Der Wissenschaftler als große Assoziationsmaschine
Mir geht gerade so ein Gedanke durch den Kopf, was möglicherweise eine der wesentlichen Ursachen für die hohe Dichte an Plagiaten sein könnte.
Eigentlich setzt die Qualifikation als Wissenschaftler, Akademiker, Experte usw. ja voraus, daß man selbständig denken kann, das heißt, das man etwas denken kann, was noch niemand anderes gedacht (oder jedenfalls nicht mitgeteilt) hat. Darin drückt sich die Selbständigkeit aus.
Der Ursprung meines Gedankens geht schon ca. 10 Jahre zurück. Damals habe ich mich mit einem Informatik-Professor über das Problem Beth unterhalten, und jener Professor meinte damals, daß er – obwohl er Beth gut kannte, weil er diversen Krach mit ihm hatte – überhaupt nicht verstehen würde, wie Beth tickte. Ich habe ihm damals erklärt, was mir über die Jahre als Mitarbeiter aufgefallen war und daß ich ihm sehr wohl erklären könnte, wie Beth tickt und warum soviele Fehler entstünden. Damals dachte ich aber noch, daß das ein spezifisches Problem der Person Beth ist. Als ich dann aber mal deshalb besonders darauf geachtet habe, fiel mir auf, daß es tatsächlich erstaunlich viele „Wissenschaftler” gibt, die genau so ticken und damit sogar in der Konkurrenz sehr gut dastehen.
Beth (bzw. dieser Typ Wissenschaftler) hat das Fach eigentlich überhaupt nicht verstanden und (er)kennt auch die Zusammenhänge nicht. Selber Denken geht nicht. Stattdessen war Beth ei unglaublich großer assoziativer Speicher, der Zusammenhänge nach reinen Begrifflichkeiten ablegte (und auch häufig verwechselte). Er bildete gedankliche Brücken nicht nach technischer Funktionsweise, sondern nach begrifflichen Assoziationen. Dazu hatte er unglaublich viel gelesen, wußte unglaublich viel, konnte es aber fachlich-technisch überhaupt nicht einordnen, sondern wie in einem Assoziativ-Speicher, wie in einem Hash-Array, wie in einer Wikipedia abspeichern. Von den Assoziationsfehlern mal abgesehen führte das zu der Konsequenz, daß der Mann nie irgendetwas eigenes produzierte, sondern in seinem Wissen und Können immer dem schon Bestehenden hinterhereilte. Deshalb war der darauf angewiesen, daß ihm seine Mitarbeiter zuarbeiteten (was er ja auch immer wieder verlangte), und deshalb beruhten seine „Eingebungen” gar so häufig auf dem, was zuvor in der FAZ stand.
Das Ergebnis dessen war, daß er zu wirklich allem was wußte. Egal um welches Thema es ging, dem fiel immer etwas besonderes dazu ein. Es stimmte nur fast nie. (Oder wie Herbert Feuerstein es mal formulierte „eigentlich weiß ich alles, es stimmt nur leider nie”). Und ohne das fachliche Verständnis fehlt einem natürlich das Rettungsnetz der internen Plausibiltätsprüfung. Deshalb hat der so häufig so völlig absurde Fehler gemacht und Dinge verwechselt.
Der wesentliche Punkt daran ist aber, daß solche Leute im Hochschulumfeld enormen Erfolg haben. Damit, daß man zu allem was weiß, und daß man noch etwas weiß, was die anderen Experten nicht wissen (was ja leicht ist, wenn es nicht stimmen muß), kann man in einem Umfeld, in dem aus Standesdünkel und geringer Kompetenz grundsätzlich nie etwas auf Richtigkeit überprüft wird, das Publikum sehr beeindrucken.
Und wie ich die letzten Jahre beobachtet habe, gibt es im deutschen Forschungsumfeld verblüffend viele solcher Leute. Man macht im Hochschulumfeld mit sowas sehr viel schneller und leichter Karriere als mit echtem Wissen. Und wie mir mal eine Journalistin erklärte, sind ihr die Typen, die vor der Kamera zu jeder x-beliebigen Frage eine beeindruckende 30-Sekunden-Antwort abgeben viel lieber als die, die genau sagen, was sie können und was nicht. Damit gibt es einen drastischen Selektionsdruck zugunster solcher Assoziationsdenker.
