Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Göttinger Nobelpreisträger zu dämlich um Gutachten zu schreiben?

Hadmut Danisch
9.12.2010 19:39

Hui. Hinter der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von heute scheint ja noch mehr zu stecken. [Update]

Laut TAZ ist einer der Professoren, die kein brauchbares Gutachten zustandebekommen haben, der Göttinger Nobelpreisträger Manfred Eigen. Das erklärt auch die spitze Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Urteilsbegründung (Absatz 68):

Nur eingeschränkter verfassungsrechtlicher Nachprüfung unterliegt hierbei die Frage, ob das vorliegende Gutachten von Prof. Dr. E… den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung an eine fachgerechte Begutachtung im Habilitationsverfahren anzulegen sind, genügt. Dieses zu bewerten, ist Aufgabe der Fachgerichte. Allerdings kann die Knappheit der gutachtlichen Feststellungen, welche die Gerichte teilweise selbst als „apodiktisch“ bezeichnet haben, nicht allein mit der „überragenden fachlichen Kompetenz“ des Gutachters und seiner „enormen Erfahrung“, die er im Laufe seiner „außergewöhnlich erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere“ gesammelt hat, gerechtfertigt werden. Die Qualitätsanforderungen an fachwissenschaftliche Gutachten im Habilitationsverfahren gelten unabhängig vom Ansehen und der Person des Gutachters. Danach ist die gutachtliche Bewertung in der Weise zu begründen, dass die anderen stimmberechtigten Mitglieder des Fachbereichs beziehungsweise der Habilitationskommission in die Lage versetzt werden, auf ihrer Grundlage über die Annahme der Habilitation selbstverantwortlich zu entscheiden und zugleich eine effektive Kontrolle des Rechts auf sachkundige Bewertung durch die Gerichte ermöglicht wird (vgl. BVerwGE 95, 237 <247, 251>). Dazu reicht es jedenfalls nicht aus, dass der Gutachter seine Einschätzungen in Ergebnissätzen zusammenfasst.

Wieder der typische Effekt an deutschen Universitäten, daß gar nichts geprüft, begründet, argumentiert wird, sondern die Entscheidung kraft Hierarchieposition klerikal getroffen wird, und man umso weniger Anforderungen erfüllen müßte, je höher man in der Hierarchieebene steht – weil sich von den Opportunisten und Speichelleckern dann auch keiner traut, den Nobelpreisträger in Frage zu stellen und ihm zu sagen, daß er Bockmist gebaut hat.

Und sowas nennt sich Wissenschaftler. Leute, die ihren eigenen Standpunkt nicht darlegen und nicht begründen können, kommen in der Hierarchie weit rauf.

Den sollte man in Haftung nehmen.

[Update:] Ich habe in der Wikipedia mal einen entsprechenden Hinweis aufgenommen. Mal sehen, wann die Löschbrigaden und Astroturfingtruppen der Wissenschaftsszene mit ihrer PR-Frisiererei loslegen. Kritik wird in der deutschen Wissenschaft ja grundsätzlich abgelehnt.

15 Kommentare (RSS-Feed)

Barney
9.12.2010 21:31
Kommentarlink

Ich kann verstehen, warum Dein Beitrag in der Wikipedia sofort wieder gelöscht wurde: Er ist viel zu lang, vielleicht wäre ein einziger Satz zu dieser Episode gerechtfertigt (vielleicht auch nicht). “Zweifel an der Befähigung” hört sich auch nach Zweifeln an der fachlichen Befähigung an, wobei es hier eher um die “Befähigung, Gutachten zu schreiben” geht. Und auch da lassen sich nicht so einfach Rückschlüsse ziehen … kann Herr Eigen das nicht, oder will er das einfach nicht/hatte er keine Zeit?

Fest steht, dass Herr Eigen seinen Nobelpreis bestimmt nicht bekommen hat, weil er so viel in akademischen Gremien herumhängt oder besonders viel Zeit und Liebe zum Detail für die Abfassung von Gutachten aufbringt.


Hadmut Danisch
9.12.2010 23:20
Kommentarlink

Ach, ich hab noch gar nicht geguckt. Ist er schon gelöscht? Na, die schlagen ja schnell zu.

Die Unfähigkeit, sich gutachterlich und damit zwingend in Bezug auf wissenschaftliche Grundfähigkeiten darzustellen, zieht notwendigerweise die fachliche Unfähigkeit nach sich.

Wenn er nicht will oder keine Zeit hatte, dann hätte er eben kein Gutachten abgeben dürfen. Er hat es aber getan.

Er baut Murks und erwartet, daß jemand anderes den Schaden trägt.


Hadmut Danisch
9.12.2010 23:45
Kommentarlink

@Barney: Ich habe mir das gerade man angesehen. Jemand mit dem (sorry, wenn ich das mal so sage, aber dem bescheuerten und auch noch geklauten Pseudonym „Hob Gadling”. Was soll man von Leuten halten, die sogar schon ihren Namen geklaut haben?) hat das gelöscht und stellt unsinnige Anforderungen.

