Finanzmathematik ein „Verbrechen gegen die Menschheit” ?
Alle Modelle sind falsch. Ein lesenswerter Artikel in der Süddeutschen über Finanzmathematiker, Banken und Mathematikgläubigkeit.
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@ Steffen:
Ist nicht das Problem eher, dass die Börsen sehr effizient (d.h. machtvoll) sind? Dass sie selbst mit schei*-Techniken Milliarden erwirtschaften kann, ja vielleicht, dass sie nur mit schei*-Techniken Milliarden erwirtschaften kann und sich effizient gegen jede davon abrücken-wollende Neuerung abschotten kann, dass sie ohne Gier und Angst gar nicht funktionieren kann (im Moment?), aber perfekt mit all der Gier und Angst arbeiten kann, ja will und muss? Ich kann mir nicht vorstellen, dass solch ein globaler Totalapparat wie die Börse anders funktionieren könnte, ohne dabei seinen Totalitarismus und seine Globalität zu verlieren und was wäre aber eine Börse ohne “total und global”? Es wäre keine Börse mehr…
@AntoninArtaud: Ich glaube, du hast eine inkorrekte Vorstellung davon, was die akademische Lehrmeinung in diesem Falle unter “effizient” versteht.
Effizient bedeutet hier, daß (alles laut akademischer Meinung!) sämtliche Information augenblicklich in die Kurse eingepreist wird, daß man daher zu jedem Zeitpunkt einen fairen Preis für ein Wertpapier bezahlt (egal, welches), daß es unmöglich ist, langfristig besser zu sein als der Markt egal für wen, und daß der Verlauf der Kurse einem “Random Walk” folgt.
Schon alleine die Tatsache, daß Banken wie Goldman Sachs es schaffen, kontinuierlich unglaubliche Beträge aus den Märkten herauszuziehen, sollte zeigen daß diese Elfenbeinturm-Hypothese völliger Humbug ist. Es sollte klar sein, daß Preise von z.B. 100 Euro pro Telekom-Aktie, oder die Preise von Subprime-Krediten alles andere als fair waren.
Und natürlich muß irgendjemand das zahlen, was die Investmentbanken herausziehen. Damit das klappt, sind natürlich die Kurse und die öffentliche Meinung manipuliert. Sobald man sich das klar gemacht hat, ist es erstaunlicherweise möglich, als klitzekleiner Fisch einfach den Spieß umzudrehen, und ein paar nette Krümel von dem aufzuschnappen was die großen Haie an sich reißen.
Vieles davon ist rein theoretisch und formal betrachtet Nonsens, da aber die Bankheinis daran glauben und danach handeln wird aus dem Nonsens ein bischen Wahrheit, so ne Art selbsterfüllende Prophezeiung. Die ganzen Chat-“Analysen” funktionieren so, theoretisch völliger Unsinn, da aber viele danach handeln (Kursziele, wichtige “Trendwendepunkte”, “Barrieren”, “Bänder”…) bewahrheitet sich der Schwachsinn.
Oder wenn irgendein Käseblatt (Focus Money) berichtet, dass Aktie X (die eigentlich schrott ist, nach objektiver Kriterien) ganz toll ist und die dumme Herde diese dann kauft und damit den Kurs hochtreibt, auch eine selbsterfüllende Prophezeiung. Das bescheuerte daran ist, dass es immer wieder funktioniert, an den Märkten darf man nicht “logisch” und “rational” handeln sondern muss sich am Mainstream orientieren und rechtzeitig den Absprung schaffen bevor die Masse merkt wie sie über den Tisch gezogen wurde.
In den Frühzeiten des automatischen Aktienhandels per Computer (Algotrading,…) “ging noch was”, da wurden einige Mathematiker, Physiker,… wirklich reich, z.T. wurden da auch die Banken selbst über den Tisch gezogen, weil sie von der Materie keine Ahnung hatten. Heute macht das eben jetzt jeder und dann klappt das nat. nicht mehr so wie einfach wie früher, heute zählt nur noch der Zeitvorteil, wer am schnellsten an die Relevanten Infos kommt, entsprechende Rechenzetren stehen unmittelbar neben den wichtigen Handelsplätzen, in der einschlägigen Presse gabs darüber schon diverse Berichte.
Letztendlich ist die Börse zu einem Zockercasino verkommen, wer dort ernsthaft glaubt heute sein Geld langfristig sicher anzulegen hat schon verloren.
Ich selbst handle ein bisschen nebenher mit Aktien (schon aus Gründen weil ich von eben den betrügerischen Banken so unabhängig wie möglich sein will), und habe mich deshalb mal von einem ganz praktischen Standpunkt in die ganze Thematik eingearbeitet. Natürlich bin ich blutiger Amateur.
Die ganze Finanzmathematik steht unter der Fuchtel einer akademischen Koryphäe, die (wie im akademischen so üblich) als unantastbar gilt: Eugene Fama. Derjenige hat schon vor Ewigkeiten die sogenannte “Efficient Market Hypothesis” aufgestellt. Seitdem verteidigt er diese eisenhart mit allen Mitteln gegen alle Kritiker, egal wieviel Beweismaterial dagegen spricht. Es gibt Berichte von einem Ökonomieprofessor, der im privaten zugab, daß er natürlich nicht an das glaubt, was er seinen Studenten mit der Effizienzmarkthypothese erzählen muss.
Was noch dazukommt: Ein Phänomen genannt “Physics Envy”. Die Physiker haben es in ihren Glanzzeiten geschafft, Werte wie die Masse des Neutrons in ihren theoretischen Modellen mit schier unglaublicher Präzision vorauszuberechnen. (lang, lange sind diese Zeiten her…). Und das hat in allen anderen Wissenschaften Neid hervorgerufen, und das wollen sie alle auch können. Nur klappt das in großen, komplexen Systemen ganz schnell nicht mehr.
Der einzigste erfolgversprechende Ansatz an den Finanzmärkten sehe ich in der “Behavioral Finance”. Daß also unsere Neuropsychologie einen ganz gewaltigen Einfluss hat. Angst und Gier. Also wenn alles crasht, im Idealfall noch die BILD-Zeitung und Focus Money den Weltuntergang ausrufen, dann sind hervorragende Einstiegskurse da. Und wenn Infineon-CEOs mit dem Rennwagen an der Börse vorfahren, und die BILD titelt: “Rentner S. aus Gießen: Wie ich mit Aktien reich wurde!”, dann ist allerhöchste Zeit zu verkaufen. Das ist alles nur extrem schwer in Mathematik zu packen, wenn überhaupt.
Denn natürlich sind die Kurse und die Stimmung manipuliert, und die Börsen sind meilenweit davon entfernt, ‘effizient’ zu sein. Aber eben jene angebliche “Effizienz” ist die Grundlage aller mathematischen Finanzmodelle, und es darf nicht daran gerüttelt werden, weil “Academia” es so gesagt hat.