Von der Ordinarienherrlichkeit zur Professoreninflation
Ein böse-bissiger Artikel über die Professur im Wandel der Zeit ist in der ZEIT erschienen: Mythos Professor. Lesenswert!
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@FF: Warum ist die Ächtung der Geisteswissenschaften gefährlich?
…und für wen ist sie gefährlich? (außer den Geisteswissenschaftlern natürlich)
@Someone Else, @Hadmut
Eure Fragen verraten mir, daß schon der liebe Herrgott persönlich aus der Wolke (oder aus eurem Laptop) zu euch sprechen müßte, um in eurem Hirn irgendeinen “impact” im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit der Geisteswissenschaften zu erzielen. Was soll ich dann bewirken? Selbstverständlich nichts.
Trotzdem ein (natürlich nutzloser) Versuch: wer erklärt, was dieser “Islam” genau ist? BWLer und Informatiker natürlich. Wer kann die kruden geschichtsideologischen Bezüge eines Sarrazin oder eines Breivik exakt einorden und widerlegen? Machen Maschinenbauer. War dieser Rudolf Heß nicht ein schneidiger Typ? Und der Heydrich erst! Die deutschen Soldaten die besten der Welt? War die Bücherverbrennung nicht eine dolle Sache? Steht doch eh alles im Internet… Das erläutern demnächst die Finanzwirte vom Strukturvertrieb.
Ein neues Pharaonengrab gefunden? Sollen die E-Techniker ‘ran. Hans Filbinger ein Gegner des NS-Regimes? Helmut Schmidt wußte “nichts” vom Holocaust? Zu Albert Speer fragen wir am besten einen Bauingenieur. Die Gebirgsjäger der Bundeswehr lassen Kinder in “Klein-Mitrovica” Krieg spielen? Nicht so gut? Da müßte sich doch ein Verfahrenstechniker auskennen. Wie wärs’ mit KZ’s für Hartz-4-Empfänger? Was war nochmal “spätrömische Dekadenz”? Frag’ doch den Werbetexter! Auf dem Dachboden flattern diese komischen Briefe von einem “Goethe” an irgendeinen “Zelter” und “Wieland” rum? Da weiß doch der Hausmeister sofort Bescheid!
Und? Someone Else, Hadmut? Irgendein impact, anyone? Nein? Ich wußte es.
@FF: Ich bin Atheist. Und wenn der liebe Herrgott persönlich aus der Wolke zu mir spräche, hätte ich mit dem zuerst mal ein paar Punkte zu klären. Glauben würde ich dem nichts.
Ich zweifle (primär) nicht an der Sinnhaftigkeit, sondern an der Wissenschaftlichkeit der Geisteswissenschaften. Der Ansatz ist falsch, weil selbst wenn man den Geisteswissenschaften einen Sinn unterstellt, aus dem Sinn allein noch keine Wissenschaftlichkeit hervorgeht.
Mag ja auch sein, daß Geisteswissenschaftler manches, manche vielleicht sogar allerhand können. Damit ist es noch lange keine Wissenschaft.
Und nur weil man viel weiß oder auswendig gelernt hat, ist man vielleicht ein Wissender, aber noch kein Wissenschaftler. Der Unterschied liegt in der Methodik, der Meta-Ebene.
Diese ganze Beispiele mit Islam, Sarrazin, Breivik, Heß und Bücherverbrennung, Pharaonengräber und was da sonst alles kam – dreht sich alles um Wissen, aber nicht um Wissenschaft. Wer so argumentiert – sorry – der weiß eben nicht, was Wissenschaft ist. Besser hätte man nicht belegen können, daß der Anspruch der Geisteswissenschaftler ein Wissens- und Zuständigkeits-, aber kein wissenschaftlicher Anspruch ist.
Wenn ich mir die Haare schneiden lasse, gehe ich auch nicht zum Architekten sondern zum Friseur. Und wenn der Abfluß kaputt ist, hole ich nicht den E-Techniker sondern den Klempner. Und trotzdem sind weder Friseur noch Klempner Wissenschaftler. Diese Art der Argumentation funktioniert überhaupt nicht.
