Ich bin ja so anerkannt…
Es gibt ein neues Pseudo-Qualitätsmerkmal.
Früher sagte man, daß ein Professor „hohe Reputation” genieße, wenn man sagen wollte, daß er gut sei, man das aber nicht belegen oder konkretisieren konnte. Oder aber irgendwie zusammenfassen. So eine Alles-und-nichts-Floskel. Man kann jemanden irgendo in einem Schriftwerk oder in einer Fernseh- oder Radiosendung vorstellen, seine „hohe Reputation” erwähnen und schon ist der Zuhörer unglaublich beeindruckt, ohne daß er irgendwie erkennen könnte, was jetzt eigentlich gesagt wurde, das irgendwie überprüfen, widerlegen oder in Frage stellen konnte. So völlig diffus. Das perfekte Schwafelwerkzeug, die optimale Windbeutelpumpe, das geniale Groß-daherkommen-ohne-was-gesagt-zu-haben, wie perfekt geschaffen für die deutsche Wissenschaftsszene mit ihrer Schein-statt-Sein-Strategie.
Die Reputation mußte schon für viel Unfug herhalten. Eine Kommission zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens antwortete mir mal auf eine Anzeige, sie werde den Vorwurf nicht untersuchen, damit die Reputation des beschuldigten Professors nicht beschädigt wird. Als ob ein Staatsanwalt Ermittlungen ablehnt, damit der Täter eine weiße Weste behält. Nicht etwa „wir untersuchen mal, ob der die Reputation überhaupt besitzt und verdient hat”, sondern im Umkehrschluß unterstellt man, daß er Reputation hat, und die ihn vor Verfolgung schützt, damit sie nicht kaputt geht.
Das ist eine schöne Eigenschaft, vor allem, weil sie selbsterhaltend und selbststabilisierend ist. Sie ist nicht die Folge von seriösem Verhalten und der Abwesenheit von Fehlverhalten, sondern umgekehrt schützt die Reputation jeden, der sie auf wundersame Weise erlangt hat, davor, sie wieder zu verlieren indem sie in Frage gestellt würde. Insofern könnte man Reputation, wäre man zynisch, durchaus auch als Negativkriterium verstehen, nämlich als Merkmal derer, die eben nicht überprüft werden und daher keine echte Qualität nachweisen.
Die Reputation hat aber einen gewissen Nachteil. Die Formulierung von der Reputation wirkt nur in Sätzen in der Konjugationsform der Dritten Person. Er oder sie genießt hohe Reputation klingt toll. Schon die zweite Person „Sie haben hohe Reputation” wirkt komisch, taugt nicht mal so richtig als Kompliment, weil man ja nur etwas sagt, was der andere sich schon am meisten von allen einbildet. Und die erste Person „Ich habe hohe Reputation” klingt nur noch überheblich und schnöselhaft nach Eigenlob. Da mußte also etwas anderes her, was auch das Eigenlob besser rüberbringt.
Seit einiger Zeit, und dazu immer öfter, fällt mir die neue Vokabel „anerkannt” auf, die an die Stelle des altmodischen „Reputation” zu rücken scheint. Klingt irgendwie moderner und weniger verstaubt. Ist sprachlich viel einfacher zu handhaben, denn es ist ein Adjektiv und kein Substantiv. Oder genaugenommen sogar ein Partizip. Und suggeriert damit deutlich stärker, daß da irgendeine wissenschaflichte Öffentlichkeit einen in den Stand derer erhoben hat, die die Weisheit mit dem Löffel gefressen und von Beruf Recht haben. Das hat Vorteile. Streiten sich zweie, und man sagt dem einen die höhere Reputation nach, ist der zwar im Vorteil, aber noch nicht so toll. Dann denkt sich das Publikum vielleicht, der andere ist eben noch nicht so bekannt.