Ein Echtzitat aus einer BVerfG-Entscheidung als „Kauderwelsch” abzutun, ist wohl eine ziemliche Niveaulosigkeit. Und seine Forderung, daß man angibt, wer da wen verklagt hat, verletzt die Privatrechte des Klägers, der hat nämlich – im Gegensatz zum Gutachter – einen Anspruch, nicht genannt zu werden. Und warum die geklagt haben, steht ja im zitierten Urteil, das „Hob Gadling” anscheinend nicht zu lesen imstande war.

Und von solchen Leuten wird die Geschichtszensur bei Wikipedia durchgeführt.

Es ist gerade im Universitätsbereich häufig zu finden, daß Mitarbeiter der Universitäten (oder sogar PR-Angenturen) die Artikel ständig überwachen und alle Kritik sofort entfernen. Das erscheint mir hier sehr als ein solcher Fall von Kritik-Unterdrückung (und damit letztlich auch Geschichtsfälschung).


Barney
10.12.2010 12:27
Kommentarlink

“Die Unfähigkeit, sich gutachterlich und damit zwingend in Bezug auf wissenschaftliche Grundfähigkeiten darzustellen, zieht notwendigerweise die fachliche Unfähigkeit nach sich.”

Das ist ein vollkommen falscher logischer Schluss.

Juristensprache ist Kauderwelsch für alle anderen.

Ich bin mir in dem Fall recht sicher, dass es hier kein Mitarbeiter einer PR-Agentur war, sondern ein normaler Wikipedia-Benutzer, der sich um die Qualität des Artikels sorgt.


Hadmut Danisch
10.12.2010 12:43
Kommentarlink

@Barney: Es ist überhaupt kein Schluss – und damit insbesondere kein falscher logischer Schluss.

Ein Blick in das Gesetz zeigt, daß die Berufsvoraussetzung für Professoren die Befähigung zu selbständigem wissenschaftlichem Arbeiten ist. Und ein Gutachten zu schreiben ist nichts anderes als die Anwendung elementarer Grundtechniken wissenschaftlichen Arbeitens. Und nachdem dieser Professor das hier offensichtlich nicht konnte und die Universität versucht hat, für ihn die Sonderlocke besonders geringer Qualitätsanforderungen zu spielen, scheint er das auch generell nicht zu beherrschen.

Und daß man das als Professor können muß, ist eben kein Schluss von mir, sondern eine zwingende gesetzliche Vorgabe bezüglich der fachlichen Befähigung eines Professors.

Und Aussagen wie „Juristensprache ist Kauderwelch für alle anderen” sind einfach nur knackedumm. Richtig saudumm. Weil es in einem Lexikon auf Quellenauthentizität und richtige Wiedergabe und bei Verfassungsgerichtsurteilen auf den exakten Wortlaut ankommt. Außerdem war der besagte Absatz durchaus allgemein verständlich und normales Deutsch. Wer aber die eigene Sprachinkompetenz zum Maßstab dessen macht, was in einem Lexikon stehen sollte, der sollte aus Wikipedia die Finger lassen.

Mag ja sein, daß es ein normaler Benutzer war, der sich um Qualität sorgt. Das macht er aber ziemlich schlecht und ziemlich dumm, insbesondere wenn er einfach alles pauschal sofort wieder löscht, und wortwörtliche Zitate als Quellenauthentizität nicht haben will. Daß da jeder selbsternannte pseudonyme Torfkopf daherkommen und einfach löschen kann, was nicht in sein subjektives beliebig dusseliges Schema paßt, macht die Wikipedia in meinen Augen zu einem richtigen Scheiß-System. So nach dem Motto der Dümmste gewinnt.

Es ist ein generelles Problem von solchen Freiwilligenprojekten – auch der ganze Linux- und OpenSource-Bereich leidet darunter – daß man damit nicht nur gute Leute bekommt, sondern auch einen unglaublichen Bodensatz an selbsternannten Ideologiewächtern und Evangelisten. Ich glaube, daß diese Leute sehr viel Schaden anrichten.


Christian
10.12.2010 12:54
Kommentarlink

“Kauderwelsch” als Löschbegründung ist in der Tat Unsinn und fast schon eine Beleidigung. Trotzdem hätte ich diesen Zusatz auch aus dem Artikel gelöscht, aber mit anderer Begründung:

Wikipedia dient nicht der Wahrheitsfindung und eine Argumentationskette, wie von dir in den Artikel gestellt, gehört da einfach nicht rein. Zumal die Schlussfolgerun nicht zwingend ist:

– Das BVerfG hat festgestellt, dass das Gutachten nicht fachgerecht war
– Die Uni Hamburg versucht, Prof. Eigen von der Pflicht, fachgerechte Gutachten zu erstellen freizuargumentieren, das Gericht verneint.

