Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Mikro-Titel-Handel

Hadmut Danisch
12.6.2012 18:19

Ein Professor hat ein Patent darauf erhalten, Studenten vom Kopieren oder ausleihen von Büchern abzuhalten und sie zum Kauf zu zwingen.

Ein Leser hat mir den Link auf diesen Artikel geschickt. Is mal wieder wunderbar.

Wirtschaftsprofessor Joseph Henry VOGEL stört sich daran, dass Studenten in den Vorlesungen und Veranstaltungen mit Fotokopien von Büchern oder ausgeliehenen Büchern sitzen. Er will, dass nur noch die Studenten an Veranstaltungen teilnehmen können oder deren Besuch prüfungsrelevant bestätigt bekommen, die einen Einkaufscode vorweisen – sprich: Mini-Schmiergeld gezahlt haben. Auch um gebraucht gekaufte Bücher zu „nutzen” müßte man einen neuen Access-Code kaufen. Aus dem Titel-Handel für Promotionen und Abschlüsse wird jetzt eine Mini-Titelhandel für jede einzelne Vorlesung.

Wie bitte!?

Zu meiner Studienzeit war das die Regel, dass wir Gruppen gebildet haben, von denen reihum für jedes Buch mal einer das Buch irgendwo ausgeliehen hat, in den Copy-Shop gegenüber der Uni gegangen ist, und dann für jeden eine Fotokopie gezogen hat. Ob’s legal war, darüber kann man sich streiten, aber wir konnten uns das damals einfach nicht anders leisten, und das World Wide Web gab’s noch nicht. Dafür waren die Bücher zu Mondpreisen überteuert, einen Gebrauchtmarkt für Bücher wie in den USA gab es hier aber praktisch nicht. Wie sollte man als Student – ich musste damals meist so mit 500-700 DM pro Monat komplett auskommen – Bücher kaufen, die nicht selten über 100 DM lagen? Und das, um die Bücher nur mal für eine Prüfungsvorbereitung für 2-3 Wochen zu verwenden?

Über das Kopieren kann man streiten, aber wozu gibt es Universitätsbibliotheken, wenn man sich dort die Bücher nicht ausleihen darf? Und warum soll jemand, der ein Buch gekauft hat und dessen rechtmäßiger Eigentümer ist, es nicht mehr verleihen, verschenken oder gebraucht verkaufen dürfen? Drehen die jetzt ganz durch und wollen das absurde Rechte-Management auch auf reale Gegenstände ausdehnen und hier den Anfang machen?

Was glaubt der eigentlich, wofür er von der Universität als Professor bezahlt wird? Warum gibt der kein Skript heraus?

Allerdings macht der Text den Eindruck, als ob es ihm gar nicht mal selbst ums Geld ginge, sondern darum, dass die Verlage genug Geld einnehmen und damit auch genug drucken, weil er als Ziel angibt, dass es genug Publikationsmöglichkeiten gibt. Daher weht der Wind. Es gibt in der Wissenschaft zu viel Write-Only-Publikationen, die keiner liest, und anscheinend auch immer weniger Leute kaufen, weshalb die Verlage weniger Drucken. Publish-or-Perish scheint am Publikationsflaschenhals zu leiden, es geht nicht mehr soviel raus wie man publizieren möchte. Was sowieso Quark ist, denn wozu soll das gut sein, wenn’s eh keiner lesen will? Also zwingt man jetzt Studenten, die Bücher zu kaufen, damit der Verlag mit dem Professor soviel Geld verdient, dass er auch dessen Dummy-Bücher pro Forma veröffentlicht. Das ist das Spiel. Ein künstlich erzwungenen Markt. Kein Wunder, dass einem Ökonomie-Prof sowas einfällt, aber dass man es auch noch patentieren kann? Die eigentlich logische Konsequenz wäre doch, die Verlage als Engpass und als Geldsenke aus der Publikationskette zu eliminieren, dann wären alle anderen glücklich: Der Prof kann publizieren, so viel er will, und die Studis brauchen es nicht oder nicht teuer zu bezahlen. Der versucht ein Problem zu lösen, das er gar nicht haben müsste. Wie schreiben sie in diesem Artikel so passend:

Professor Vogel believes that sending more money to publishers helps academia, which might be a flawed line of reasoning. Isn’t it much better to strive to make knowledge open and accessible, instead of restricting it even further?

