Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

US-Studenten mit einer Billion Dollar verschuldet

Hadmut Danisch
11.12.2011 12:29

Der SPIEGEL berichtet über die Zustände in den USA, in denen sich Studenten enorm verschulden müssen, um studieren zu können. Die Studienschulden sind inzwischen höher als die Kreditkartenschulden (und das will was heißen!).

Zum Vergleich: Die Gesamtverschuldung der USA (unter denen sie gerade wohl zusammenbricht) liegt bei etwa 15 Billionen (hier die deutsche Billion = 1000 Milliarden, nicht die amerikanische). Bedenkt man, daß in den USA der Bund und die Staaten schon hart an der Pleite sind und ihre Beamten, Soldaten, öffentlichen Angestellten teilweise schon nicht mehr bezahlen können, ist das durchaus heftig, denn diese Schulden stehen ja irgendwo noch als Aktiva in den Bilanzen der Geldgeber und Gläubiger.

Wieviele dieser Schulden noch zurückgezahlt werden, ist fraglich (nicht nur bezüglich eines Ausfalls der Rückzahlung, sondern auch durch den Wertverlust bei unvermeidlicher Inflation). In den USA haben derzeit viele Studierte Probleme, überhaupt noch ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, geschweige denn Schulden abzuzahlen. Und schaut man sich die Proteste an, die dort gegen das Bankenwesen entstehen, könnte es gut sein, daß viele das auch gar nicht mehr wollen.

Insofern hat das Handelsprodukt Bildung gewissen Ähnlichkeit mit dem Automobilmarkt in den USA. Ich kann mich noch erinnern, wie es in den USA ausgesehen hat, als ich in den 90er Jahren dort unterwegs war. Unglaublich viele Schrottkarren auf der Straße unterwegs, denn einen TÜV haben sie nicht. Was sich noch aus eigener Kraft bewegen kann, fährt. (Bremsen ist optional.) Als ich mitte der (20)00er Jahre wieder ein paarmal dort unterwegs war, habe ich gestaunt, denn die Schrottkarren waren fast völlig verschwunden. Fast nur noch nagelneue Autos unterwegs. War dort der Reichtum ausgebrochen? Nein. Ein paar Leute haben es mir erklärt, als ich dort gefragt habe, und ein Blick in die Autohäuser hat das bestätigt. Die Leute sind in Schrottkarren herumgefahren, weil sie wirtschaftlich so schwach waren, daß sie sich nicht mal einen ordentlichen Gebrauchtwagen leisten konnten (und das will wieder was heißen, denn Gebrauchtwagen sind in den USA eigentlich spottbillig). Weil die Automobilindustrie aber hart an der Pleite (und zwischendurch ja auch mal insolvent) war, haben sie den Leuten die Neuwagen praktisch zum Null-Preis hinterhergeworfen, alles auf Billig-Kredit, den man erst später abzahlen mußte. Also haben alle die Leute, deren Schrottkarren aus den 90ern inzwischen den Geist aufgegeben hatten oder die sich die Reparaturen nicht mehr leisten konnten, sich ein neues Auto gekauft, weil das im ersten Ansatz billiger war als das alte zu unterhalten. Manche haben ja zusätzlich zum Kaufpreis noch Bargeld auf Kredit obendrauf bekommen, da war der Fahrzeugkauf der Weg, sich erst mal Cash zu besorgen (manche werden sich erinnern, daß es solche absurden Angebote auch in Deutschland mal gab – kaufe Auto, bekomme erst mal 2000 Euro mit dazu). Also hat man jede Menge neuer Autos verkauft und als Gegenwert kein Geld, sondern nur Kreditzahlungsansprüche erhalten. Damit kann man seinen Laden aber nicht mal dann aufrechterhalten, wenn man sie noch bekommt. Und viele sind einfach ausgefallen, ähnlich wie auch die Hauskredite.

Den Geldgebern für die Studienkredite wird es nicht anders gehen. Es wird zu massiven Zahlungsausfällen und inflationsbedingten Wertverlusten kommen.