Selbstverständlich… Der König der “Wissenschaft”, der “Methodik”, der “Argumentation” und der “Metaebene” ist der “Informatiker”. Begriffe, die er überhaupt erst mühsam erfinden mußte. Geisteswissenschaftler, Philosophen gar, wären da nie drauf gekommen!
Informatiker definieren, was “Wissenschaft” ist und wer überhaupt weiß, was “Wissenschaft” ist. “Wissenschaft” als solche gibt’s überhaupt erst seit der Erfindung des Computers. Im Grunde erst seit der Geburt von Hadmut Danisch.
Leider ahnte ich vorher schon, wie nutzlos jedes Wort sein würde. Vielleicht überrascht mich ja Someone else noch mit einem “Gedankengang”, der nicht nur die eigene Borniertheit bezeugt.
Das ist jetzt aber reine Polemik und sonst gar nichts. Was hat das damit zu tun, daß ich Informatiker bin?
Im Zweifelsfall halte ich mich da nämlich an die Definition des Bundesverfassungsgerichts. Und die Richter dort sind keine Informatiker – sondern Juristen, also Geisteswissenschaftler.
@Hadmut Danisch:
Wie lautet den die Definition des Bundesverfassungsgerichts? Ich habe kurz “Adele und die Fledermaus” überflogen, konnte die gefragte Definition aber nicht auf den ersten Blick aufspüren.
@FF: Ich habe lediglich eine Frage in Bezug auf den Beitrag gestellt. Als nächstes bekomme ich an den Kopf geworfen, dass ich die Bedeutung bzw. die Wirkung der Geisteswissenschaften nicht einschätzen könne.
Den genauen Wortlaut muß ich auch erst wieder raussuchen. Systematische und nachprüfbare Suche nach Wahrheit, sowas in der Art war das. Sie haben das auch etwas vertieft. Das Bundesarbeitsgericht hat mal erklärt, daß das reine Anwenden wissenschaftlicher Ergebnisse keine wissenschaftliche Arbeit ist. Und nach meiner Auffassung gehört eben auch dazu, daß man Aussagen verifiziert oder falsifiziert. Und das machen viele der „Wissenschaften” nicht, die lernen bloß irgendwas auswendig oder nehmen verschiedene Standpunkte ein, schwelgen aber letztlich in Beliebigkeit. Kann man gerne tun, hab ich nichts dagegen, nur für Wissenschaft sollte man es nicht halten.
Und Wissenschaft hat halt auch nicht nur den Zweck, dem „Wissenschaftler” Geld, Ansehen, bequemes Leben und ne Verbeamtung auf Lebenszeit zu bringen.
Oh jemineh – wieder der alte Streit Geisteswissenschaft vs Natur- bzw. Ingenieurswissenschaften – den ich ehrlich gesagt für unnötig halte. Erinnert mich ein wenig an dies http://www.youtube.com/watch?v=79vdlEcWxvM
@FF wer seinen eigenen “Erklärungsversuch” gleich als nutzlos bezeichnet um anschließend auf Kritik polemisch zu reagieren begibt sich für meinen Geschmack auf ein doch sehr hohes Roß.
Auch sehe ich keinerlei Grund der im Artikel beschriebenen Ordinarienuniversität aus Kaisers Zeiten und den damit verbunden Riten und Standesdünkel nachzutrauern. So unabhängig und lediglich der reinen Lehre verpflichtet waren die Geistesgrößen von damals schließlich auch nicht. Ganz zu schweigen von den mir persönlich äußerst suspekten Burschenschaften. Ich wage zu behaupten Vetternwirschaft, Absprachen, Amtsmissbrauch sowie Gefälligkeitsgutachten etc. gab es füher genauso wie heute – nur kam weniger ans Licht der Öffentlichkeit bzw. wurde niemand ernsthaft belangt.
Mögen die 68er an mancherlei Stelle übers Ziel hinausgeschossen haben – aber den Muff von tausend Jahren brauche ich jedenfalls nicht!