Daraus schließt sich ja nicht notwendigerweise, dass der Prof. nicht in der Lage zu einem anständigen Gutachten ist; es mag ja sein, dass er keine Lust hatte, oder dass bei einem ordentlichen Gutachten das gewünschte Ergebnis nicht herausgekommen wäre. Das ist nicht weniger schlimm, aber doch etwas anderes.

Für den Wikipedia-Artikel halte ich die Beteiligung an dem vom BVerfG beanstandeten Gutachten durchaus für erwähnenswert. Die Kritik an seiner Befähigung kann aber nur mit Verweis auf eine andere Veröffentlichung, z.B. dieses Blog erfolgen, beispielsweise in der Form “In der Folge [der Kritik des BVerfG am Gutachten] äußerte der Blogger Hadmut Danisch Zweifel an der Befähigung Eigens zum grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten.” (Quelle: Link auf Blog-Artikel). Besser noch, wenn man auf weitere Kritiker verweisen kann.


AntoninArtaud
10.12.2010 13:20
Kommentarlink

Geschichtszensur ist das Arbeitsprinzip von Wikipedia.

Ich sags immer wieder, das beste an Wikipedia sind die Archive von Artikel und Diskussion.
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Manfred_Eigen&diff=82464415&oldid=81302868

Dieser Satz hier aber: “läßt auf eine fehlende Befähigung bezüglich elementaren wissenschaftlichen Arbeitens schließen. Die weitere ausführliche Begründung der Entscheidung läßt weitere erhebliche Kritik an der Qualität des Gutachtens erkennen.” würde bei Wikipedia in jedem Fall unter “keine Theoriefindung” fallen und deswegen gelöscht. Man darf da nichts behaupten, was nicht irgend eine peer-reviewte Quelle oder wenigstens ein “Qualitätsblatt” wie ZEIT, SZ oder Spiegel geschrieben haben, weil sonst darf es einfach nicht war sein.
Da hat wiki das Web auch noch nicht verstanden. Tendenziell werden mehr nicht-“wissenschaftliche” Quellen ins Web gestellt. Und zwar tendenziell viel mehr. Über die Zeit wird sich Wikipedia dadurch, mit seinem jetzigen Arbeitsprinzip, immer autistischer machen und ein immer eingeschränkteres, engeres Wissen präsentieren (müssen). Ich schätze, in dem Maße, wie dies zunimmt, wird auch die Zensurwut zunehmen müssen, d.h. die Archive werden immer voller werden. Und man kann daran wunderbar eine Ethik ablesen…


Hadmut Danisch
10.12.2010 13:25
Kommentarlink

Klar. Deshalb hatte ich ja das BVerfG wörtlich zitiert. Aber das BVerfG akzeptieren die Wikipedianer nicht als „Qualitätsblatt”, das läuft bei denen unter „Kauderwelsch”.

Mir kommen die zunehmend wie eine spinnerte Sekte vor.


J.
10.12.2010 15:33
Kommentarlink

Hab ihr mal ein paar Diff-Links zur Wikipädie?


Hadmut Danisch
10.12.2010 16:20
Kommentarlink

Da gibt’s nicht viel zu diffen. Das ist meine Version. Wurde von einer Comic-Figure namens “Hob Gadling” komplett gelöscht. Diskussion dazu hier.


AntoninArtaud
10.12.2010 16:38
Kommentarlink

Wikiepadia ist nur eine Verlängerung DER Wissenschaft, wobei ironischer Weise das Laientum gar nicht so sehr viel niederreißt, will mir scheinen. Es gibt bessere Plätze für intellektuelle Auseinandersetzungen.


J.
10.12.2010 18:12
Kommentarlink

Ja, habe dann gesehen, dass im Artikel ja ein Link ist. IMO hast Du mit einem kompletten Abschnitt einfach viel zu dick aufgetragen. Die langen Erklärungen sind doch in der Tat nur nötig, weil die Ausführungen Theoriefindung sind. Etwas taktischer vorgehen und nicht mit dem Kopf durch die Wand …


GFH
11.12.2010 16:05
Kommentarlink

Wieso weist E. auf Eigen hin? E. kann auch die Abkürzung eines Vornamens sein. Außerdem war Eigen Professor in Göttingen und ist bereits 93 Jahre alt, eigentlich viel zu alt.


GFH
11.12.2010 17:06
Kommentarlink

83 Jahre alt! Ich verrechnete mich!


Hadmut Danisch
11.12.2010 17:51
Kommentarlink

Nicht das E. weist auf Eigen hin, sondern der Artikel in der TAZ, der ihn namentlich benennt. Außerdem verwenden Gerichte nicht die Anfangsbuchstaben der Vornamen.

Daß Eigen inzwischen alt ist, sagt auch nicht viel, denn das Gutachten ist ja auch schon viele Jahre alt. Kann freilich sein, daß der schon senil war. Es ist allerdings so, daß gerade bei sehr riskanten oder offensichtlich faulen Gutachten auffallend oft Emeriti eingesetzt werden, weil denen keiner mehr kann und die gar nicht mehr der Dienstaufsicht untestehen.