Deutsches Uni-Mittelalter mit Fördergeld vs. e-Learning
Das Thema, ob didaktisch unfähige oder unwillige Hochschulprofessoren nicht sowieso überflüssig sind und besser durch Videos und „Fernlehre” ersetzt werden sollten, hatten wir hier schon öfters. Aktueller Artikel dazu im SPIEGEL. Das deutsche System (eigentlich sollte man es eher „Zustand” nennen, denn ein System setzt Sinn, Planung und Funktion voraus) kommt dabei nicht gut weg. (Link korrigiert)
Der Abschnitt im Spiegel über die deutschen Zustände:
Dafür aber ist Deutschland schlecht gerüstet, denn E-Learning ist hierzulande nur an wenigen Universitäten über ein Schlagwort hinausgekommen, so groß die Hoffnungen und die Fördersummen auch waren. Kurz nach der Jahrtausendwende prophezeite ein Expertenkreis der Bertelsmann Stiftung: Im Jahr 2005 werde “mindestens die Hälfte der Studenten zumindest einzelne Teile des Studiums über das Netz absolvieren”. Und die rot-grüne Bundesregierung stellte im Förderprogramm “Neue Medien in der Bildung” nicht weniger als 100 Millionen Euro für Hochschulen zur Verfügung.
In einem Prospekt ließ die Regierung im Jahr 2000 die Defizite beschreiben, die sie zu beheben gedachte. Dummerweise klingt die Beschreibung der damaligen Wirklichkeit, als wäre sie von heute. “Es fehlt den meisten Hochschulen noch an einer Gesamtstrategie und einer Zielbestimmung dessen, was die jeweilige Hochschule mit dem Medieneinsatz erreichen will”, heißt es. Daher kämen “vorrangig Einzelprojekte zum Einsatz”.
Das ist ja genau wieder der springende Punkt: Deutsche Universitäten haben keine Planung, keine Strategie, kein Ziel, sondern ist nur eine Ansammlung kleiner schwarzer Löcher (vulgo: Projekte) in die das Geld rückstandslos hineingesogen wird. Das ganze deutsche Universitätssystem ist eigentlich nur noch zu einem Vorwand zum Geldverbrauch degeneriert – dabei aber auf dem strukturellen Zustand des Mittelalters geblieben. Das System der Lehrstühle und der Vorlesung hat eigentlich nur noch den Zweck, dem Professor den Daseinszweck und die Existenzausrede zu liefern. Bei manchen Professoren hat man den Eindruck, daß das einzige, was sie überhaupt noch machen, ist, die Vorlesung schlecht und die Durchfallquote hoch zu halten.
Ein Student hat mir neulich sein Leid über die schlechte Qualität von Vorlesungen beklagt, die ihm sogar von manchen Professoren bestätigt wird. Die pilgern inwischen rudelweise an eine andere Universität um die Vorlesungen dort zu hören. Was soll der Quatsch?
Ich war neulich verblüfft: Wegen einer möglichen Auslandstätigkeit hatte ich mich nach Fremdsprachenkursen umgesehen. Zu meiner Verblüffung bekommt man inzwischen zwar teure, aber doch viele Angebote des Einzelunterrichts per Skype. Der Schüler bleibt zuhause, der Lehrer bleibt zuhause, und trotzdem gibt es individuellen Unterricht mit Aussprache usw., nur der Zeit- und Geld-Aufwand für die Anfahrt fällt weg, dafür ist der Unterricht auch für Leute zugänglich, die nicht in der Stadt wohnen. Eigentlich ne feine Sache.
Viele Studenten finden heute keine Bude mehr direkt an der Uni (ich hatte damals Glück und war gerade mal 5 Fahradminuten vom Campus weg), sondern fahren da über eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln hin und her. Nur um hundsmiserabel schlechte Vorlesungen zu hören. Die nicht mal dem häufig geäußerten Kriterium der „genetischen Vielfalt” von Vorlesungen genügen, weil vorne auch nur eine trübe Tasse steht, die aus irgendeinem Standardwerk vorliest ohne es selbst verstanden zu haben. Ist es da nicht sinnvoller, lieber zu Hause zu bleiben und sich per Internet eine Vorlesung live oder aus der Konserve anzuschauen, die jemand gehalten hat, der sich dabei Mühe gegeben, die Vorlesung vor- und den Stoff mediengerecht aufgearbeitet hat, der das Fach beherrscht und den Inhalt verstanden und sogar noch Spaß daran hat?