Aus welchen Grund sollte man der der Ordinarienherrlichkeiten vergangener Zeiten nachzutrauern? Wegen des Verlustes von Privilegien? Der (wissenschaftlichen) Monopolstellung? Dem Bewusstsein einer Elite von Kaisers Gnaden anzugehören? Letzeres dürfte wohl eher der Geisteshaltung eines KTG entsprechen.
Als Sohne eines Handwerkers wäre mir der Zugang zu einer akademischen Laufbahn wahrscheinlich von vornherein verwehrt geblieben. Da strampele ich mich heute lieber für Drittmittel ab, rechtfertige gerne meine Ausgaben gegenüber den Steuerzahler und bilde nicht nur ausschließlich desinteressierten Zöglinge aus wohlhabenden “Elite”-Kreisen aus.
Wer sich über mangelnd planbare Karrieren in der Wissenschaft beklagt sollte mal ein wenig über den eigenen Tellerand sehen. Karrieren in der freien Wirtschaft sind mittlerweile genausowenig planbar. Wer heute einen gut bezahlten Job hat, kann diesen morgen schon wieder verlieren. Je nach Laune einiger Investmentbanker können Unternehmen bankrott gehen, zerschlagen/abgewickelt werden etc. Die Zeiten in denen jemand von der Ausbildung bis zur Rente im gleichen Unternehmen tätig ist sind doch längst passé.
Der von einigen Professoren beklagte Ansehensverlust erscheint mir eher als Folge des Festhaltens an völlig überkommenen Traditionen, eines fragwürdigen Elitebewusstseins sowie der mangelnden Dialogbereitschaft mit einer selbständig denkenden und informierten Gesellschaft. Für eine sog. Elite, die lediglich um sich selber kreist interessiert sich irgendwann niemand mehr.
Wer sich hingegen dem Dialog und den aktuellen Fragestellungen (von denen es übrigens in den Geisteswissenschaften m.E. sehr viele gibt) stellt wird auch in Zukunft ein angenehmes Auskommen haben und Ansehen genießen.
Wissenschaft (auch die Geisteswissenschaft) lebt vom Dialog und Austausch – auch mit Nichtwissenschaftlern.
Ich frage mich mittlerweile wirklich, ob die “Ordinarienherrlichkeit” nicht im Vergleich zu heute geradezu ein paradiesischer Zustand war, trotz aller Probleme, die es damals so gab…
Uni-Karrieren waren (relativ) planbar, sie dauerten zwar, folgten aber klaren Regeln und steuerten – materiell halbwegs abgesichert – einem klaren, lohnenswerten Ziel entgegen: einer C-4 Professur. Das waren dann keine korrupten Drittmittel-Stricher, sondern im besten Fall autonome, ihrem Fach verpflichtete Wissenschaftler.
Heute ist dieser Berufsweg eine demütigende Tortur geworden: aus Schufterei, Katzbuckelei, Ausnutzung, offener Bettelei, periodischem Gang zum Amt und der Frühveranlagung zur “akademischen” Prostitution: wes’ Brot ich ess’, des Lied…
Und das “Ziel”? Das gelobte Land des C-4 Lehrstuhls ist abgebrannt. Jeder Lehrer kann heute mit Ende 20 besser dastehen als ein promovierter und habilitierter Uniprofessor mit Mitte 40. “Professor” darf sich heute übrigens jeder verkrachte Grafikdesigner nennen, der an einer Wald- und Wiesenakademie Malen nach Zahlen unterrichtet.
Okay, man kann natürlich sagen, diese Eierköpfe in ihrem akademischen Elfenbeintürmchen braucht doch keiner. Die kosten nur. Aber die Folgen dieser Austrocknung einer kulturellen Elite werden verheerend sein – nicht heute, aber übermorgen ganz sicher. Die Ächtung der Geisteswissenschaften ist gefährlich; und sie paßt hervorragend zur großen Renaissance der Blender, Scharlatane, Esoteriker, Brunnenvergifter, Wirrköpfe und Rattenfänger.
Wenn ein neuer Frankenstein heute in seinem Labor nur die “richtige” Mischung aus Guttenberg, Sarrazin, Haider und Breivik fände! Er könnte die Welt aus den Angeln heben.