Es gibt aber auch den Publikationsdruck. Und weil Assoziationsdenker per se nichts neues bringen, sondern nur rezitieren, ist das Abschreiben für die die natürliche Form des Arbeitens.
4 Kommentare (RSS-Feed)
ohauaha …
Ich hatte gerade ein Dèjavu … Assoziationen und nix dahinter, das kenne ich “irgendwoher”.
Geht in der Informatik halt besonders gut, weil Informationsverarbeitung so wenig greifbar ist – “your imagination is the limit”.
Ich habe manchmal den Eindruck, als ob dieses bloß assoziierende Diskutieren eigentlich genau die Methode ist, mittels derer man an den Unis bilden will. Man denkt einen Sachverhalt nicht in die Tiefe, sondern gleitet gemächlich über die Oberfläche der Dinge. So erfreut man auch den Journalisten wie es aussieht.
Ich würde das die Teekesselchen-Dialogkultur/Lehrmethode nennen.
“Bildung macht klug” “Klugheit ist wichtig für den Beruf” “Berufe brauchen alle.” “Wer keinen Beruf hat, der hatte wohl nicht genug Bildung” und schon ist der Zusammenhang zwischen Bildung und Arbeitslosigkeit glasklar: Arbeitslosigkeit entsteht durch zu wenig Bildung.
Könnte in der Tat sein, dass das nicht nur die Fremdtäuschung (“Alle denken, ich weiß alles”) leichter macht, sondern auch die Selbsttäuschung (“Ich weiß alles”). Viellleicht geht das eine ohne das andere gar nicht, so im praktischen Alltag (sowohl für Lehrende als auch für den ganzen Laden).
Zu dem Trick mit “Sie wissen doch sicher, dass…” würde ich sagen: Risiko ist hierbei, dass der Gelehrte dann einfach etwas als wahr behauptet, was der Realität offensichtlich völlig widerspricht (paradoxe Intervention). Da der Gelehrte keine Fehler macht, muss man sich dann wieder auf das Assoziationsspiel einlassen, in dem der Gelehrte (dank seiner fehlerlosen Positionsmacht) gewinnt.
Interessant, aber ich glaube, die jüngst aufgekommenen Plagiate bei
Doktorarbeiten kann man damit nicht so gut erklären. Denn das waren ja
fast immer solche Personen, die gar nicht in die Wissenschaft gehen
wollten (Dissertation als _Beginn_ der Forschertätigkeit), sondern solche,
die eben noch den Türschilddoktor für eine wissenschaftsferne
Karriere mitnehmen wollten (Dissertation als Abschlussarbeit).
Hierzu eine spontane Assoziation meinerseits 😉
In einem anderen Blog hatte ein Kommentator vor einigen Wochen gepostet, daß er eine fast todsichere Methode gefunden hat, mit der man in einer Diskussion einen Lehrer dazu bringen kann, daß er mit einem übereinstimmt. Das ist eigentlich extrem schwer, eben weil Lehrer genauso wie Professoren zu jedem Thema etwas wissen, und unter allen Umständen recht behalten müssen.
Man beginne einfach die Diskussion mit: “Es ist Ihnen doch sicherlich bekannt, daß …” oder “Sie wissen doch bestimmt, daß …”
Kaum ein Lehrer wird es übers Herz bringen zuzugeben vom nachfolgenden Sachverhalt nichts zu verstehen. Eine Wissenslücke zuzugeben scheint für diese Art von Leuten einer existenziellen Bedrohung gleichzukommen. Diese Diskussionstaktik sollte mit Professoren eigentlich auch hervorragend funktionieren, denn man packt sie hier direkt an ihrer psychologischen Schwäche, über alles Bescheid wissen zu müssen (aber in Wirklichkeit nichts zu wissen)