Streiten sich aber zweie, und einer davon ist anerkannt, dann schwimmt darin unterschwellig mit, daß der andere es nicht ist. Daß der „Anerkannte” immer richtiges Zeug daherredet und der „Nicht anerkannte” eben unhaltbares unwissenschaftliches Zeug.
Und so liest man immer öfter, daß Wissenschaftler „anerkannt” sind. Ohne daß man wüßte, was damit gemeint ist. Warum, von wem, wofür? Klingt aber toll nach „der hat’s drauf”. Bei dem liegt es – typisch Wissenschaft – schon in der Person selbst, daß er von Beruf Recht hat.
Und es kommt in Diskussionen und Streitigkeiten richtig gut, wenn man es in der ersten Person verwendet. Während „Ich habe hohe Reputation” immer auch etwas hilflos daherkommt, ist ein „Ich bin anerkannt” oder auch „Meine Theorie ist anerkannt” ein mordsmäßiges Killerargument in jedem Wissenschaftsdisput. Als ich mal einem Professor auf die Pelle rückte, weil ich Zweifel daran hatte, daß er sein Buch selbst geschrieben hat, war die Antwort „Das Buch ist anerkannt”. Dabei ging es gar nicht um die Frage, ob das Buch inhaltlich richtig ist, sondern ob der Professor es wirklich selbst geschrieben hat. So wischt man ruckzuck Kritik vom Tisch.
Und es hat noch den Super-Vorteil, daß der Professor und Wissenschaftler von vornherein mehr Recht hat als der normale Mensch, denn wer nicht zum Wissenschaftszirkus gehört, kann ja gar nicht anerkannt sein und daher von vornherein gar nicht so viel Recht haben wie ein Professor schon aufgrund seiner tiefen „Anerkenntnis” an Wissenschafts-Grundbrummen im Schlaf hat. Das erinnert mich übrigens massiv an die Bewertungen von Katas im Karate: Da bewerten die Kampfrichter mit der Zehntelnote hinter dem Komma, während die Note vor dem Komma vorher vor dem Wettkampf, meist anhand der Gurtfarbe festgelegt wird, damit ein noch so guter Blaugurt keine bessere Bewertung holen kann als ein altersschwacher Schwarzgurt, weil eine 8,3 einfach eine bessere Wertung als eine 6,7 ist, obwohl der eine nur eine 3, der andere jedoch die 7 bekommen hat und damit eindeutig besser war.
Insofern müßten wir in Deutschland eigentlich ganz tolle Wissenschaftler haben. Wo die doch jetzt alle so wahnsinnig anerkannt sind.
Nur eines läßt mich zutiefst grübeln: Wieder die Grammatik, die Sprachform. Ich finde dieses „anerkannt” zwar nun auch in der ersten Person, aber dafür immer nur im Passiv. Anerkannt sind sie alle, das bestätigen sie sich abwechselnd selbst und gegenseitig. Die aktive Form, also daß sich auch mal der meldet, der angeblich anerkannt hat und von sich selbst mal sagt, „Ich erkenne X an”, die ist mir noch nicht untergekommen. Man kann zwar grammatikalisch, aber inhaltlich schlecht sagen, daß man gesehen, gehört oder gelesen wird, solange da keiner ist, der sieht, hört oder liest. Das Passiv setzte bislang die Anwesenheit und Mithilfe eines Aktiven voraus. „Anerkannt” im Sprachgebrauch deutscher Wissenschaftler ist man jedoch rein passiv, die Mitwirkung eines Aktiven, der anerkennen würde, ist nicht mehr notwendig.
Und das bekomme ich mit meinem Sprachgefühl nicht zusammen, eine Passiv-Form, der der Aktive fehlt. Liegt aber sicherlich an mir, weil ich ja kein Universitätswissenschaftler bin. An den Universitäten ist es nämlich anerkannt, daß sowas geht. Wieder so rein passiv, alle akzeptieren es, aber keiner will’s gewesen sein.