraussetzt.
Und dazu müßte man eigentlich erst einmal klären, was unter den Begriffen genau zu verstehen ist. Die Frau bringt es fertig und schreibt eine Dissertation mit zwei Schlagworten im Titel, ohne die beiden irgendwie zu erklären. Sie fragt einfach „empfinden Sie es als gerecht…” und überläßt es anderen, was sie darunter verstehen.
Und was versteht sie unter „Gleichheit”? Auch nur die Höhe des Einkommens und sonst gar nichts.
Und untersucht sie das Thema irgendwie? Eigentlich auch nicht. Sie stellt Abgeordneten und Mitgliedern dusselige, inkonsistente und unklare Fragen, die jeder unterschiedlich verstehen kann und zählt dann die Korrelation aus. Was hat das mit Gerechtigkeit oder Gleichheit zu tun? Nichts. Die Frage nach der Verbindung aus Gleichheit und Gerechtigkeit ist eine philosophische. Oder juristische. Aber keine soziologische.
Was heißt „gerecht”? Es kommt von Recht. Und das heißt, daß man eine abstrakte und vom Einzelfall losgelöste Regel auf alle vergleichbaren Fälle einheitlich anwendet. Und damit setzt Gerechtigkeit im Wortsinn eine gewisse Gleichheit schon voraus. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, daß die beiden Begriffe gewissermaßen deckungsgleich oder -ähnlich sind. Insofern würde ich sagen, daß schon der Titel der Arbeit zeigt, daß weder die Doktorandin noch die Prüfer nachgedacht haben.
Letztlich ist diese Arbeit nichts anderes als die (hinter Statistikzahlen maskierte) Aussage, daß man bzw. die CDU auf Gerechtigkeit pfeift und daran nicht interessiert ist. Sie läßt den Leuten die Wahl zwischen „Freiheit” und kommunistischen Einheitsgehältern, als fragte sie nach Reisefreiheit oder Einmauern (wobei gleiche Gehälter für alle ja durchaus auch als Ungleichheit der Wertschätzung der individuellen Leistung verstanden werden könnten), und folgert daraus, daß kein Bedarf an Gleichheit bestünde.
Insofern könnte man auch sagen, daß die Frau das Thema völlig verfehlt hat, denn wer Gleichheit für die Gleichheit der monatlichen Gehaltszahlung hält (oder als solche hinstellt), dem fehlt es an der (übrigens auch von der Promotionsordnung verlangten) Bildung. Wer unter dem Stichwort der Gerechtigkeit nach Gleichheit fragt und das politisch meint, würde – etwas Bildung vorausgesetzt – eher mal bei der französischen Revolution anfangen. Die nämlich haben Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als fest zusammengehörendes Thema aufgefaßt, während Köhler von den Leuten will, sich zwischen Freiheit und Gleichheit zu entscheiden, als wäre das entgegengesetzte Begriffe. Das ist richtig subtil und fies, denn dadurch werden die Leute nämlich schon durch die Art der Fragestellung dazu gebracht, sich gegen die Gleichheit zu entscheiden, obwohl überhaupt nicht geklärt wird, worum es geht. Das ist eigentlich so eine richtig fiese Fangfrage. Man stellt den Leuten eine Frage, die sie so, wie sie gestellt wurde, eher mit „Freiheit” und damit gegen „Gleichheit” beantworten, und folgert dann daraus „Ha, ich habe nachgewiesen, daß die CDU-Mitglieder Gleichheit nicht wollen, also kann die CDU darauf verzichten. Freßt Kaviar und macht Euch keine Sorgen.” Mit der gleichen Systematik könnte man fragen „Wollen Sie Gold oder Benzin?” und aus dem Ergebnis folgern, daß wir eigentlich die Tankstellen abschaffen könnten, weil niemand mehr Benzin will. Gut, sie kommt an mancher Stelle auch zu dem Ergebnis, daß manche beides für vereinbar halten, aber die tendenziöse, suggestive und mißverständliche Fragestellung und daß sie aus den Ergebnissen etwas folgert, was sie nicht gefragt und die Leute nicht geantwortet haben, bleiben.