Nun weiß ich leider nicht, ob diese Schulden bei den Universitäten oder separaten Kreditgebern bestehen. Und wenn sie bei Universitäten bestehen, dann weiß ich nicht, wie sich das aus öffentlichen und privaten Universitäten zusammensetzt. Und bei den Privaten weiß ich nicht, wieviele davon wirklich auf die Zahlungen angewiesen sind oder auf so viel Geld hocken, daß sie kaum Pleite gehen können.

Es wird aber das ganze Gefüge durcheinanderbringen. Je mehr Zahlungsausfälle es gibt, desto schwieriger wird es werden, Studienkredite zu bekommen. Im Gegenzug werden immer weniger Studenten ein teures Studium aufnehmen (zumal dessen Nutzen zunehmend fraglich ist). Ds wiederum könnte zu einem Zerfall eines Teils der Hochschulen führen. Auch die teuren Privatuniversitäten werden sich umstellen müssen, wenn ihnen die Kundschaft abhanden kommt. Ich habe neulich schon gelesen (Quelle vergessen), daß die dort zunehmend mit Stipendien nach Studenten werfen, den Studenten als das Geld schenken, mit denen sie dann wieder ihre Studiengebühren bei dem bezahlen, der ihnen das Geld geschenkt hat. Solche Scheingeschäfte gehören eigentlich in den Bereich der Buch- und Bilanzfälschung. Damit wird der Schein aufrechterhalten, daß das angebotene Produkt (das Studium) noch marktfähig wäre und zu diesem Preis gehandelt würde.

Bisher wurde der Wert des Studiums in den USA nach zwei Kriterien eingestuft, nämlich dem wirtschaftlichen und dem gesellschaftlichen Wert. Man kauft sich nicht Wissen und Können, sondern eine gesellschaftliche Stellung und Beziehungen. Und damit besteht auch der wirtschaftliche Wert zu einem wesentlichen Teil aus einer gesellschaftlichen Komponente.

Derzeit ist es aber so, daß der rein wirtschaftliche Wert wegen der Marktsituation rapide sinkt, und auch der gesellschaftliche Wert immer mehr nachläßt.

Der Wert des Studiums sinkt, und auch der Preis wird zwangläufig sinken. Bildung und Studium sind nicht mehr selbstverständlich, sondern werden zunehmend danach bewertet, ob sie wirklich ihren Wert noch bringen. Und daran muß man schon – ganz ohne Beachtung der wirtschaftlichen Lage – zweifeln wenn man bedenkt, daß man nach einem ausgiebigen Studium, vielleicht noch mit Promotion, oft Ende Zwanzig bis Anfang Dreißig ist, und einem damit noch etwa 30-35 Jahre bleiben, um seinen Gesamtlebensunterhalt zu erwirtschaften.

Auch wenn man es nicht so merkt, haben wir in Deutschland auch so einen Effekt, der nur politisch viel besser versteckt wurde. Nämlich in der Senkung des Alters von Absolventen durch Verkürzung der Schulzeit, Wegfall der Wehrpflicht (im Prinzip auch die Anhebung des Rentenalters) und die Verkürzung des Studiums auf den Galopp-Bachelor. Alles das senkt das Verhältnis von Studienzeit zu Lebensarbeitszeit (und damit den Wert des Studiums) erheblich.