Ganz neu ist die Idee allerdings nicht. Ich kann mich an so manche Vorlesung erinnern, in der der Prof sagte, dass man überhaupt nur eine Chance hätte die Prüfung zu bestehen, wenn man sein Buch kaufe. Wink mit dem Zaunpfahl. Und meistens wurde dann gleich noch dazu gesagt, dass man einen Hörerschein bekommen könnte (dann kostete es, weiß nicht mehr genau, ich glaube 20 DM weniger, wovon 10 die Buchhandlung und 10 der Verlag trugen, der Prof aber gleichviel bekam), denn man allerdings nur persönlich vom Prof ausgehändigt bekam. Klar, damit er weiß, wer das Buch tatsächlich gekauft hat, für die Bewertung in der mündlichen Prüfung. Wir kamen natürlich dahinter, dass es ratsam ist, sich den Hörerschein mit viel Brimborium und zeitnah zur Prüfung (um dem Professor in Erinnerung zu bleiben) abzuholen, und das Buch trotzdem nur zu kopieren. Denn die meisten dieser Bücher waren nicht mal den reduzierten Preis wert.

12 Kommentare (RSS-Feed)

HF
12.6.2012 19:15
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Die Wissenschaftskirche ist reif für eine Reformation.
Korruption, Amtsmissbrauch, Ablasshandel, alles da.


yasar
12.6.2012 22:16
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Bei uns gabs damals auch Hörerscheine (Mathe), allerdings direkt beim Sekretariat. Und es waren nicht die Bücher des Dozenten, sondern eines anderen Professors an der Mathefakultät (Heuser iirc).

In gabs es von meinen damaligen lokalen Dozenten kaum Literatur, sondern nur Vorlesungsskripten. Erst später als Tichy, Beth & Co. an der Uni KA aufschlugen, gab es auch Lehrbücher von den “lokalen” Professoren.


Hanz Moser
12.6.2012 22:25
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Wenn man bzgl. Literatur und Prüfung was ändern will, wie wäre es dann damit Professoren zu verpflichten, alles was sie prüfen wollen hinreichend in einem Skript zu beschreiben?
Die Foliensätze die man heute an Unis bekommt sind beschämend. (Gut, dafür kann der Prof oft nichts, weil es studentische HiWis erstellen…) Auf dem Wege könnte man vielleicht eine Verbesserung erzwingen, aber Wunschdenken…

Diese Tour die eigenen Bücher verscherbeln zu wollen habe ich bisher übrigens nur bei den BWLern gesehen und dort fast überall. Eine einzige Ausnahme war eine Datenbankvorlesung, in der aber sofort darauf hingewiesen wurde, dass der Bibliotheksbestand sehr reichlich ist.
Die Literatur der BWLer war natürlich, trotz Grundlagenvorlesung und gleichem Prof seit mehreren Jahren, nur mit wenigen Ausgaben in der Bibliothek vertreten. Und durchweg reine Scheiße.

Wenn einer hier in Deutschland auf die Idee kommt sowas zu machen hoffe ich nur, dass es ein paar Studies gibt die für einen Gang vors Verwaltungsgericht zusammenlegen. Was an vielen Unis und Hochschulen schon heute selbstverständlich von Studenten erwartet wird beißt sich enorm mit der Idee eines breiten Zugangs zu Bildung und Chancengleichheit.


karbau
13.6.2012 0:40
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Sorry,
aber das ist wohl wenig interessant. Ich meine mal ernsthaft … Puerto Rico … und dazu “Ökonom”. Also, na ja; Wissenschaft ist anders


niemand
13.6.2012 4:20
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In den USA ist es schon seit einer weile so. Von Lehrbüchern gibt es jedes Jahr eine neue Auflage mit unterschiedlich nummerierten Aufgaben und anderen Werten. Einen Gebrauchtmarkt für Lehrbücher gibt es daher kaum.