Seltsamerweise gab es in meiner Jugend, als das ganze Medienzeugs noch in den frühesten Kinderschuhen steckte und das Fernsehen gerade mal aus den öffentlichen Sendern bestand, die erst am Nachmittag eingeschaltet wurden, das Telekolleg. Da wurden Fächer wie Mathematik und ähnliche in nachmittäglichen Fernsehsendungen gebracht (Schwierigkeitsgrad vielleicht irgendwo zwischen Oberstufe und FH) und halt mit dem, was damals möglich war, aufbereitet. Kurven von mathematischen Funktionen wurden eben noch an die Stellwand geklebt oder von Hand verschoben. Heute haben wir Multimedia satt, digitale Videocodecs und Internet, Youtube hat von jedem noch so trivialen Ereignis, selbst einem Katzenfurz, zwanzig verschiedene Versionen, aber das Telekolleg gibt’s nicht mehr. (Nur eine Fernuni, aber von der hört man kaum was.)
Wenn ich höre, welche Schwierigkeiten manche Universität hat, etwas so fundamentales wie die Analysis- oder Algebravorlesung zuverlässig anzubieten, weil die einfach kein befähigtes und williges Personal mehr haben, dann frage ich mich, wozu die überhaupt noch gut sind. Gerade bei solchen Vorlesungen, die über Jahre oder gar Jahrzehnte gleich bleiben, würde es sich durchaus anbieten, die mal richtig gut zu bauen und aufzubereiten, mit entsprechenden Skripten/Büchern zum Runterladen als PDF, mit aktiven Webseiten oder anderer Software, um sich Funktionen, Vektorräume usw. graphisch darstellen zu lassen und sie ausprobieren zu können. Gäbe es auch nur einen einzigen Mathelehrstuhl mit Arsch in der Hose und mehr als nur Geldverbrauchsanspruch, hätten die sowas schon längst auf die Beine gestellt und sich damit einen Namen gemacht. Das meiste, wenn nicht alles, was damals in meinem Grundstudium vorkam und vermutlich auch heute im Bachelor steckt, war Standardwissen, wo es überhaupt nicht darauf ankommt oder nutzte (sondern höchstens schadete) es bei einem bestimmten Professor gehört zu haben. Mathe, Programmiersprachen, Technische Informatik, Theoretische Informatik, Einheitsware. Könnte man ganz bequem von zu Hause aus oder aus Seminaren mit dem Tutor hören, wenn es das als Vorlesungskonserve gäbe. Und man kann die Pause-Taste drücken, um etwas zu diskutieren oder nachzulesen, und man kann zurückspulen und es sich nochmal anhören, wenn man es nicht verstanden hat. Und wer sagt überhaupt, daß man an 90-Minuten-Einheiten festhalten muß? Bei gedruckten Zeitungen waren die Zeitungsredakteure auch daran gebunden, ein festes Seitenformat exakt zu füllen, während Internet-Artikel beliebige Länge haben können und man deshalb schreiben kann, wie man will. Ich habe Videotutorials auf DVD über die Bedienung von Software, die auch nicht mehr als monolithischer Film daherkommen sondern als direkt anklickbare Einzelkapitel zu einzelnen Themen, und die Videoschnipsel unterschiedlich lang sind.
Aber sowas ist hier in Deutschland nicht möglich. Bezeichnend ist, daß derjenige, der das im SPIEGEL-Artikel macht, ein Deutscher ist, der dazu aber nach Amerika auswandern mußte.
Wären die deutschen Universitäten darauf ausgelegt, effizient und effektiv auszubilden und nicht nur Geld zu verbrauchen und Beamtenstellen zu generieren, dann gäbe es längst zu jedem Fach (oder jedenfalls jedem größeren Hauptfach) Kompetenzzentren, die den Lehrstoff gut und verständlich aufarbeiten und produzieren, und das in Form von Videos, PDFs, interaktiver Software und Webseiten, Chats, Diskussionsforen usw. allen zur Verfügung stellen.
Und wenn man es mal weiterdenkt, könnte man sogar Prüfungen auf diese Weise organisieren. Wer die Vorlesung produziert hat, gibt auch Prüfungsaufgaben vor. An den Universitäten findet die Prüfung vor Ort im Hörsaal statt, in dem ein PC mit schnellem Laserdrucker steht. Zum Zeitpunkt der Prüfung gibt das Institut dann die Prüfungsaufgaben frei und sie werden dann direkt mal schnell gedruckt und verteilt. Und dann eben mit Musterlösungen und Hinweisen zur Punktevergabe bei typischen Fehlern, mit zentraler oder dezentraler Korrektur.
Mag sich gruselig anhören, ist im Vergleich zum Status Quo aber immer noch ein Fortschritt.
(Danke übrigens für den Link!)
11 Kommentare (RSS-Feed)
Boah!
Das eigentlich erstaunliche ist: Viele Professoren bieten bei uns ihre Vorlesungen auf Video zum Download an. Allerdings völlig unaufbereitet und didaktisch eben so miserabel, wie ihre Vorlesungen eben “live” sind. Erstaunlich deshalb, weil diese Professoren nicht mal merken, wie obsolet ihre “Lehrbelastung” eigentlich geworden ist. Wir leben eben nicht mehr in der Zeit, in der Bücher so teuer sind, dass jemand aus ihnen vorlesen muss.
