Ich telefonierte heute mit einem Professor…
… und gewann Erkenntnisse.
Eigentlich diente mein Anruf nur dem Zweck, eine (nicht-fachliche) Sache nachzuprüfen. Ich erklärte, was ich will, stellte meine Frage ud bekam eine freundliche und erschöpfende Auskunft.
Entgegen dem Eindruck, den “Adele und die Fledermaus” vielleicht erwecken könnte, ist das aggressive und überheblich-herablassende Auftreten mancher Professoren keineswegs branchentypisch. Mit vielen kann man sich ganz nett und vernünftig unterhalten (solange man keine fachlichen Fragen stellt). Es gibt andere, die mit Leuten unterhalb der Professorenebene gar nicht erst normal reden.
So auch mit diesem. Ein ziemlich freundlicher Mensch, der auch durchaus augenzwinkernd mal zugab, daß Universitäten bisweilen in ihrer Selbstdarstellung zu dick auftragen. Seine Formulierung “ein paar dB Eigenlob abziehen” war super, die muß ich mir unbedingt merken. 😉 Er war sogar aufrichtig genug, mir höflich und direkt zu sagen, daß ihm etwas an mir gar nicht gefiel. Eine überaus schätzenswerte Eigenschaft. Ich finde das sehr viel besser als die Typen, die nach vorneraus falsch lächeln und dann nachher Gerüchte in Umlauf setzen. Ich weiß dies zu würdigen.
Insofern ein angenehmes Gespräch. Wir kamen auf meinen Promotionsstreit weil er nach dem Grund meines Anrufs fragte. Eigentlich wollte ich damit gar nicht anfangen, aber wer ausdrücklich fragt, bekommt er auch eine ehrliche Antwort.
Die Sache gefiel ihm nicht. Verständlich.
Dann aber sagte etwas, was ich für äußerst erschreckend halte:
Wenn man merkt, daß das mit der Promotion nicht auf Anhieb läuft, sollte man es lassen und sich außerhalb der Universität etwas anderes suchen. Wer sich einklagt, der würde in den Universitäten nicht glücklich. Er wisse zwar von keinem anderen Fall auf diesem hohen Niveau, aber alle anderen Streitigkeiten – etwa um Prüfungen oder wenn Leute sich eine Dauerstelle eingeklagt haben – hinterher mit dem Umfeld nicht klarkamen und die Universität enttäuscht verließen um woanders glücklich zu werden. Man müsse sich von vornherein einfügen, sonst habe man keine Chance.
Der Mann hat sicherlich recht und das zweifellos in bester Absicht und grundehrlich gesagt. Was aber hat der da gesagt?
Er bestätigt, was ich seit Jahren kritisiere: Das deutsche universitäre Umfeld hat viel mehr mit einem Sozio-Öko-System als mit Wissenschaft zu tun. Ob das, was man macht, nun fachlich richtig und wissenschaftlich wertvoll ist oder nicht, ist von höchstens untergeordneter Bedeutung. Es geht um Einordnung in die Gemeinde, in die Community. Die in der Wissenschaft nötige Abstraktion von der Person (die übrigens in den USA sehr deutlich ausgeprägt ist) findet nicht statt. Nicht die Leistung zählt, sondern die Person.
Der Wissenschaftszirkus als Gesellschaft in der Gesellschaft außerhalb der Rechtsordnung, eine von der Öffentlichkeit hochsubventionierte “geschlossene Gesellschaft”, der seine eigene Währung in sozialer Anerkennung hat.
Ich war schon auf Sicherheitskonferenzen (scheinbar) seriöser Spitzenuniversitäten, bei denen völlig offenkundig war und auch nicht verhehlt wurde, daß die Beiträge lausig und völlig bedeutungslos waren und den angeblichen Sicherheitszweck überhaupt nicht erfüllten. Aber sie erfüllten den sozialen Zweck, daß die Wissenschaftler den Vorwand für die Dienstreise hatten, mal wieder nett zusammen zu Abend essen konnten und dann jeder mal wieder einen neue Eintrag in der Publikationsliste hat. Die Annahme des Papers für die Konferenz hatte nichts mit dessen Richtigkeit zu tun, sie wurden auch nur pro Forma verlesen und nicht weiter diskutiert. Der Konferenzband wurde gleich in Minimal-Auflage gedruckt, weil es sowieso keinen interessiert. Nein, Einträge in der Publikationsliste und das Zitiertwerden ist eine soziale Währung, das heißt, daß derjenige ein gerngesehener Gast sei. Und jemand wie ich, der Fehler und krumme Touren aufdeckt, sich gar einklagt, ist nun mal nicht gerngesehen, bekommt also auch keine Sozialpunkte.