Allerdings habe ich oft Leute gesehen, die gebrauchte Bücher an der Uni aufkaufen. Da ich nie Verkäufer dazu gesehen habe nehme ich an, dass die Bücher dann vernichtet werden.

Weil das offenbar nicht reicht haben viele Bücher Onlinematerial, für das man sich mit im Buch eingedrucktem Code registrieren muss. Natürlich braucht man das Material für die Prüfung/Hausaufgabene. Der Text dient eigentlich nur dazu, auf den Onlinekram hinzuweisen.

Besonders schön: die Bücher in der Bib haben oft den Code überklebt mit einem Zettel drin, dass das Onlinematerial nicht für Bibliotheken lizensiert ist.
Überhaupt gibt es Lehrbücher nur sehr sehr selten in den Bibliotheken, Lehrbuchsammlungen habe ich bisher keine gesehen.

Teilweise werden die Profs mit kostenlosen Büchern und vereinfachten Hausaufgaben (die Studenten geben die Lösungen auf der Webseite ein und der Prof hat weniger Arbeit) angefixt, teilweise verdienen sie richtig Geld damit.

Der gute Herr Vogel ist also etwas hinterher.

In Deutschland habe ich in meinem Studium so etwas gottseidank nie erlebt, es gab ein paar Skipte, aber die waren die 10 DM auch wert.

Kopieren von Lehrbüchern finde ich übrigens moralisch völlig akzeptabel. Die Bücher werden von Studenten und WiMis geschrieben, und das wenige, was die Profs beitragen passiert während der Arbeitszeit und auf Dienstrechnern. Eigentlich müssten die alle public domain sein.


der andere Andreas
13.6.2012 12:12
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kenne ich auch nicht anders. lehrbücher sind entweder, in der vom prof. verwendeten fassung, nicht mehr verfügbar oder sehr teuer. ausleihexemplare sind meist vergriffen weil die bei dozenten und profs liegen…

bei uns wurde es dann für die entsprechenden bücher zentralorganisiert, dass wenigstens 2 bücher zum kopieren in der bibliothek zurück gehalten wurden…

kommilitone hat auch erfahren, dass man nicht einfach mit nem anderern lehrbuch lernen kann weil die aussagen mitunter nicht akzeptiert werden…


HF
13.6.2012 15:08
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“Kommilitone hat auch erfahren, dass man nicht einfach mit nem anderern lehrbuch lernen kann weil die aussagen mitunter nicht akzeptiert werden…”
Das spricht nicht für den Prüfer, er macht es sich sehr einfach.
Dann könnte man die Prüfung ja gleich wie die alte Führerscheinprüfung gestalten, da ist klar, dass man gegen eine veraltete Schablone nicht prüfen kann.


der andere Andreas
13.6.2012 17:58
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@HF 13.6.2012 15:08:

ist mir aber auch passiert, dass zumindest alternativlösungen für gestellte probleme mitunter nicht akzeptiert wurden, auch wenn sie so beschrieben waren – im notfall weil: “das macht ja kein vernünftiger mensch so…”.

gerade in den alten diplomstudiengängen hatte der prüfer das letzte wort (sei es professor, doktor oder doktorand) und mit dem system wollte man sich als student auch nicht wegen jeder kleinen oder mittleren prüfung anlegen.

das kann sich ja mit dem verschulten neuen lehrsystem geändert haben.


Buchfanista
14.6.2012 21:48
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heute besteht ja fast alles nur aus skripten.. nur wenn der prof ein eigenes buch raus bringt, besteht er meist darauf, dass wir es kaufen… naja das buch kostet erstmal viel geld und landet dann im keller… ich wäre dafür, dass uni-bücher ganz abgeschafft würden. skripts sind praktischer, da in teilen nutzbar (statt einen fetten buch immer mitzuschleppen).