Wenn man die Gedanken weiterspinnt, gilt das für Forschung und Lehre gleichermaßen. Auch die Forschung bewegt sich auf dem methodischen Stand des Spätmittelalters. Die Tatsache, dass Publikationen in einem Druckformat erscheinen, ist einfach für die Nachvollziehbarkeit der Publikationen tödlich. Zumindest im Informatikumfeld – man hat selten Zugang zu dem Programmcode oder den statistischen Daten hinter einer Publikation. Und selbst bei Publikationen mit formalem Inhalt hat man selten eine Chance, diesen vernünftig nachzuvollziehen, weil Formelzeichen vollkommen konfus verwendet werden und essentielle Rechenschritte ausgelassen werden…
Ich war schon damals an der Uni der Überzeugung, daß man zumindest alle Vordiplomsvorlesungen von fest angestellten Dozenten halten lassen sollte, die didaktisch geschult sind und deren Aufgabe nur darin besteht, den Standardstoff den Studenten gut aufbereitet einzutrichtern. Sattdessen hat man lustlose Professoren schlecht vorbereitet auf uns losgelassen, bis auf wenige Ausnahmen.
Und dann reihum an jeden mal den Kelch weitergereicht, damit jeder in seiner Laufbahn einmal die Vorlesungen im Grundstudium gehalten hat, wie es bei uns damals war. Womit sichergestellt wäre, daß die Vorlesung immer von jemandem gehalten wird, der diese Vorlesung noch nie gehalten und keine Erfahrung damit hat. Und damals war es noch so, daß die Professoren selbst nie Informatik studiert hatten.
Also Informatikvorlesungen von Leuten, die selbst keine Informatiker sind und das zum ersten Mal machen.
Der Link gehört zum vorherigen Beitrag.
Oh, danke, korrigiert.
Auf der zweiten Seite verborgen: ein kleiner Satz, der es in sich hat.
“Die amerikanischen Elite-Unis müssten beweisen, dass sie in Forschung und Lehre tatsächlich exzellent sind und nicht nur davon profitieren, aus einer großen Anzahl guter Bewerber die besten auswählen zu können.”
Was ist tatsächliche Exzellenz? Worin unterscheidet sie sich von der durch Auswahl vorgetäuschten Exzellenz? Diese Gedanken sind purer Sprengstoff und gehören schleunigst verboten!
Das ist wenigstens ein Ansatz. Wenn man sich die Software dazu anschaut wird einem aber übel. Eine Fakultät für Informatik sollte das zigfach besser können.
Wie es sich im Detail gestaltet, wenn Professoren mit sowas nicht auf fortschrittlich machen wollen verrät ein Auszug aus einer Email eines Studenten an seine Kommillitonen.
“Liebe ***Teilnehmer,
wie heute Abend bereits angekündigt, wird von nun an die Zentralübung auf Video aufgezeichnet und im Internet zum Download bereitgestellt.
[…]
Sobald ein erheblicher Einbruch der Teilnehmeranzahl zu spüren ist, muss die Aufnahme wieder eingestellt werden.
[…]
Die Aufnahme wird im Übrigen nicht durch oder mithilfe des Lehrstuhls sondern allein durch freiwillige Mitarbeit von Studenten durchgeführt. […]”
Da scheint jemand Angst zu haben, dass sich keiner mehr die zweitklassigen Monologe abseits des Stoffes antun möchte, ohne wenigstens vorspulen zu können. Der die Vorlesung haltende Professor ist übrigens bei der Studierendenschaft vor allem durch seine nicht selten die Beleidigung streifenden Äußerungen bei Nachfragen bekannt.
Eine interessante Idee aus dem Bereich ist Stanford’s AI class: https://www.ai-class.com/
Ein Problem an deutschen Unis ist, dass Profs gern auch urheberrechtlich geschütztes Material verwenden und bspw. mal eben ein Bild aus einem Buch übernehmen. Ich finde ja, dass das im Bereich der Lehre einfach erlaubt sein sollte, die Verlage sehen das anders. Diese Begründung hab ich mal in einer Vorlesung gehört als der Prof in einer Geschwindigkeit von 10 Folien pro Minute irgendwelche Overhead-Folien auflegte und einen Studenten rauswarf weil dieser es wagte, Fotos von den Folien zu machen.
@Bjoern: Gibt es nicht eine Zitierausnahme für Forschung und Lehre im Urheberrecht?
Zitat Hadmut: “[…] aber das Telekolleg gibt’s nicht mehr.”
Falsch! Das gibt es noch:
http://www.br.de/telekolleg/index.html
Die Sendungen laufen wohl vormittags im Bayerischen Fernsehen und nachmittags/am frühen Abend auf BR-alpha (was sowohl über Satellit als auch DVB-T empfangbar ist und daher in den meisten Kabelnetzen auch existieren müsste).
Die Sendungen dauerhaft in der Mediathek anzubieten, scheint man aber noch nicht angedacht zu haben.