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Werden deutsche Unis demnächst von den Amis niedergetrampelt?

Hadmut Danisch
31.5.2012 13:41

Die ZEIT berichtet darüber, daß immer mehr US-Unis ihre Vorlesungen im Internet anbieten.

Und schon wieder ein digitaler Trend, den wir in Deutschland komplett verpennen, weil die Universitäten und Professoren zu borniert, zu altbacken, zu konservativ, zu blöd sind.

Das hat Zukunft.

Mir kommt nämlich das kalte Grausen, wenn mir ein junger Informatik-Student aus meinem Bekanntenkreis gelegentlich erzählt, wie es an seiner „Elite-Uni” in den Vorlesungen und Prüfungen so abgeht. Die sind nicht in der Lage, bachelor-abdeckend ordentliche Vorlesungen anzubieten. Große Teile des Jahrganges fahren tatsächlich an eine andere Universität, um dort die Vorlesungen hören zu können, die dort besser sind. Lehrbücher zu fressen hilft übrigens nicht, weil die Dozenten mitunter sehr kuriose Auffassungen darüber haben, was zum Fach gehört, was sich nicht mit der Meinung der Buchautoren (und deren Buchinhalten) deckt. Statt mit der S-Bahn in die nächste Universitätsstadt zu fahren, fahren sie vielleicht bald per Internet zu Vorlesungen in den USA.

Womöglich stehen die deutschen Professoren vor der Metamorphose von der Inkompetenz zur Überflüssigkeit. Macht aber nichts, sind ja in beiden Fällen unkündbar.

Gibt übrigens eine bemerkenswerte Parallele zu Buchverlagen und Platten-Labels: Auch die haben die Macht nur gehabt, solange die Übertragung von Inhalten an physische Datenträger oder die physische Anwesenheit gebunden war. Mit der Digitalisierung, dem Internet und dessen Preissturz ist plötzlich eine weltweite Konkurrenz eingetreten, weil die räumliche Entfernung praktisch keine Rolle mehr spielt. Das könnte Universitäten nun auch blühen. Denn darauf beruht auch die lausige Qualität vieler deutscher Vorlesung, weil es eben überhaupt keine Konkurrenz und für die Studis keine Alternative gab.

Und vielleicht setzt dann ja ein Universitätensterben oder zumindest mal ein Nachdenken ein. Es könnte nämlich darauf hinauslaufen, daß Studenten künftig nicht mehr nach guten, sondern nach preisgünstigen Unis suchen, wo man ein billiges Zimmer im Studentenwohnheim mit Internet und guter Verkehrsanbindung bekommt, wo man billig leben kann, pfeifen sich dort dann die Elite-Vorlesungen rein und legen vor Ort nur noch ihre Prüfungen ab.

14 Kommentare (RSS-Feed)

Ozi
31.5.2012 16:23
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Was es da so alles gibt an den Online-Unis: ,,darunter Kurse über Logarithmen, Software-Entwicklung oder Gentechnik”. Die Scheine zur Vorlesung Logarthmen will ich haben;)
Da sind Sedgewicks Algorithmens for the Masses (www.cs.princeton.edu/~rs/talks/AlgsMasses.pdf) wohl noch nicht bei den Massen angekommen.


Guy Incognito
31.5.2012 19:30
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Die Infrastruktur wäre für soetwas auch in Deutschland vorhanden, wenn die Profs nur wollten. Viele Hörsäle sind mit Videokonferenztechnik ausgestattet, ansonsten kann ein Hiwi eine Videokamera vom Mediendienst ausleihen. Das DFN bietet bereits einen entsprechenden Service, um Aufzeichnungen irgendwo zentral auf deren Servern abzulegen.

Das Ergebnis wird sich zwar nicht mit einem Princeton Onlinekurs messen lassen, aber verursacht erstmal kaum Mehraufwand. Anschließend kann man überlegen, ob wirklich jeder Grundkurs redundant gelesen werden muss. Es gibt sicher genügend Professoren, die lieber einen Vertiefungskurs zu ihrem Spezialgebiet lesen würden anstatt zum fünften mal in Folge Programmierparadigmen.


Hadmut Danisch
31.5.2012 20:11
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Nee, sowas wird ziemlicher Mist.

Wenn’s was werden soll, muß man die Vorlesung allein für die Kamera machen und eine ganz andere Vortrags- und Präsentationstechnik entwickeln, sowie ordentliche Unterlagen beitun.

Dieses Vorlesung-mitfilmen ist ein ziemlicher Unfug.


HF
31.5.2012 20:33
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“… und legen vor Ort nur noch ihre Prüfungen ab.”
Die Prüfungsgebühr wird dann eben nach oben angepasst. An einer billigen Uni gibt es billige Prüfungen, an der Elite-Uni sind die Prüfungen teurer. Wer 20000 Euro Prüfungsgebühr bezahlt, ist bestimmt hoch motiviert zum Büffeln. Wer mit 2000 Euro glaubt davonkommen zu müssen, ist dann eben nur ein Zehntel so gut.


Guy Incognito
31.5.2012 22:02
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Ein Vorlesungsmitschnitt vor Publikum ist nicht wesentlich schlechter als dieselbe Vorlesung nur vor Publikum. Klar, ein angepasster Onlinekurs ist noch besser, erfordert aber das Publikum vor Ort ganz auszuschließen.


Hadmut Danisch
31.5.2012 22:42
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Die Wahrnehmung ist eine völlig andere.

Es ist ungefähr der gleiche Unterschied wie zwischen Theater und Fernsehen. Ein Bühnenstück kann noch so toll sein, aber im Fernsehen nicht rüberkommen und dafür anders gemacht werden. Wenn Musicals verfilmt werden, finden sie auch nicht auf der Bühne statt.