Hanz Moser
15.6.2012 1:09
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@ Buchfanista

Echte Skripten oder nur aneinandergereite Powerpoint Folien mit Stichworten?

Falls echte Skripten: Welcher Studiengang, welche Uni? Für Informatik hätte ich reges Interesse an gutem Material.


Karlo Oberhuemer
15.6.2012 12:00
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Einfach nur noch Sauladen. Schlechte Lehre, kaum noch irgendwie innovativ zu nennende Forschung (im wesentlichen Hofberichterstattungsartige Forschung), Dumpinglöhne für Nachwuchs damit Prof. Dr. Nullnummer auch auskömmlich leben kann und Obrigkeitsgehabe, das die Schwarte kracht. Und für den Mist dann nochmal extra was abziehen. Müssen die Leute da Probleme mit ihrem Selbstwert haben, dass sie bei sowas auch noch arrogant auf irgendwelche Werte pochen wollen (böse Raubkopierer). Dabei keine Peinlichkeit zu merken ist angesichts des massiven Fremdschmäens schon fast eine beachtenswerte Leistung des Unbewussten. Fast.

So Verkaufstechniken gibts auch in Geisteswissenschaften. Voraussetzung zum Scheinerwerb ist Zusammenfassung von ein paar Kapiteln des stink öden Buches des Leerkörpers (Buch ist vom Gehalt unter Wikipedianiveau zu den selben Themen), das erst im selben Jahr rauskam und daher noch nicht in der Bib steht. Muss man also kaufen. Aber vergünstigt, weil Frau oder Herr Leerkörper das sammelbestellt. Genauso gibts einen Prof, der ein mittelmäßiges Standardwerk zu einem spezifischen Thema herausgibt, welches alle 2 Jahre neu aufgelegt wird (er beauftragt dann seine HiWis, diverse Statistiken auszutauschen und ausserdem dafür zu sorgen, dass nicht die gleichen Statistiken verwendet werden, wie der feindliche Prof einer anderen Universität für sein ebenfalls alle 2 Jahre erscheinendes “Werk”.). Ganz logisch wird dann in Prüfungen grundsätzlich nach den neuen Zahlen der Statistiken gefragt, da die flachmännisch behandelten Inhalte sich nicht sehr stark ändern bzw. überhaupt nicht anders überarbeitet werden (ausser: Kap. 3 wird zu Kap. 9, Kap 9 zu Kap. 5 usw.), der Buchkauf daran also nicht überprüft werden kann. Von dem dicken, fast 100€ teuren ober öden Schinken gibts an der fast 35.000-Seelen Uni auch nur 2 Exemplare, d.h. die meisten müssen sich das kaufen und auf amazon wird man es ein Jahr später schon nicht mehr los.
Extrem erbärmliche Nummer.

Zum Glück gibts amazon. Allerdings hatte ich kurzzeitig ein schlechtes Gewissen, weil ich ein so mittelmßiges Buch weiterverkauft habe. Ich hätte es eigentlich wegschmeißén sollen. Naja.

Bin ich froh, dass ich aus dem Laden raus bin. Das schlimmste an dem ist wirklich diese Pluralität an Selbstbeweihräucherungstechniken. Das einzige, worin man da noch wirklich innovativ ist und wahrscheinlich DER Forschungsbereich der Zukunft 🙂


statist
24.6.2012 11:15
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Warum sollte es auch bei Studenten anders sein als bei Schulkindern.
Wie bei den Kleinen so bei den Großen. Im Schnitt kosten heute Schulbücher für Erstklässler 80 Euro. Gebrauchte Bücher und Lehrmittelfreiheit gibt es in der Realität meiner Meinung nach so gut wie nicht. Eigentlich auch ein wichtiges Thema, es interessiert sich nur leider niemand dafür. Es gibt halt eine Lobby mit der Lizenz zum Schulbuchdrucken.