In den USA kommt dann noch ein anderer Aspekt der hohen Verschuldung dazu: Die haben gerade ein gewaltiges Problem darin, ihre Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Der Kreislauf aus Konsum und Produktion ist eingebrochen, weil die Leute sich nichts mehr leisten können. Hunderttausende von Häusern wurden aufgegeben, weil die Leute sich die Hypothekenzahlungen nicht mehr leisten können. Luxusartikel sind out. Tagesziel wird die Beschaffung von Grundnahrungsmitteln. Man kommt aus so einer Situation nur heraus, indem man den bürgerlichen Mittelstand stabilisiert und wieder zu einem saftigen Konsum bringt. Und das wird man nie erreichen, wenn der Mittelstand schon vor dem Eintritt ins Hauptberufsleben auf Lebenszeit verschuldet ist. Man wird durchaus die Frage stellen müssen, ob ein ausführliches Studium mit hohen Schulden volks- und individualwirtschaftlich nicht mehr Schaden als Nutzen bringt. Ob nicht die Universitäten mit ihren extremen Gebühren für ein Produkt von fragwürdigem Nutzen (aber bisher gesellschaftlichem Druck) als Schmarotzer des Wirtschaftskreislaufes gelten müssen, quasi als Erkrankung gelten muß. Denn wenn die Studienschulden höher sind als die Kreditkartenschulden (die in den USA einen großen Teil des Konsums abbilden), dann sieht man, daß sich das signifikant auf den Konsum und damit auf die Wirtschaft auswirkt. Es sei denn freilich, man betrachtet das Studium selbst nicht mehr als Berufsausbildung sondern als Konsum und Teil des Wirtschaftskreislaufes. Dann hat man aber ein anderes Problem: Wenn man jemandem etwas über mehrere Semester beibringt, wofür der teuer bezahlt aber damit nichts anfangen kann, dann hat man zwar auf dem Papier Umsatz generiert, aber volkswirtschaftlich nichts hergestellt, sondern nur Lebenszeit und damit einen wesentlichen Teil der Gesamtarbeitsleistung eines Volkes nutzlos verbraten, also Miese gemacht. Zeit man jemandem 6 Wochen lang, wie man eine Straße asphaltiert und läßt ihn dann sein Leben lang asphaltieren, hat der womöglich mehr geleistet als jemand, der jahrelang studiert und Aufwand verursacht, um dann mit Verspätung zu starten und erst einmal den Aufwand wieder hereinarbeiten zu müssen, bevor er dann schließlich anfangen kann, produktiv zu werden.

Oder anders gesagt: Studieren wird überbewertet.

9 Kommentare (RSS-Feed)

Steffen
11.12.2011 14:05
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Zu den Student Loans sollte man noch erwähnen, daß das von allen Kreditarten in den USA diejenige Form ist, wo der Schuldner mit Abstand am wenigsten Rechte hat. U.a. kann man sich nicht mittels eines Privatbankrotts davon entschulden, man hat den Kredit so lange am Hals bis man stirbt oder ihn zurückgezahlt hat, es gibt keine andere Möglichkeit. Die Pfändungsmöglichkeiten der Gläubiger eines Student Loans sind extrem weitreichend, erheblich weitreichender als bei anderen Krediten.

Eine Senatorin meinte zu dem ganzen Desaster (habe gerade keinen Link dazu, kann ihn aber gerne versuchen zu suchen), daß jemand der bei der Mafia verschuldet ist mehr Rechte genießt als jemand mit Studentenkredit. Die für die Gläubiger äußerst vorteilhaften Rahmenbedingungen haben also wohl dazu geführt, daß ein Großteil der Jugend bewusst in diese Loans hineingetrieben wurde, und eine ganze Generation in massive Abhängigkeit von einer kleinen Kaste getrieben wurde.

Ich will ja nicht schwarzsehen, aber da ein Zahlungsausfall laut Gesetz nicht möglich ist, daß wir in Zukunft dort wieder das Äquivalent von Sklavenarbeit sehen werden? Daß wir Scharen von Studierten bekommen werden, die ihre Schulden in de facto Sklaverei abarbeiten müssen?


Hadmut Danisch
11.12.2011 14:13
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@Steffen: Guter Punkt. Aber greif mal einem nackten Mann in die Tasche.

Das Problem ist eben, daß durch diese aggressiven Schuldansprüche die Schwelle, ab der sich reguläres Arbeiten lohnt, erhöht wird. Die Leute werden sich halt irgendwann auch fragen, warum sie eigentlich einen Job machen und von morgens bis abends arbeiten sollen, wenn ihnen das ganze Geld doch wieder abgenommen wird. Insbesondere dann, wenn die Leute sowieso schon ihr Haus verlieren und aus der Suppenküche essen müssen.