Der Denkfehler – nein, Denkfehler ist falsch, denn mit Denken hat diese Arbeiten nichts zu tun, man muß eigentlich von einem rabulistisch-semantischen Definitionsfehler reden – darin läßt sich ganz einfach aufzeigen: Was wären denn Gleichheit und Gerechtigkeit im Promotionsverfahren? Hieße gleich und gerecht, daß jeder Mensch mit einem Doktorgrad im Namen herumläuft, egal ob er viel oder wenig kann, damit alle gleich sind? Oder heißt gleich und gerecht, daß an jede Dissertation die gleichen Anforderungen und Bewertungsmaßstäbe angelegt werden, wie es auch das Prüfungsrecht fordert? Gleichheit in den Maßstäben und nicht Gleichheit im Ergebnis? Die Prüfer jedenfalls haben auf die Gleichheit der Maßstäbe – und damit auf Gerechtigkeit – verzichtet. Für CDU-Doktoranden gelten offenbar andere Maßstäbe als für andere. Aber das Thema CDU und Promotionen habe ich ja schon ausgiebig beleuchtet.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, diese Arbeit nicht (nur) als schlechte Leistung ohne wissenschaftliche Substanz anzusehen, sondern auch als versteckte Demagogie, denn mit scheinwissenschaftlichen Mitteln, die bei Licht als Verdichtung semantischer und systematischer Fehler erscheinen, und dem Hantieren mit undefinierten, beliebigen Worthülsen wird eine auf Ungleichheit beruhende Politik favorisiert und als Ergebnis einer wissenschaftlichen Mitgliederbefragung ausgegeben, in der sich einige wenige mit Kaviar vollfressen. Die Frage nach Gerechtigkeit wird dabei nur noch mit leeren Sprüchen abgespeist.
Und das für das Amt einer Bundesfamilienministerin. Ich glaube, bei der wird man sehr genau aufpassen müssen, was sie macht, sagt und entscheidet.
Nachtrag 2: Je mehr ich drüber nachdenke…
Schon mal aufgefallen, daß das schon deshalb Promotionsbetrug (der Prüfer!) ist, weil man – unterstellt, die Arbeit wäre promotionswürdig – dabei von vornherein gar nicht durchfallen kann? Wenn man als Thema hat, eine empirische Umfrage ohne wissenschaftliche Auswertung zu machen, hat man von vornherein gewonnen. Man verschickt Fragebögen, deren Fragen man überwiegend von anderen Fragebögen abgekupfert hat. Und dann antworten die Befragten irgendetwas. Irgendetwas! Was, das kann man ja dem Doktorand nicht anlasten. Der muß nur noch zählen und die Zahlen aufschreiben, kann damit sogar andere beauftragen und hat seinen Doktor. Da kann man gar nicht durchfallen.
Die Frau ist promoviert worden, wie andere mit dem Auto von der Transportkette durch die Waschanlage gezogen werden: Gang raus, Motor aus, Bremse auf, zurücklehnen und warten, bis es vorbei ist. Komplettservice mit Erfolgsgarantie. Der Professor macht’s möglich.
Nachtrag 3: Da scheint möglicherweise doch mehr dahinterzustecken als nur eine schlechte Dissertation. Wie beispielsweise der SPIEGEL berichtet, gibt es Krach in der CDU und einige moppern gegen Merkel, auch aus der hessischen CDU. Dazu der SPIEGEL:
Streit über CDU-Profil
Merkel-Kritiker beharren auf Kursdebatte
[…]
CDU-Chefin Angela Merkel: Beschuss aus den eigenen Reihen
[…]Es ist eine offene Attacke: CDU-Landespolitiker werfen Angela Merkel Profillosigkeit vor. Führende Parteifreunde springen der Kanzlerin zur Seite – doch die Kritiker rechtfertigen sich und erklären: “Wir haben vielen aus dem Herzen gesprochen.”
In einem Gastbeitrag für die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” hatte Flath gemeinsam mit seinen beiden Amtskollegen aus Hessen und Thüringen, Christian Wagner, sowie der brandenburgischen CDU-Fraktionsvize Saskia Ludwig über den “präsidialen Stil” der Bundeskanzlerin geklagt. Dieser habe zu einer massiven Schwächung des Parteiprofils beigetragen. Die Autoren fordern, “die konservativen und wirtschaftsliberalen Stammwähler zurückzugewinnen”.
Ach, gucke da. Unter anderem die Hessen meinen, die CDU sollte konservative und wirtschaftsliberale Stammwähler zurückgewinnen, und sie würden dabei „vielen aus dem Herzen sprechen”. Und das als Folge des Merkel-Wahlkampfes 2009.
