Lieber Herr Professor Dr. Messerschmid,
ich kann nicht umhin, Ihnen auf diesem Weg eine Antwort auf Ihre Stellungnahme gegenüber der Landesregierung in Baden-Württemberg zu geben, wonach die Fortschrittsfeindlichkeit in Deutschland Innovationen hemme.
Heise zitiert sie mit den Worten
Die größten Hemmschuhe für Innovationen im Land sind aus Sicht von Ernst Messerschmid, Berater der Landesregierung Baden-Württemberg, die verbreitete Skepsis gegenüber technischen Neuerungen sowie fehlendes Risikokapital. “Die Bevölkerung könnte durchaus innovationsfreundlicher sein”, sagte der Professor für Raumfahrttechnik und frühere Astronaut bei der Präsentation des Abschlussberichts des Innovationsrates Baden-Württemberg in Stuttgart.
Der massive Widerstand gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 sei ein Beispiel für diese ablehnende Haltung. Dass international anerkannten Ingenieuren nicht zugetraut werde, mit technischen Problemen umzugehen, sei “bestürzend”, meinte Messerschmid, der damit die Ursachen für die Bürgerproteste gegen den Bau eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs in Stuttgart allerdings auf rein technische Fragen reduzierte.
Mit Verlaub, Herr Professor, ich glaube, daß Sie meilenweit danebenliegen und Ihre Sichtweise auf Betriebsblindheit und dem üblichen professoralen Schuld-auf-andere-schieben beruht.
Wenn man sich mal die genaue Struktur dieser, aber auch anderer Proteste ansieht, dann liegt dem schon ein massives Mißtrauen zugrunde, das ist wahr. Und daß die Deutschen sich in einer abergläubisch-ideologischen Technophobie verfangen haben, da ist auch was dran. Aber das eine ist hier nicht die Ursache des anderen. Und es ist unrichtig, und am Ende sogar unredlich, das hier zu suggerieren.
Verfolge ich die Proteste, deren Argumentation und Leitlinien, höre ich Journalisten zu, wenn ich gelegentlich deren Konferenzen besuche, oder lese ich einfach nur die Mails, die ich so bekomme, dann sehe ich sehr deutlich, daß das Mißtrauen nicht gegenüber der Technik, sondern gegenüber der in Baden-Württemberg und der Wissenschaft ausufernden Korruption und Willkür, der Vetternwirtschaft, Regierungskriminalität und dem Geschacher besteht. Nicht gegenüber der Technik als solcher, sondern gegenüber den Politikern und auch gegenüber den Wissenschaftlern und Ingenieuren, weil sich immer mehr rumspricht, wie diese erzeugt werden.
Schauen Sie sich doch mal an, wie sehr das Land Baden-Württemberg von Korruption, von Eingriffen in Rechtsprechung und Strafverfolgung, von einem flächendeckend logenartig organisiertem Beziehungsnetz überzogen ist. Baden-Württemberg gilt als die Hochburg deutscher Korruption und hat dabei selbst solche Korruptionsbrennpunkte wie Köln oder das Amigoland Bayern hinter sich gelassen.
Schauen Sie sich doch mal an, wie heute Berufungsverfahren an Universitäten ablaufen, bei denen Bewerbungsschreiben erst gar nicht mehr gelesen und Qualifikationen erst gar nicht mehr festgestellt, sondern die Posten verschoben und die Akten frisiert werden. Sogar das Wissenschaftsministerium gibt offen zu, daß man sich standardmäßig über das gesetzliche Hausberufungsverbot hinwegsetzt. Wissenschaftler werden nicht mehr nach Befähigung, sondern nach Korruptionsbereitschaft ausgewählt, und ebenso sehen die Ingenieure aus, die sie hervorbringen. Was glauben Sie, mit wievielen „Ingenieure” ich zu tun hatte, die weder ihr Gebiet fachlich beherrschen, noch die Grundlagen wissenschaftlichen oder gutachertlichen Arbeitens, weil die schon gar nichts anderes mehr lernen als Gefälligkeitsarbeiten und -gutachten.
Was Sie hier beobachten und feststellen, aber fälschlich dem Volk anlasten, ist nur die zwangsläufige Konsequenz eines über Jahre hinweg systematisch aufgebauten Korruptionssumpfes in der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Baden-Württembergs. Man hat es übertrieben, ist über die Stränge geschlagen, hat es in so vielen Bereichen getrieben, daß die Landesregierung und alles was daran hängt, jedes Vertrauen restlos verloren hat.
Wenn da jemand einen Bahnhof bauen will, dann sorgt das zwangsläufig für den Verdacht, daß es hier nur darum geht, Steuergelder auf Kosten der Allgemeinheit in private Taschen zu wirtschaften. Es entsteht der Eindruck, daß man da einfach alles in Kauf nimmt, damit ein Korruptionsgefüge sich an der Öffentlichkeit bereichern kann.
Es entsteht der Eindruck einer Regierung, die sich weder an der Bevölkerung, noch an ihren Aufgaben oder Verpflichtungen, sondern allein am Zuschanzen lukrativer Aufträge orientiert.
Vor diesem Hintergrund bleibt kein Raum mehr für das Vertrauen auf Ingenieure. Das Vertrauen ist verspielt, schon allein durch die Umbildung der Hochschulen, die diese ausbilden, zu käuflichen Kommerzbetrieben, der Umwandlung von Wissenschaftlern zu Mietmäulern.
Was die Landesregierung jetzt erlebt, ist nichts anderes als das Ergebnis der Korruption, die sie über Jahre gepflegt und gezüchtet hat. Ich bin mir sicher, daß sie das noch öfter erleben und daß sich das so schnell nicht wieder umbilden lassen wird.
Sich – wie Sie – hier hinzustellen, auf die Bevölkerung zu schimpfen und einfach wieder mal mehr Geld zu fordern, halte ich für verfehlt, für unehrlich und unseriös – und für professorentypisch.