Als eigene Leistung wird zunehmend, immer öfter und an immer prominenterer Stelle in der Tätigkeitsliste, aufgelistet, für welche Journale oder Konferenzen man bei der Auswahl der Papers mitgewirkt habe. Ist das wirklich eine fachliche Auswahl? Oder geht es da nicht eher drum, daß diese Leute so wertvoll sind, weil sie die Punkte verteilen? So eine Art Cliquen-Tante, die definiert wer gerade in ist und wer nicht?
Dementsprechend wird bei Stellenausschreibungen für Professuren immer öfter gefordert, daß der Bewerber über gute “Sichtbarkeit in der Community” verfügen muß, gar Empfehlungsschreiben aus der Community vorzulegen hat.
Ich habe inzwischen Unterlagen und Gutachten für mehrere Berufungsverfahren gesichtet. Auch die “Gutachten”, die die Bezeichnung übrigens kaum verdienen, sind überhaupt nicht an einer Zielsetzung ausgerichtet oder gutachterlich ausgelegt. Da bestätigt einfach jemand, daß der Kandidat soundso gut sichtbar gewesen und bei diesem und jenem bekannt gewesen sei.
Ich weiß von einigen Professoren, die in verblüffend vielen Gremien, Vereinen, Vorständen, Ausschüssen sonstwas drin sind, die hochgradig vernetzt sind, die jedoch ihr Fach nicht beherrschen. Die Vernetzung ist heute wichtiger als alles andere. Auf das Können kommt es nicht mehr an. Akzeptanz ist, was zählt.
Deshalb wird es auch zunehmend schwieriger, Fehler aufzuzeigen. Fehlerzeigen paßt nicht ins Konzept. Ich war mal auf einem Workshop zum Thema Security und Spam-Bekämpfung, in den laut Zeitplan über jeden Vortrag 5-10 Minuten diskutiert werden sollte. Ich hatte das völlig falsch verstanden und habe diskutiert. Mal einen Rechenfehler aufgezeigt. Mal erklärt, daß man sich damit strafbar machte. Mal gezeigt, daß es auf einem Irrtum über die Funktionsweise von E-Mail und SMTP beruht und nicht funktionieren kann. Oder mal erläutert, warum jener Vorschlag das Spammen erheblich erleichtern würde. Das Ergebnis war, daß ich vom Veranstalter ermahnt wurde, doch nunmehr die Klappe zu halten. Zwar hätte ich fachlich völlig recht – aber das hier sei eine Konferenz, da ginge es gar nicht um die Frage der Richtigkeit sondern um das Zusammentreffen und jedem eine Chance zur Veröffentlichung zu geben. Jeder kennt jeden und jeder lädt reihum jeden anderen ein. Eine Hand zitiert die andere. Das ist das Prinzip. Die Frage der fachlichen Richtigkeit stört da eher.
Ich habe neulich mal Vorträge gehalten. Kommt bisweilen vor. Da wurde ich von einem Professor, der in derselben Veranstaltung vortrug, gebeten, gewisse Teile meines Vortrages auszulassen, weil ihn das in ein schlechtes Licht stellen würde und er da jetzt auch nicht entgegenhalten kann. Ich habe mich in einem der Vorträge deshalb an der entsprechenden Stelle etwas gezügelt und die Sache war soweit OK.
So funktioniert der soziale Kitt der Universitäten, so funktioniert das Ökosystem Universität.
Nur zweierlei funktioniert so nicht: Wissenschaft im Allgemeinen und Security im Besonderen.