Und nun kommt da Kristina Köhler, eine Politikerin der Hessen-CDU, promoviert von einem Professor, der der Hessen-CDU nahesteht und auf deren Parteitag auftritt, und kommt, oh Wunder, ausgerechnet nach einer Mitgliederbefragung zu dem Ergebnis, daß das Herz der Mitglieder nach mehr Konservatismus und Wirtschaftsliberalität schlägt. Entstanden nach der Bundestagswahl 2005 wegen des unerwartet schlechten Wahlergebnisses nach dem Merkel-Wahlkampf.
Ist diese ganze Dissertation dazu gebaut, um partei-intern den Standpunkt des liberal-konservativen Flügels zu stärken? Immerhin hat ja ihr Doktorvater Jürgen Falter bezeichnet sie ja auch als liberal-konservativ. In der Presse gilt sie als erzkonservativ. Hat man diese Diss als pseudowissenschaftlichen Argumentverstärker für parteiinterne Streitigkeiten gebaut? Das wäre ein sehr plausibles Tatmotiv für einen solchen Fake.
Was dann auch die Frage aufwirft, ob sich Merkel die eigene künftige Königsmörderin ins Haus geholt hat, als sie Köhler zur Ministerin machte, oder diente diese seltsame Ernennung, bei der die allgemeine Presse ja sehr deutlich die Kompetenz vermißte, der Besänftigung des hessischen bzw. konservativen Flügels der CDU? Dazu sollte man auch diesen Artikel mal lesen, in dem es auch im den parteiinternen Krach geht und darum, daß der andere Flügel auch mit Wahlforschern kommt um seinen Standpunkt zu belegen. Es tritt immer plastischer hervor, was da bei dieser Promotion vor sich gegangen ist. Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun.
Nachtrag 4: Nochmal zur Vertiefung des Korrelationsfehlers, den Köhler macht: Sie mißt, ob die Meinung der Abgeordneten mit der der Mitglieder übereinstimmt und liest – ohne jede Kausalitätserklärung – daraus die Responsivität der Abgeordneten ab. Mit genau derselben Erhebung könnte man aber genausogut zeigen, daß die Zusammensetzung der Mitglieder sich nach der Meinung der Abgeordneten richtet, also die Kausalität genau umgekehrt verläuft. Deshalb kommt da nichts wissenschaftlich taugliches heraus, wenn man Korrelationen ausrechnet und vorliest.
5 Kommentare (RSS-Feed)
Das ist einfach der Versuch, sowohl den liberalen, also auch den konservativen Mitgliedern und Wählern vorzugaukeln, sie sei eine von ihnen. De facto ist es einfach Beliebigkeit.
Der Gigi von Arosa kann das aber auch:
http://arlesheimreloaded.ch/article/climategate-am-sonntag-teil3-gigi-von-arosa
Carsten
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“Diejenigen, die das Wissen haben, sagen nicht voraus. Diejenigen, die voraussagen, haben nicht das Wissen.”
Lao Tsu
nur mal eine Frage:
die Prüfung hat sie im Februar 2009 abgelegt, die Arbeit wurde veröffentlicht im Februar 2010.
Richtig so?
Dann darf sie zwischen Febraur 2009 und Febraur 2010 keinen Dr.-Titel führen, siehe hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Doktor
Absatz: Anforderungen, ziemlich am Ende.
Sie ist aber mit ihrem Titel in den Bundestagswahlkampf gezogen.
Sehe ich das richtig so?
Oder hat sie ihre Arbeit auf eigene Kosten drucken lassen, an die Bibliotheken verteilt und danach als Buch herausgebracht?
Die dortige Promotionsordnung ist da ziemlich schwammig. Diese Uni scheint Dienstleister für vorzeitige Doktortitel zu sein.
Moment… liberal-konservativ? Ist das so etwas wie “Kommunistischer Staat mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung”? Oder links-rechts? AFAIK sind die Begriffe “liberal” (freiheitlich, oder so) und “konservativ” (in traditionellen Werten verhaftet) einander doch entgegengesetzt?
Na gut, die Leute reden von witschaftsliberal – und für die Bedeutung dieses Wortes braucht man nur seinen eigenen Kopf: Der Staat möge sich aus der Wirtschaft heraushalten – es sei denn, wir brauchen ihn mal, um eine Bad Bank einzurichten.