Es gibt in den USA momentan eine Riesen-Welle von Leuten, die einfach ihre Hypothekenzahlungen einstellen und der Bank das Haus überlassen, weil die Häuser weniger als die Restschuld wert und die Gerichte so überlastet sind, daß das Eintreiben persönlicher Schulden kaum noch möglich ist. Warum sollten die Leute in solchen Situationen überhaupt noch arbeiten um solche Schulden abzuzahlen.


Steffen
11.12.2011 14:25
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@Hadmut: Eben deshalb sehe ich gerade extrem düsteres für die Zukunft. Die Profiteure dieses Plots werden sicherlich nicht ohne Gegenwehr ihre goldene Gans aufgeben. Mit Sklaverei meinte ich ganz direkt Zwangsarbeit. Und da in den USA schon seit einiger Zeit Aufgaben der Justiz und Polizei zunehmend privatisiert werden, könnte der schlimmste dystopische Alptraum wahr werden.

Hier übrigens noch die Infographik, auf die ich mich bezogen habe, und wo noch einige weitere erschreckende Details zu finden sind. Das Zitat war “Student loan collectors have power that would make a mobster envious” (‘Eintreiber von Studentenkrediten haben eine Machtposition, die einen Mafiosi grün vor Neid werden lassen würde’):

http://www.ritholtz.com/blog/2010/09/student-loan-debt-credit-card-debt/


Johnathan
11.12.2011 19:00
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@Hadmut: Wieso ist das Studium weniger Wert, wenn es schneller geht?


Hadmut Danisch
11.12.2011 19:05
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@Jonathan: Das Ziel der Straffung ist ja, den Aufwand und die Kosten zu reduzieren (und die Arbeitsfähigkeit früher herzustellen). Viele bekommen nur noch den Bachelor und nicht das ganze Diplom. Und nachdem, was ich von manchen Studenten höre, hetzen sie nur noch von Paukerei zu Paukerei, Prüfungen machen, ohne wirklich was zu kapieren oder sich damit zu befassen. Das ist weniger wert.

Außerdem ist die Kausalität vermutlich umgekehrt. Ein Studium geht schneller, wenn es weniger wert ist.


Johnathan
11.12.2011 20:26
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@Hadmut: Ich hatte mich eher auf die von dir angesprochene Zeit-Investition bezogen (“… wenn man bedenkt, daß man nach einem ausgiebigen Studium, vielleicht noch mit Promotion, oft Ende Zwanzig bis Anfang Dreißig ist, und einem damit noch etwa 30-35 Jahre bleiben, um seinen Gesamtlebensunterhalt zu erwirtschaften.”)

Braucht jeder einen Doktor/Master?

Alternativ: Verkommt der Bachelor zum Lehrberuf?


seegras
16.12.2011 2:22
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Also mein aktuelles wissen zieh ich gerade nur marginal aus den Lehrveranstaltungen. Das meiste “knowhow” ab ich mir so nebenher erarbeitet oder aus HiwiJobs.
Erschwerend kommt noch dazu, dass etliche Vorlesungen im Bachelor (hier) nur aufklärenden bzw sensibilisierenden Charakter/Anspruch haben. Wenn man also noch was fachlich vertiefendes gelehrt bekommen will, müsste man sich für den Master einschreiben.
ich hör auch immer von Kommolitonen, dass deren Hauptziel in den meisten Lehrveranstaltungen nur gut bestehen oder wenigstens bestehen ist.

Natürlich ist der Bachelor ne nette alternative zur 3 jährigen betrieblichen Ausbildung mit Berufsschule, wenn diese zu weit weg ist oder noch weniger Anspruch/niveau bietet.


Marion
4.1.2012 5:31
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Das wird noch einen sehr großen Knall geben 🙁


Hadmut Danisch
4.1.2012 10:32
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Ja. Die Frage ist allerdings, ob es ex- oder implodieren wird.