Außerdem ist es Vergeudung. Eine Videodarstellung gibt soviel Potential für Verbesserung.


Guy Incognito
31.5.2012 23:08
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Versuch mal einen Professor zu überzeugen, dass er sich filmen lassen soll. Anschließend sag ihm, er soll in einem leeren Medienraum sprechen statt vor vollem Hörsaal, muss sein Material neu aufbereiten und bekommt nichts dafür. Es mag besser sein, aber es wird niemand mitmachen.


Hadmut Danisch
31.5.2012 23:09
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Professoren werden in Drittmitteln und Pseudoveröffentlichungen gemessen.

Warum sollten sie sich für irgendetwas anderes Mühe geben?


Jasper
31.5.2012 23:44
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Bei uns am Institut werden viele Vorlesungen mit geschnitten (http://tele-task.de/). Zumindest als Student ist es hilfreich, wenn man sich die Vorlesung noch einmal anschauen kann. Und zum Teil finde ich, gibt es Vorlesungen, die man sich auch so gut anschauen kann. Ist die Vorlesung gut, so kann auch ein Videomitschnitt gut sein.

Aber ich denke, es ist nichts im Vergleich zu einer gesondert für Videopublikum gehaltene Vorlesung. Doch eine Vorlesung sollte mehr als nur Wissensvermittlung sein, sondern auch ein Forum für Diskussionen sein.


Hadmut Danisch
31.5.2012 23:47
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Dann läufts aber auf ne Live-Übertragung und nicht auf Videos hinaus…


Sylvia
1.6.2012 0:08
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Ich hab das bei uns an der Fakultät auch mal angesprochen und die Antwort ist ziemlich einfach: zu viel Aufwand.

Die Profs haben bei uns ja echte 9 SWS-Vorlesungspflicht + Vorbereitung und jedwedes mehr ist gern mal zu viel verlangt.

Ein paar von den jüngeren kann man vielleicht noch überzeugen.


Hanz Moser
1.6.2012 22:22
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“Nee, sowas wird ziemlicher Mist.

Wenn’s was werden soll, muß man die Vorlesung allein für die Kamera machen und eine ganz andere Vortrags- und Präsentationstechnik entwickeln, sowie ordentliche Unterlagen beitun.

Dieses Vorlesung-mitfilmen ist ein ziemlicher Unfug.”

Kommt drauf an. Die TU hat mit ihrem, technisch für eine Informatikfakultät eher miesen, TeleTeachingTool den Ansatz neben dem Dozenten parallel seine Projektion zu zeigen.
Das ist natürlich etwas anderes als ein speziell darauf abgestimmter Onlinekurs, aber für eine Breitenvorlesung ist es ziemlich genau das selbe wie anwesend zu sein. Die meisten Dozenten haben auch gelernt die Fragen der Studenten vor dem Beantworten zu wiederholen.

Natürlich wirkt das auf einem 23″ Bildschirm nicht so wie in einem Hörsaal, alleine weil mein Sessel hier bequemes Sitzen ermöglicht und mich keiner doof von der Seite anquatscht, aber es ersetzt den Vorlesungsbesuch ziemlich gut.

Ganz so schlecht wie du sehe ich diesen Ansatz jedenfalls nicht.


Milo
4.6.2012 12:24
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“Professoren werden in Drittmitteln und Pseudoveröffentlichungen gemessen.”

Das ist das große Problem. Diese “Messungen” erzeugen Fehlanreize. Lehre wird deshalb nur noch als Hindernis wahrgenommen. Der Lehrerfolg wird auch nur in Absolventenzahlen gemessen, weshalb man sich auch nicht mehr traut, leistungsgerecht zu bewerten. Insgesamt muss an den Unis die Lehre einfach einen höheren Stellenwert bekommen, damit sie nicht mehr als Klotz am Bein gesehen wird.


arc
8.6.2012 18:53
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@Ozi
Algo-/Logarithmen? Dürfte wohl eher der “Fehlerkorrektur” oder dem Nicht-Wissen geschuldet sein.
Sedgewick ist im übrigen bei Coursera mit zwei Kursen vertreten (Algorithms und Analytic Combinatorics)

“Anschließend sag ihm, er soll in einem leeren Medienraum sprechen statt vor vollem Hörsaal, muss sein Material neu aufbereiten und bekommt nichts dafür. Es mag besser sein, aber es wird niemand mitmachen.”
und
“Die Profs haben bei uns ja echte 9 SWS-Vorlesungspflicht + Vorbereitung und jedwedes mehr ist gern mal zu viel verlangt.”

Warum tun es dann die div. Profs. für/bei Coursera? Weil sie zu viel Zeit haben oder weil sie es können und auch wollen oder weil sie gar die Auswirkungen sehen, die ein derart weit verfügbares Wissen haben kann und wird?

@HF
“Die Prüfungsgebühr wird dann eben nach oben angepasst. An einer billigen Uni gibt es billige Prüfungen, an der Elite-Uni sind die Prüfungen teurer.”
Die beiden ersten Veranstaltungen AI und ML hatten >100k Zuhörer, bestanden haben letzteren afair ~12000 und selbst ein Kurs wie Probabilistic Graphical Models hatte 1441 Studenten die bis zum Schluss durchgehalten haben. D.h. exorbitante Gebühren wird sich dort langfristig niemand erlauben können. Spannend wird es bei Veranstaltungen, bei denen physische Präsenz und Ausrüstung unabdingbar sind.

@Hadmut Danisch
“pfeifen sich dort dann die Elite-Vorlesungen rein und legen vor Ort nur noch ihre Prüfungen ab.”
Warum? Lokale Ableger und/oder Kooperationen vor Ort, wo die Prüfungen abgelegt werden können (ähnlich wie es die Fernuni Hagen macht)…